Erinnerung an rassistischen Mord: "Es hat mich krank gemacht"
Gülistan Ayaz-Avcis Mann wurde 1985 in Hamburg von Neonazis getötet. Heute wird sie auf dem Ramazan-Avci-Platz sprechen.
taz: Frau Ayaz-Avci, morgen wird der Platz vor dem S-Bahnhof Landwehr nach Ihrem getöteten Mann Ramazan Avci benannt. Wie stehen Sie vor diesem Ereignis?
Gülistan Avci: Es ist jetzt 27 Jahre her und innerhalb dieser Zeit ist gar nichts gewesen. Kein tatsächliches Interesse. Nun ist es soweit, dass dieser Platz benannt wird. Das ist für mich schon eine Erleichterung.
Sie werden eine Rede halten. Welche Botschaft soll bei den Menschen ankommen?
Ich fordere und wünsche, dass so etwas nicht noch einmal passieren kann. Ich möchte, dass man sich aufrichtig mit der Tat auseinandersetzt und dies politisch gewollt ist. Damit nicht noch einmal geschieht, was mein Sohn erleben musste: dass Kinder ohne ihren Vater aufwachsen.
50, war schwanger und lebte ein Jahr mit ihrem Verlobten Ramazan Avci zusammen, als dieser von Nazis so schwer misshandelt wurde, dass er Heiligabend 1985 starb.
Vor zwei Jahren hat sich die Initiative zur Benennung des Platzes gegründet. Warum nicht schon viel eher?
Das weiß ich auch nicht. Die Initiative ging nicht von mir aus. Die war unabhängig.
Die Idee, den Platz zu benennen, war also auch nicht Ihre.
Ich hatte über die Jahre schon immer den Wunsch, ein Zeichen zu setzen, dass so etwas nicht noch einmal geschehen darf –und um seiner zu gedenken. Es war für mich eine wichtige Lehre, dass die Zeit vergeht und nichts geschieht. Als die Initiative an mich herantrat, haben sich diese Wünsche getroffen.
Die Täter, eine Gruppe Nazi-Skinheads, wurden wegen Totschlags zu Haftstrafen zwischen einem und zehn Jahren verurteilt. Haben Sie das Urteil als gerecht empfunden?
Nein, ich kann das nicht mit meinem Gerechtigkeitsverständnis verbinden. Seit Jahren sind die Täter frei und leben ihr Leben.
Wie haben Sie sich damals die Entscheidung des Gerichts erklärt?
Ich kann nur sagen, dass ich dieses Urteil in keinster Weise annehmen konnte und dass es mich auch psychisch sehr belastet hat. Ich habe darin keine Wiedergutmachung gesehen. Es hat mich krank gemacht.
Wann wurde Ihnen bewusst, dass die Tat einen rassistischen Hintergrund haben könnte?
Gleich am Anfang.
Konnten Sie noch mit Ihrem Mann sprechen, als Sie ihn im Krankenhaus besucht haben?
Nein. Sein Bruder hatte mir am Vorabend, an dem es geschehen war, gesagt, mein Mann sei nur ganz leicht am Fuß verletzt. Ein Autounfall. Man hatte mir nicht gesagt, dass es ein Angriff war und dass er in Lebensgefahr war – ich war ja hochschwanger. Als ich am nächsten Tag ins Krankenhaus kam, bin ich als Einzige zu ihm gelassen worden. Ich hatte darauf bestanden, ihn zu sehen. Da wurde mir bewusst, wie ernst seine Lage war: Er war bewusstlos und an Maschinen angeschlossen und eigentlich gar nicht mehr richtig am Leben. Als ich den Raum wieder verlassen hatte, erfuhr ich noch im Krankenhaus, dass es ein rassistischer Überfall gewesen ist.
Ihr Sohn ist geboren, da war ihr Mann schon gestorben. Wie haben Sie Ihrem Kind vermittelt, was mit dem Vater passiert ist?
Mir war es wichtig, ihn nicht zu belasten. Erst als er zehn Jahre alt war, habe ich mit ihm darüber gesprochen. Er war ja schließlich ein Kind. Doch er hat vorher schon mitbekommen, dass sein Vater keines natürlichen Todes gestorben ist. Und er hat auch gefragt: Wer hat denn meinen Vater umgebracht?
Wie geht Ihr Sohn heute damit um? Engagiert er sich auch politisch oder will er mit der Sache nichts zu tun haben?
Er trauert, auf der Gefühlsebene. Er ist sehr verbunden mit den Bildern seines Vaters, die er aufgestellt hat. Er macht seine Ausbildung und versucht, das alles zu verarbeiten. Aber er ist nicht politisch aktiv. Ich bin engagiert und er überlässt es mir, mich in der Öffentlichkeit zu positionieren.
Hatten Sie nach dem Tod Ihres Mannes den Gedanken, Deutschland zu verlassen?
Ich wollte gehen. Da war mein Sohn drei Tage alt. Doch der türkische Konsul lud mich ein und sagte, dass ich als Alleinerziehende in Deutschland mehr Unterstützung bekomme. Er hat mich überredet, hierzubleiben.
18 Tage nach dem Tod Ihres Mannes, gab es deshalb eine große Demonstration. Wie haben Sie das empfunden?
Mir ist damals das Leben aus den Händen geglitten. Mein Mann war gerade verstorben – ich mit einem neugeborenen Kind – mir war gar nicht bewusst, was um mich herum geschah. Von den großen Demonstrationen habe ich nichts mitbekommen. Ich war wie ein Roboter in meiner tiefen Trauer. In dieser Zeit sind keine Deutschen auf mich zu gekommen.
Später hat Ihnen dann aber der CDU-Politiker Wolfgang Kramer Geld überwiesen.
Herr Kramer hat sich an uns gewandt und meinen Sohn 18 Jahre lang durchgehend mit 200 Euro im Monat unterstützt. Das war ein sehr großes Entgegenkommen, sehr schön und ehrenhaft. Er hat das als Privatperson getan.
Vor einem Jahr sind mit dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds sehr viele Morde an Migranten aufgeklärt worden. Wie ging es Ihnen, als Sie davon erfahren haben?
Das war schlimm. Diese Nachrichten haben mich überwältigt. Ich musste sehr an den Tod von Ramazan denken und an das große Leid, das ich erfahren habe. Der Gedanke, dass so viele Familien das ebenfalls erlebt haben, hat mich sehr aufgewühlt. Ich wollte diese Nachrichten am liebsten gar nicht sehen – habe dann aber doch hingeschaut und mir gedacht: Jetzt ist es wenigstens für diese Fälle geklärt, wer die Täter sind. Das war für mich eine kleine Genugtuung.
Sie waren 25 Jahre nicht auf dem Platz vor dem Bahnhof Landwehr. Haben Sie ihn bewusst gemieden?
Ja. Ich bin nicht mit dem Bus oder der U-Bahn in diese Richtung gefahren. Das war eine bewusste Entscheidung.
Haben Sie sich bedroht gefühlt? Hatten Sie Angst, dass Ihnen so etwas auch passieren könnte?
Es war eher der Schmerz, der mich davon abhielt, mich in diese Richtung zu bewegen. Von Angst kann ich nicht sprechen. An dem Tag, an dem Ramazan getötet wurde, bin ich auch in einer anderen Form gestorben. Was könnte schon passieren? Jetzt könnten sie mir höchstens mein Leben nehmen. Ich empfinde keine Angst vor diesen Menschen. Nur wenn ich an die Feier denke, bin ich besorgt: Ob dort von rechtsradikaler Seite etwas passieren könnte? Mein Sohn wird morgen auch anwesend sein. Um ihn habe ich Angst.
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