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Umgang mit dem Friedens-NobelpreisChinas Exilszene zerstritten

Zahlreiche Dissidenten waren zur Zeremonie nach Oslo gereist. Doch sobald die Kameras ausgeschaltet waren, überwog unter ihnen Konkurrenz und Nachdenklichkeit.

Gespräch beim traditionellen Festbankett nach der Nobelpreisverleihung: Dissident Yang Jianli und Norwegens Königin Sonja am Freitagabend. Bild: reuters

OSLO taz | Die Rührung war groß und die Freude echt. Wenn die rund 100 nach Olso zur Friedensnobelpreiszeremonie gereisten chinesischen Dissidenten nach ihren Gefühlen gefragt wurden, sprachen sie von Stolz, Bestätigung und Hoffnung. Der Preis, den ihr Mitstreiter Liu Xiaobo erhalten habe, sei eine Rückenstärkung und werde die Demokratiebewegung sichtbarer machen.

Der Abend nach der emotional aufgeladenen Nobelpreiszeremonie illustrierte jedoch, wie es um diese Bewegung steht: Einige der bekanntesten chinesischen Oppositionellen, denen am Nachmittag die Tränen über die Wangen gerollt waren, hatten sich zu einem Dinner in der Osloer Innenstadt verabredet. Statt gemeinsame Aktionen zu verabreden, stritten sie auf der Stelle darum, wer an der Stirnseite des Tisches sitzen darf.

Kaum waren in Oslo Kameras und Mikrofone ausgeschaltet, gaben sich die Dissidenten eher pessimistisch. Der ehemalige politische Häftling Yang Jianli, heute Dozent an der Harvard-Universität und Aktivist der US-Organisation "Freedom now", spricht nachdenklich davon, dass der Friedensnobelpreis einen enormen Druck bedeute. In einer Osloer Kneipe beklagt er sich über die überschäumenden Egos seiner Mitstreiter. Jeder wolle das Sagen haben, kaum einer sei zur Zusammenarbeit bereit.

Vielleicht sei Liu Xiaobo wirklich der Einzige, der unangefeindet vorne am Tisch hätte sitzen können, meinen die, die noch an eine Exilbewegung glauben wollen. Man könnte sich auf ihn verständigen, meint vorsichtig Wan Yanhai, Chinas bekanntester Anti-Aids-Aktivist.

Wer wie Wan ins Exil geht, beklagen alle von Peking abgeschobenen Aktivisten, versinke schnell in der Bedeutungslosigkeit. Das mache zahlreichen Demokratiestreitern schwer zu schaffen, sagt Yang, der sich selbst gerne als Wortführer sähe.

Als Initiator der "Charta 08" habe Liu Xiaobo innerhalb kurzer Zeit über 10.000 Unterschriften zusammenbekommen. Kein anderer in der heillos zerstrittenen chinesischen Demokratiebewegung habe ausreichend Überzeugungskraft und könne so viele mitreißen, glaubt Qian Yuejun, ein in Deutschland lebender Journalist. "Er ist der Einzige innerhalb der chinesischen Demokratiebewegung, der diesen Preis wirklich verdient hat."

Just die von Liu geschriebene "Charta 08", ein Manifest für politische Reformen, dient Chinas Machthabern als Nachweis seiner "kriminellen, umstürzlerischen" Absichten. Ihre Repressionen und ihre Verleumdung des Nobelpreises für Liu bleiben in China keineswegs wirkungslos.

Chinesische Staatsmedien verbreiteten immer wieder, der Friedensnobelpreis sei der westliche Lohn für seinen Verrat am Vaterland. Selbst im Exil lebende chinesische Aktivisten bekommen daher Bauchschmerzen angesichts eines Liu-Zitats: "China braucht einen Kolonialherrn."

Liu Xiaobo hatte in der Tat 1988 in einem Interview seinen Eindruck von Hongkong provokant zusammengefasst. Der damals 32-jährige Literaturdozent Liu besuchte zum ersten Mal die noch-britische Kronkolonie Hongkong - und war tief beeindruckt von der Freiheit in der Stadt. Auf die Frage, wie sich China weiterentwickeln solle, antwortete Liu: "China braucht mindestens 300 Jahre Kolonialherrschaft, wenn das kleine Hongkong 100 Jahre für Freiheit und Wohlstand gebraucht hat."

Auch geht Lius Kompromissbereitschaft und sein Verständnis für seine Peiniger etlichen Oppositionellen zu weit. "Er schrieb, er habe keine Feinde. Aber er hat unter Chinas Oppositionellen viele Gegner", meint Bei Ling, Poet und längjähriger Mitstreiter Lius. "Der Freiheit geopfert", heißt Beis Biografie des Nobelpreisträgers, die soeben auf Deutsch erschienen ist.

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1 Kommentar

 / 
  • KN
    Kein Nobelreis wert

    Herr Liu hat den Nobelpreis bekommen, weil die Preisverleihung eine politische Keule gegen die Volksrepublik ist.

     

    Ebenso war das gut zu sehen bei der Olympiade, wo die PR-Maschinerien heissgelaufen sind.

     

    Herr Liu ist ein sehr seltsamer Demokrat nach diesem Zitat zu beurteilen, wenn es nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden sollte.

     

    Zitat: "China braucht mindestens 300 Jahre Kolonialherrschaft, wenn das kleine Hongkong 100 Jahre für Freiheit und Wohlstand gebraucht hat."

     

    Die britische Kolonialherrschaft war überhaupt nicht demokratisch und der Wohlstand von Hong Kong hat sehr viel mit der geostrategischen Lage und herzlich wenig mit Demokratie zu tun.

     

    Ich will mich nicht zu sehr über ihn lustig machen, aber wenn er meint, dass China einen Kolonialherrn bräuchte statt die KPCh. Wen hätte er den gern als Kolonialmacht ?

     

    Empirisch gesehen stehen die ehmaligen britischen Kolonien besser da als die französischen Kolonien. Ich schlage daher das kleine Grossbritanien vor.

     

    Leider steht das schlechte Beispiel Indien im Raum, dass durch mehrere hundert Jahre britischer Kolonialherrschaft keineswegs von allein sich entwickelt. Ebenso stimmt es nicht, dass Wirtschaftswachstum gleichzusetzen ist mit Chancengleichheit. Das können sie an der indischen Einkommensverteilung sehen.

     

    In dieser Zeitung erscheinen manchmal sehr merkwürdige Artikel. Fast würde ich sie als Bildzeitung oder sun für die rotgrünen und alternativen Milieus bezeichnen. Aus ihrer Zeitung lernt man fast nichts über die Welt, und was die Intellektuellen denken schon gar nicht.

     

    Eine genauere Analyse der chinesischen Demokratiebewegung und ihrer ideologischen Vorläufer hätte zum Anlass der Preisverleihung sicher besser gepasst, als der Leserschaft Dünkel und Geltungsdrang als treibende Motivation hinter den Dissidenten nahezulegen.