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Aref Hajjajs ReisetagbuchDie tragischen Helden

Wie der deutsch-palästinensische Autor Aref Hajjaj in das Land seiner Geburt zurückkehrte und die Situation der israelischen Araber erlebte.

Straßenszene aus Bethlehem. Bild: dpa

1. Tag, Tel Aviv

Ankunft spät nachts in Tel Aviv. An der Passkontrolle im Flughafen Ben Gurion spüre ich eine Mischung aus Spannung und Neugierde. Freunde, Deutschpalästinenser wie ich, erzählten mir zuvor von stundenlangen Befragungen und anderen "Nettigkeiten", mit denen man zu rechnen habe. Indes: Die Abfertigung verläuft reibungslos und dauert kaum zehn Minuten. Verwunderung und Erleichterung zugleich. Aber auch ein wenig Enttäuschung. Habe ich mich doch auf eine längere Vernehmung penibel vorbereitet.

Der Taxifahrer, der mich in ein zentral gelegenes Hotel bringt, spricht kaum Englisch. Da er mich zudem für einen Israeli hält, redet er mit mir zunächst Hebräisch. Als ich ihm etwas zögerlich von meiner Herkunft berichte, outet er sich als irakischer Jude.

Wir sprechen dann Arabisch, jeder mit seinem eigenen Dialekt. Er beteuert, den Staat Israel über alles zu lieben, was allerdings nicht heiße, dass er alle Israelis gleichermaßen schätze. Im Gegenteil könne er viele seiner Landsleute, insbesondere die "Russen" und die Ultraorthodoxen, überhaupt nicht leiden. Für eine stichhaltige Begründung reicht sein Arabisch allerdings nicht.

2. und 3. Tag, Tel Aviv und Jaffa

City-Tour im überfüllten Reisebus durch das pulsierende, architektonisch jedoch gesichtslos-hässliche Tel Aviv. Ich höre interessante Darlegungen über Pioniere des Bauhauses, die Kunst-und Museumszene sowie zum überbordenden Nachtleben einer wahrhaft hedonistischen Stadt. Vom "Unabhängigkeitskrieg" 1948 wird auch gesprochen, aber nicht von Palästina. Dem Zuhörer wird suggeriert, der Staat Israel habe auch vorher schon bestanden. Dann fahren wir an Stellen vorbei, an denen Selbstmordattentäter Anschläge verübt haben. Nur hier hören wir das Wort "Palästinenser" oder "palästinensische Terroristen".

Ein Wiedersehen mit meiner Geburtsstadt Jaffa. Mich begleiten zwei hier lebende israelische Araber. Der eine ist 12 Jahre vor Ausbruch des Krieges 1948 geboren worden, der andere deutlich später nach der Staatsgründung.

privat

Aref Hajjaj, geboren 1943 in Jaffa, damals noch Palästina. Er hat für das Auswärtige Amt gearbeitet und ist Vorsitzender des Palästina-Forums. Über seine Lebenserinnerungen schrieb er das Buch "Angekommen in Deutschland". In der FAZ hieß es, dieses Werk komme in der aktuellen Integrationsdebatte "gerade recht".

Der alte Herr gehört zur Führungsriege eines etwa 300 Menschen zählenden Clans. Beide erzählen mir von typischen Problemen israelischer Araber. So dauere die Bearbeitung ihrer Akten bei den Behörden meist länger als bei denen der jüdischen Israelis. Und wenn sie einen Bebauungsplan beantragen, rechneten sie schon vorher mit einer Ablehnung oder aufwändigen Änderungsdekreten.

Sie sagen aber auch, sie hätten sich mit den Verhältnissen arrangiert. Denn trotz der Benachteiligungen seien sie sozial recht gut abgesichert. Der jüngere Mann versucht den Anschein zu erwecken, im israelischen Staat angekommen zu sein. Beim Nachhaken vernehme ich dennoch Spuren beklemmender Resignation. Letztlich lebt er in einer Parallelgesellschaft.

Über eines klagen die beiden tatsächlich: die Justiz. Die sei zwar gesetzestreu, aber oft ungerecht: Das Strafmaß liege im Ermessen des einzelnen Richters, werde meist zu Ungunsten der Nichtjuden ausgelegt.

Ich besuche mit meinen zwei Begleitern die alte Plantage meiner Familie am Stadtrand. Nichts ist übrig geblieben. Wo früher das Bewässerungsbassin stand, das wir als Kinder oft zum Baden zweckentfremdet haben, steht nun ein modernes Schwimmbad. Wo Bäume standen, gibt es Häuser und noch mal Häuser, die nach der Staatsgründung Israels auf den Plantagen gebaut wurden. Alles ist betoniert.

Der jüngere Begleiter hat Mühe, meine aufgewühlte Stimmung zu begreifen. Der Ältere hingegen hat bereits feuchte Augen. Er erzählt von jüdischen Bekannten und Freunden, die ihm und seiner Familie gegenüber freundlich und hilfsbereit seien, solange nicht thematisiert werde, dass dieses Land früher den Palästinensern gehörte.

4. bis 6. Tag, Jerusalem

Besuch zweier Welten. Westjerusalem ist in seiner verbissenen, zur Schau getragenen, uniformierten jüdischen Religiosität ein schockierendes Kontrastprogramm zu Tel Aviv. Im arabischen Osten hat eine Art islamische Uniformierung in den letzten Jahren deutlich an Einfluss gewonnen. Vor den beiden heiligen islamischen Schreinen, der Al-Aksa-Moschee und dem Felsendom, verweigern die Wächter Nichtmuslimen den Eintritt.

Die Christen Jerusalems geben sich auch nicht versöhnlicher. Ein nahe der Grabeskirche meditierender koptischer Priester erzählt mir, seit 50 Jahren nicht mehr in Ägypten gewesen zu sein, "weil Muslime Christen hassen und diskriminieren". Ein anderer sagt: "Ich verabscheue die Juden. Schließlich haben sie uns unserer Kirche in der Nähe der Grabeskirche beraubt und sie diesen Äthiopiern vermacht."

7. bis 13. Tag, der Norden

In der Altstadt von Haifa lerne ich einen palästinensischen Künstler und seine aus Ungarn stammende Frau kennen. Sie macht auf mich den Eindruck, wegen der Verhältnisse in Israel sehr verbittert zu sein, weit mehr als ihr Mann. Sie wolle partout nicht hier begraben werden, sagt sie. Wildfremde Menschen hätten ihr mehrfach nahegelegt, in ihre Heimat zurückzukehren, weil sie keine Jüdin, sondern Christin sei.

Ihr Mann erzählt, dass gerade in Haifa, Akku und zum Teil Nazareth ein gemeinsames jüdisch-arabisches Leben recht gut funktioniere. Eigentlich jedoch lebten beide Volksgruppen in Israel nicht miteinander, sondern friedlich-misstrauisch nebeneinander.

Mein mir bis dahin unbekannter Schwager Abu Firas, geistig geschmeidig und in seinem Denken sehr anpassungsfähig, kann mit Juden und Palästinensern gleichermaßen gut umgehen. Er ist mit meiner Cousine verheiratet, die ich zuletzt 1948 im Alter von fünf Jahren sah. Viele seiner Altersgenossen seien im Umgang mit Staat und der jüdischen Mehrheit nach wie vor verängstigt, ja servil, sagt er.

Er hingegen denke und handle ähnlich aufmüpfig wie die jungen Araber. Er liebe es, mit den Juden "Tacheles" zu reden.

In Abu Firas ringen Pragmatismus und das Befürworten einer härteren arabischen Vorgehensweise gegen Israel miteinander. Trotz leiser Sympathie für Hamas und Hisbollah setzt er auf die normative Kraft des Faktischen. Er sieht keine Alternative zum Frieden, aber dies bedeutet aus seiner Sicht, früher oder später in einem "gemeinsamen" Staat zu leben, mit gleichen Rechten und Pflichten für beide Volksgruppen. Schließlich hätten Juden und Palästinenser vor Israels Gründung unter dem Strich in Frieden gelebt, dies müsse die Botschaft für die Zukunft sein.

Er selbst möchte weder in einem "rassistischen", jüdisch geprägten Staat leben noch in einem palästinensischen "Nationalstaat", der womöglich autoritär und korrupt oder totalitär-islamistisch sein könnte. Zionismus und arabischer Nationalismus seien beide Auslaufmodelle.

Früher bildete Abu Firas bei der Histadrut, einem gewerkschaftlichen Dachverband wie dem deutschen DGB, arabische und jüdische Jugendliche aus. Er sagt heute, er sei der "Alibiaraber" gewesen.

Doch nicht nur von den jüdischen Israelis, auch von den Arabern im Westjordanland und Jordanien werden israelische Araber skeptisch betrachtet. "Arrogant" und "kollaborationsanfällig" würden sie dort genannt, sagt man mir. Ihnen schlagen Neid und Missgunst wegen ihrer besseren sozialen Absicherung entgegen.

Der mit klugem Kopf und warmem Herzen gesegnete Abu Firas glaubt allerdings, dass Israels Araber mehr gelitten haben als die vertriebenen Palästinenser, da sie ständig den israelischen Repressionen ausgesetzt gewesen seien.

Als ich ihm sage, dass der deutsche TV-Moderator Harald Schmidt israelische Araber einmal als die wahren Helden bezeichnete, sagt Abu Firas: "Ja, allerdings sollte man sie die tragischen Helden nennen."

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8 Kommentare

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  • R
    Rhabarber

    Es gibt einen einfachen Grund warum man so einen Bericht kaum oder gar nicht über Juden(und bald Christen) im Irak, in Saudi-Arabien,in Syrien, Jordanien, dem libanon und auch der Türkei schreiben kann. Sie schweben dort in akuter Lebensgefahr, wurden bereits ermordet oder sind nach Europa oder als Juden oft Israel geflohen. Dies wird zwar teils politisch aber immer auch mit klaren Aussagen im Koran begründet. Die Israelis hätten jeden Araber militärisch vertreiben können. Sie haben es nicht getan. Ich behaupte nicht, daß es toll ist als Araber in Israel zu leben, aber es ist um Lichtjahre besser als ein Christ oder gar Jude in einem islamischen land zu leben. Bildungsmöglichkeiten und Lebensstandard sowieso aber vor allem ist es etwas Anderes ermordet zu werden als auf dem Amt länger zu warten. Besonders in einem Miniland um das herum Menschen mit der gleichen Religion und Abstammung wie der Autor leben die liebend gerne alle Juden ausrotten würden wenn sie nur könnten und dies täglich von sich geben. Unser Problem sollte erst einmal sein, daß ein Jude in Berlin keine normale Schule besuchen kann sobald dort ein bestimmter Anteil Muslime ist. In Neuköln haben es alle Nichtmuslime schwer aber ein jüdisches Kind wäre wirklich gefährdet. Jeder weiß es und es wird geschwiegen wie 1933 und lieber wieder mal der Nahostkonflikt gelöst.

  • J
    Johann

    George Brown, britischer Ausseminister, sagte 1967: für die Zukunft des Nahen Ostens sehe er "no solutions, only consewuences".

  • CZ
    Christa Zubaidi

    Ich wuerde das Buch von Shlomo Sand "Die Erfindung des juedischen Volkes"empfehlen ,um die Geschichte zu verstehen.

  • B
    bernd

    just for the record : die bezeichnung palästinenser gibt es erst seit ein paar jahrzehnten- vor der staatsgründung israels waren sie einfach nur araber ... diese kurze anmerkung scheint mir angesichts des intifadeverzerrten gesichts einiger kommentatoren notwendig.

  • MK
    Mika Krause

    Wenn man die Geschichte betrachtet besaßen die Juden das Land "Israel" schon sehr lange vor den Palästinensern.

     

    Die Vertriebenen sind nur zurückgekehrt.

  • S
    Stefan

    In letzter Zeit liest man öfter mal, dass "Juden und Palästinenser schließlich vor Israels Gründung unter dem Strich in Frieden gelebt hätten". Wenn man den Pogromen keine große Bedeutung beimisst, dann mag der Unsinn stimmen - unter dem Strich. ...aber leider nicht für die Juden, die oberhalb dieses Striches bereits subtrahiert worden sind. Nette Botschaft für die Zukunft.

  • AA
    Ala Al-Hamarneh

    Sorry, es sind keine israelische Araber, sondern Palästinenser in Israel. Um die Probleme zu verstehen, muss man die rechtigen Fragen stellen und die rechtigen Begriffe verwenden. Sonst läuft die Gefahr, eine falsche "Wirklichkeit" weiter zu geben. Die Palästinenser in Israel bezeichen sich mehrheitlich als "Palästinenser" und das ist das Wichtigste, um sie und ihre Lage zu verszehen.

  • JR
    Josef Riga

    Mit jedem Stein, der von siedlern auf arabischem Land errichtet wird, rückt die Ein-Staaten-Lösung näher.