piwik no script img

GedenkenWenig Interesse an Ramazan Avci

Die Türkische Gemeinde lädt zum Pressegespräch - und die Deutschen bleiben weg.

Irgendwann, das war klar, musste das S-Wort fallen, ohne das derzeit nicht über Einwanderer geredet werden kann, sogar dann nicht, wenn sie selbst es sind, die reden. Man solle "diese undifferenzierte Diskussion" beenden, sagt also Hüseyin Yilmaz, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Hamburg, und nennt dann den Namen des Ex-Politikers Thilo Sarrazin, der mit seinem muslim-feindlichen Bestseller "Deutschland schafft sich ab" das Land spaltet.

Dabei geht es doch hier im Saal der Türkischen Gemeinde gar nicht um Einwanderer, die sich in die Sozialsysteme einschleichen, sondern um Ramazan Avci, der erschlagen wurde, weil Skinheads, die ihn gar nicht kannten, eine Wut hatten auf Türken. Neben Yilmaz, dem hanseatisch anmutenden Vorsitzenden in Nadelstreifen, sitzen rechts Avcis Witwe und links dessen Sohn Ramazan junior, und neben dem Sohn noch der Bruder des Ermordeten.

25 Jahre ist die Tat her, die letztlich zur Gründung der Türkischen Gemeinde führte, deswegen hat man hierher eingeladen. Es ist eine Mischung aus Pressekonferenz und Gedenkstunde, der Sohn erzählt zuerst. Er habe erst mit elf oder zwölf davon erfahren, wie sein Vater gestorben sei, "keine Ahnung warum, wahrscheinlich damit ich keinen Nervenzusammenbruch kriege", sagt er, er ist nervös wegen der Presse, die bis auf die taz ausschließlich aus türkischen Medien besteht.

Der Mutter fällt es schwer, darüber zu sprechen, sie redet auf türkisch, der Bruder des Ermordeten auch, er hatte den Jüngeren nach Deutschland geholt, 1980 war das. Yilmaz übersetzt, dann sagt er, dass die Forderungen von damals immer noch aktuell seien: Mitsprache, gleiche Chancen. "Ich hoffe, dass wir nicht noch mal 25 Jahre warten müssen", sagt er, dann überreicht er der Witwe einen Blumenstrauß. Die türkischen Journalisten fotografieren.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • S
    Safak

    Es stimmt mit "Wenig Interesse an Ramazan Avci".

     

    Das trifft aber die Mehrheitsgesellschaft und ihre Medien, die vielmehr für Figuren wie T. Sarrazin (mit seiner rassistische und antisemitische Schriften und Talkgefasel für die Mehrheitsgesellschaft bereits in kurze Zeit bereits Millionär geworden) oder Necla Kelek, die als Anerkennung süchtige Front-Sozilogin die konservative Bürgertum und Moslemhasser_innen mit ihre „authentische“ Gifte bedient und dabei ihre Bemühungen als „Frauenbefreiung“ vermarktet.

     

    Im Gegenteil zu der Mehrheitsgesellschaft gibt es aber großes Interesse seitens antirassistischer Milieus der Mehrheitsgesellschaft, die eine gewisse Verantwortung für die deutsche Realität von heute und gestern empfinden und darauf reagieren.

    Vor allem gibt es aber großes Interesse aus den Communities der Migrant_innen in Haburg. Sie wurden bereits durch die Initiative zu Gedenken an Ramazan Avci nicht nur mit zwei Aufrufen (auf türkisch und Deutsch) angesprochen, sondern je nach Möglichkeiten auch in Form von Flyern in, Farsi, Arabisch Kurdisch, Türkisch, Englisch, Französisch angesprochen. Besonders die türkischsprachige Presse in Hamburg hat bereit von Treffen der Initiative berichtet. Von wenig Interesse kann nur die Rede sein, wenn es dabei um die deutsche Presselandschaft geht, wir werden sehen, ob sie auch die Kundgebung am 21.12.2010 ignorieren werden.

    Jedenfalls werden wir zahlreich und bunt dort erscheinen und an unsere ermordeten erinnern.. Zusammen mit den Angehörigen von Ramazan Avci, werden wir jung- alt, frau-mann, schwarz-weiß usw. aus allen Teilen der Communities in Hamburg und Umgebung am 21.12.2010 vor S-Bahn Landwehr sein. Wir werden nicht nur an Ramazan Avci erinnern, sondern auch an andere Ermordeten durch Nazis/Rassisten und stattliche Rassismus.

    In Form von Redebeiträgen und Grußworte, Lieder und Gedichte, künstlerischen Aktionen und Transparenten werden wir unsere Trauer und Zorn gegen Rassimus zum Ausdruck bringen.

    Wer Verantwortung empfindet, wird kommen, viele werden bei uns sein, wenn sie nicht kommen können. Das wissen wir..

    Wir wissen auch, dass besonders diejenigen etablierte Presse, die als Sprachrohr für Rassisten und Antisemiten fungiert, keinem besonderen Interesse zeigen wird. Daran sind wir gewohnt..

     

    Kein Schweigen ! Kein Vergessen!

  • R
    Reyhan

    Ich finde diesen Artikel viel wichtiger als berichte über waffensammelende Nazis, die einfach 16-jährige abballern und das als "Notwehr" deklarieren, wie in Sittensen geschehen.

     

    Weiter so, WIDER DAS VERGESSEN, GEGEN INTOLERANZ!

  • A
    Andrej

    Für mich als Russen gibt es momentan eine andere Person an die ich denken muss, Jegor Swiridow, der kaltblütig in Moskau exekutiert wurde! R.I.P ;(