"La Danse", ein Geheimtipp: Trauer und Schönheit
Alle wollen "Pina" sehen: Doch dass Wim Wenders Film trotz 3-D auch etwas fehlt, zeigt ein Vergleich mit "La danse" von Frederick Wiseman.
So viel Aufmerksamkeit ist die Tanzwelt nicht gewohnt. Als Darren Aronofskys romantisches Gruselmärchen "Black Swan" schon vier Tage nach dem Start in Deutschland in den Charts ganz oben stand, reagierte sie nervös. John Neumeier, Ballettchef aus Hamburg, meldete sich zu Wort, um vor einem verzerrten Bild seiner Kunst zu warnen: Karrieredenken, Magersucht, despotische Intendanten, alles bloß böse Klischees. Ziemlich naiv, diese Empörung, unterstellt sie doch, das Filmpublikum könne zwischen genretypischen Erzählfiguren und Realität nicht unterscheiden.
Viel Tanz ist in "Black Swan" eigentlich nicht zu sehen, die Schauspielerin Natalie Portman ergeht sich in pathetischen Armgesten und bleibt ansonsten eine Tänzerin ohne Unterleib. Aber da das Kino nicht oft mit Ballett in Berührung kommt, machen selbst einige Tanznummern aus der Konserve "Black Swan" zu einem Tanzfilm.
Tanzfilme sind selten. Dass gleich drei große Produktionen innerhalb von acht Wochen ins Kino kamen, ist eine kleine Sensation: "La Danse" von Frederick Wiseman, "Black Swan" und "Pina" von Wim Wenders, seine große Hommage für die gestorbene Choreografin.
Frederick Wisemans Film "La Danse" bildet den Geheimtipp in diesem Trio: Und doch ist es der beste Ballettfilm, den ich je sah. Wiseman schaut einfach zu, voller Neugierde, voller Muße und ohne den Anspruch, irgendetwas zu erklären. Man sieht, wie Spitzenschuhe bearbeitet und Kostüme mit Perlen bestickt werden, ist bei Proben und in Trainingklassen dabei. Wenn eine Tänzerin mit ihrem Partner wieder und wieder durch eine Szene geht, in der aus ihrem Wegrutschen und seinem Nachgreifen ein hochkomplexes Duo entsteht, begreift man etwas vom Suchen und Finden von Bewegung.
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"La Danse" von Frederick Wiseman, 150 Minuten, brachte der kleine Freiburger Verleih Kool Ende Dezember in die deutschen Kinos. Vom Keller bis zum Dach spaziert man durch die Pariser Oper, hört alten Ballettmeistern bei ihren grantigen Kommentaren zu, sieht hinreißende Duette und sich quälende Eleven. Gibt es auch als DVD.
"Black Swan" von Darren Aronofsky erzählt die klassische Geschichte der kleinen Tänzerin, die für die große Rolle ihr Leben opfert. Er führte erst in den USA, dann in Europa die Charts an, ist für viele Oscars nominiert und heimste auch schon Preise der britischen Filmakademie ein.
"Pina" von Wim Wenders, ein Film in 3-D, kam auf der Berlinale heraus, Angela Merkel hat ihn dort gesehen. Jeder Tänzer aus dem Ensemble von Pina Bausch erinnert sich darin voll Verehrung an die Choreografin und widmet ihr ein Solo oder Duo. Außerdem sind vier ihrer Stücke zu sehen. Kinostart am 24. Februar.
Klar, es spielt dabei das Wissen eine Rolle, dass Wiseman in einer der ältesten und berühmtesten Ballettcompagnien der Welt gedreht hat, dem Ballett der Pariser Oper. Jeder Choreograf, der hier arbeitet, ist ein Star - von Nurejew über Mats Ek bis zu Sasha Waltz. Aber man erfährt die Namen erst aus dem Abspann; während des Sehens geht es nicht um die Kunst von x oder y, sondern einfach um "La Danse", man schaut dem Tanz um seiner selbst willen zu.
Der Blick des über 80-jährigen Regisseurs hat dabei etwas Beiläufiges und zugleich Egalitäres. Bedeutung wird nie behauptet, und sie für sich herzustellen ist dem Betrachter überlassen. Das ist eine Freiheit, die auch Pina Bausch ihrem Publikum gelassen hat und die dem Film "Pina" von Wim Wenders fehlt. Wenders Film ist in jeder Szene von seiner Mission erfüllt, dieser großen Choreografin ein Denkmal zu setzen.
Von ihrem Blick, in dem sich die Tänzer aufgehoben fühlten, von ihrer Methode des Fragens und des Offenhaltens von Bedeutungen ist im Film oft die Rede, wenn sich die Tänzer an sie erinnern. Diese Methode des Fragens wollte sich der Regisseur Wim Wenders auch für seinen Film zu eigen machen. Aber alles ist sehr enggeführt, alles kreist um die Erinnerung. Und das ist beklemmend.
Gewiss, man muss dem Film zugute halten, dass er aus einem Schock hervorgegangen ist, der Trauer über den Verlust von Pina Bausch. Im Umgang mit dem Verlust hat Wenders sein Motiv gefunden, dem er dann in den Stücken von Pina Bausch, besonders in "Café Müller" und "Vollmond" wieder begegnet.
Wie das Ensemble des Wuppertaler Tanztheaters ohne sie weitertanzt, um ihren Geist und ihren Atem in ihren Stücken am Leben zu halten, das vermittelt "Pina" überzeugend und anrührend. Aber all dem wohnt auch ein Ansatz zur Verklärung und Anbetung von Pina Bausch inne, der dem Unprätentiösen ihrer Kunst nicht gerecht wird.
Alle wollen "Pina" sehen; Wim Wenders Film wird viele trösten, die nie eine Vorstellung besuchen konnten. Man lernt wichtige Arbeiten von ihr kennen, Wendemarken, an denen sich ihr eigener Zugang zum Tanz und zur Erschließung neuer Inhalte herauskristallisierte: Mit "Le sacre du printemps" von 1975 wird das Erbe des deutschen Ausdruckstanzes angenommen.
"Café Müller" von 1978 ist ein Stück über nie zu stillende Sehnsucht, ein Motiv, das Pina Bausch ebenso wenig losließ wie das Werben um Anerkennung und Begehrtwerden, das in "Kontakthof" aus dem gleichen Jahr so unnachahmlich verhandelt wurde. Alle Stücke filmte Wenders in 3-D-Technik und in der aktuellen Besetzung.
Dass dem erfahrenen Filmregisseur die 3-D-Technik so wichtig war, dass er sie für den unumgänglichen Schlüssel hält, von der Körperlichkeit der Tänzer und ihrer Präsenz im Raum zu erzählen, überrascht. Denn wenn seine Bilder den Betrachter auch nah an die Tänzer heranbringen, ob man deshalb mehr vom Wesen der Bewegung versteht, bleibt zweifelhaft.
Zum Teil hat 3-D, gerade bei den Szenen im Stadtraum von Wuppertal, einen verniedlichenden Effekt: Eine laute Kreuzung von Straßen und Schwebebahn sieht aus wie aus dem Modellbaukasten. An Wuppertal als Heimat festzuhalten, an einer unspektakulären Kleinstadt, die zunehmend unter ihrer Armut ächzt, war charakteristisch für Pina Bausch. Dass sie sich zu dieser Erdung bekannte, machte viel von dem Charme ihrer Arbeiten aus.
In Wim Wenders Film ist Wuppertal voller attraktiver Architekturen und verträumter Winkel, bis in den Maschinenraum der Schwebebahn hinein: eine Romantisierung des Stadtbildes, das ihre Kraft als Antrieb, als Gegensatz zur Kunst, verstellt.
Wiseman lässt den Betrachter am Werden des Tanzes teilnehmen, sein rätselhaftes Entstehen zwischen den Normen, die das Training und die Tradition vergeben, und die Freiheit des noch von keinem Thema besetzten Raumes verfolgen. Das konnte Wenders nicht mehr, durch den Tod der Choreografin im Juni 2009 war ihm die Möglichkeit, bei Proben zu drehen, genommen. Doch er erzählt auch nichts über die Produktionsbedingungen des Tanztheaters.
In "La Danse" geschieht auch das in schöner Beiläufigkeit. Man spitzelt in eine Betriebsversammlung hinein, in der es um Rentenansprüche geht, oder erlebt die Verhandlungen der Direktorin Brigitte Lefévre mit Sponsoren. Unauffällig wird man so in die hierarchische Struktur des Hauses eingeführt. Ohne dass man auch nur ein Wort Kommentar hört, ermöglicht Wiseman so dennoch eine kritische Distanz gegenüber dem gigantischen Apparat der Pariser Oper.
Ein solches Ins-Verhältnis-Setzen der Kunst zu den Bedingungen ihrer Herstellung ist der Part, der in Wenders Hommage an Pina Bausch fehlt. Das hätte für etwas mehr Freiraum gesorgt, sich als Zuschauer selbst zu den berückenden Bildern ins Verhältnis zu setzen.
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