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Parteiinterne Kritik an MerkelAKW-Abschaltung wohl rechtswidrig

Die Regierung ist unsicher, ob Merkels Schnellschuss rechtlich überhaupt durchsetzbar ist. CDU-Parteikollegen werfen ihr vor, am Parlament vorbei zu agieren.

Im Bundeskanzleramt erklärte Merkel, dass eine schnelle Abschaltung möglich sei. Bild: dapd

BERLIN taz | Angela Merkels Atom-Moratorium gerät, kaum verkündet, von mehreren Seiten unter Druck. Vonseiten der Politik, der Konzerne und vor allem juristisch. Die Opposition fordert die Rückkehr zum rot-grünen Atomausstieg und will dies am Donnerstag per namentliche Abstimmung im Parlament unterstreichen (siehe Interview mit Jürgen Trittin). Aber auch aus den eigenen Reihen kommt Kritik am Schnellschuss der Kanzlerin - besonders weil das Moratorium am Parlament vorbei durchgesetzt werden soll.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) lässt prüfen, ob es dabei mit rechten Dingen zugeht oder ob "weitere gesetzliche Regelungen" nötig sind. Auch in Regierungskreisen ist man sich bewusst, wie dünn das Eis ist, auf dem man sich mit dem Moratorium bewegt. Es sei eben darum gegangen, Handlungsfähigkeit zu beweisen - so wie in der Bankenkrise im Herbst 2008, als die große Koalition den Sparern versprach, ihr Geld sei sicher.

"Die Regierung musste angesichts der Bilder aus Japan handeln. Da sollte man nicht päpstlicher als der Papst sein", sagt ein Spitzenpolitiker der FDP. Doch die Wirkung von TV-Bildern kurz vor Landtagswahlen ist das eine, ein rechtlich wasserdichtes Verfahren etwas anderes.

Zweifel in der Regierung

Die Regierung scheint selbst unsicher, ob ihr Verfahren rechtlich wasserdicht ist. Das zeigt der stille Wechsel der rechtlichen Begründung für das Moratorium. Zuerst war die Rede davon, dass die schwarz-gelbe Regierung das Gesetz über die Laufzeitverlängerung einfach für drei Monate aussetzt.

Doch das geht schlicht nicht. Laut einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, das der taz vorliegt, wäre die Aussetzung der im Herbst 2010 beschlossenen Laufzeitverlängerung verfassungsrechtlich nicht möglich.

"Zur Änderung der Reststrommengen der Kernkraftwerke bedürfte es einer Änderung des Atomgesetzes durch ein Bundesgesetz." Im Klartext: Es ist unzulässig, am Parlament vorbei ein Gesetz für eine Zeit auszuhebeln, wenn dies zu Nachteilen für Bürger oder Unternehmen führt. Schwarz-Gelb hätte im Bundestag also erst sein eigenes, erst vor sechs Monaten beschlossenes AKW-Gesetz kassieren müssen.

Also setzt die schwarz-gelbe Regierung jetzt auf ein anderes Verfahren, um schnell und ohne parlamentarisches Prozedere Fakten zu schaffen und Handlungsfähigkeit zu beweisen: das Atomgesetz.

Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) ist der Ansicht, dass Paragraf 19 Absatz 3 das Moratorium rechtfertigt. Dort heißt es, dass AKWs "einstweilen oder endgültig eingestellt" werden können, wenn ein rechtswidriger Zustand besteht oder wenn sich durch radioaktive Strahlung "Gefahren für Leben, Gesundheit und Sachgüter ergeben können". Die Staatssekretärin im Umweltministerium, Ursula Heinen-Esser, hält genau das nach dem GAU in Japan für evident. Bei neuen Erkenntnissen über die Sicherheitslage, könne das Ministerium eingreifen.

Keine Legitimation für Abschaltung

Auch diese Begründung des Moratoriums wirkt wenig sattelfest. Linkspartei-Politiker und Jurist Wolfgang Neskovic kritisiert: "Der Paragraf 19 Abs. 3 des Atomgesetzes ist erkennbar auf ganz konkrete Gefahrenlagen ausgerichtet, nicht jedoch auf die Neubewertung allgemein bekannter, abstrakter Risikolagen." Genauso sieht es der CDU-Rechtsexperte Siegfried Kauder. Ohne "konkrete Strahlengefahr für die Bevölkerung oder einen Verstoß der Kraftwerksbetreiber gegen rechtliche Vorgaben" tauge der Paragraf nicht als Legitimation für die Abschaltung.

Will sagen: Damit der Paragraf greift, muss das Umweltministerium für jedes abgeschaltete AKW konkret nachweisen, dass eine Gefährdung besteht. Und zwar seit Montag - nicht aber schon in der letzten Woche. Das dürfte schwierig werden - und teuer. Wenn die betroffenen Konzerne Eon, Vattenfall, RWE und EnBW nach Ablauf einer Pietätsfrist doch vor Gericht ziehen und gegen das Moratorium klagen, könnte sich die Atomgesetzkonstruktion als folgenschwerer Fehler erweisen.

Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) musste am Mittwoch im Umweltausschuss Rede und Antwort stehen. Der Minister sei "ein einziger Wackelpudding", klagte anschließend der SPD-Umweltpolitiker Matthias Miersch. Über eine mögliche Übertragung der Reststrommengen - für die vom Netz gehenden Altmeiler würden andere Reaktoren einfach länger laufen können - habe sich Röttgen nur vage geäußert.

Der Minister bekundete indes, es sei nun Zeit zum Handeln und nicht für "juristische Spitzfindigkeiten". Das Moratorium, so Röttgen, sei ein "politischer Begriff". Und damit kein rechtlich haltbarer?

Die schwarz-gelbe Regierung scheint mit ihrem Atommoratorium in Fallen zu tappen, die sie selbst ausgehoben hat. Ohne das Gesetz über die AKW-Laufzeitverlängerung wäre das politische und juristische Dickicht auf dem Weg zur AKW-Reduzierung kaum so undurchdringlich.

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17 Kommentare

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  • Z
    Zafolo

    > Naja, dann wird es wohl darauf hinauslaufen, dass die grossen Stromkonzerne sich das Abschalten einiger ihrer Kraftwerke vom Staat ordentlich versilbern lassen werden.

     

    Genau. Und Merkel wird es sich nochmal neu versilbern lassen, wenn sie dann ein ein paar Monaten wieder angeschaltet werden. Abgeschriebene AKW sind halt eine prima Geldquelle.

  • B
    buggy

    Naja, dann wird es wohl darauf hinauslaufen, dass die grossen Stromkonzerne sich das Abschalten einiger ihrer Kraftwerke vom Staat ordentlich versilbern lassen werden.

     

    Kosten für den Steuerzahler also, die ohne den Austieg aus dem Austieg gar nicht entstanden wären.

  • S
    snoopy

    Lammert lässt prüfen,ob es rechtlich ist Zeitbomben abzuschalten-,fantastisch! Hat er auch prüfen lassen, ob es rechtlich war, dass die Linken beim Hartz IV Sparplan ausgeschlossen wurden? Das ein Klüngel hinter verschlossen Türen stattfand? Jetzt geht es um die Lobby und jetzt wacht auch Lammert auf.

  • B
    B.Brecht

    Liebe Leserbriefschreiber:

    Frau Dr. Merkel lernt täglich dazu.

    Ist es da nicht folgerichtig, dass sie

    ihre Meinung ändert?

    Der Dame wahlkampftaktische Absichten zu

    unterstellen, kann ich mir bei einem

    Menschen, der so vertrauenswürdig ist,

    absoult nicht vorstellen.

  • KK
    Klaus-Dieter Kühn

    Herr von Dohnani (hart aber fair) und Frau Merkel sehen als Folge der Vorgänge in Japan eine "neue" Gefahr, die es sogar rechtfertigt Atommeiler in Deutschland abzustellen, obwohl diese Meiler unbestitten heute nicht weniger "sicher" sind als vor einem halben Jahr. "Neu" sei die Situation weil unvorhersehbare Kombinationen von Problemen einen Super-Gau zZ verursachen. Diese Aussage läßt an den intellektuellen Fähigkeiten dieser Politker zweifeln. Seit mehr als 30 Jahren gibt es Politiker (sogar in der CDU aber besonders in SPD und später Grünen)die genau diese Szenarien immer schon beschrieben haben; Frau Pausewang hat dies in einem bedrückenden Buch auch für Kinder verständlich gemacht. Harrisburg oder Biblis 1987 haben Fast-GAUs erlebt, wo weniger durch gute Reaktion sondern durch glückliche Umstände ein Super-Gau verhindert wurde. Und jetzt sei die Situation neu? Ja es ist etwas fast "neu". Neu ist, dass diesmal ein wohl unverherrsehbarer Vorgang zu einem GAU führte, der nicht mehr beherrschbar wurde, also zum Super-Gau wurde. Das so etwas durch menschliches Versagen oder Krankheitsausfall des Bedienungspersonals (Herzinfarkt, Gift etc) oder Raketen(Flugzeugangriff) auch in Deutschland unvorhersehbar passieren kann, ist natürlich gar nicht neu und rechtfertigt ganz gewiß keine Meilerabschaltungen, die zu Gewinneinbußen bei den Energiemultis führen. Aber da ist noch etwas neu: Politiker wie Merkel und Dohnany haben endlich aufgehört, Mahner in den eigenen Reihen als naive Idioten zu ignorieren.

  • KH
    Karin Haertel

    Ich komm mir vor wie im Kindergarten. Diejenien, die am lautesten nach Abschalten schreien, halten das nun fuer rechtswdrig. Es ist doch angeblich Gefahr in Verzug und dann gibt es keinen Spielraum mehr fuer solches Affentheater. Und moege man nun wegen des Abschaltens nicht mit Strompreiserhoehungen kommen, man hat sie wegen der Verlaengerung gerade erst erhoeht. Und das die Preiserhoehungen wegen staendiger Modernisierung der Leitungen sein muesse, ist gelogen. Der Stromaufall in Neukoelln letzte Woche hatte ein altes Kabel als Ursache.

  • V
    vic

    Es gibt keinerlei neue Sicherheitserkenntnisse Atomkraftwerke betreffend.

    Selbst ein "funktionierendes" AKW ist nicht sicher. Es kann nicht sicher sein, da der Mensch diese Technik nicht beherrscht.

    Dazu kommen unvorsehbare äußere Umstände; einzeln, oder wie in Japan eine Verkettung derselben.

    Menschliches Versagen des Personals oder mangelndes Verantwortungsbewusstsein der Betreiber.

    Kein deutsches AKW verfügt z.B. über einen "Core Catcher", eine Sperre die ein Enbrennen der Brennstäbe in`s Erdreich unter dem AKW verhindern könnte.

    Es gibt weltweit keine Endlagerstätte, die wird es auch niemals geben.

    Welche sind diese neuen Sicherheitserkennnisse der Kanzlerin also, dass sie Bundesratssitze verlieren könnte?

  • V
    vic

    Merkel regiert "ihr Land" wie eine Monarchin.

    Wenn ihr danach ist, kippt sie mal eben einen verbindlichen Atom-Kompromiss (der auch schon nichts getaugt hat) Um dann, wenn der Kragen eng wird, flugs gleich sieben AKWs vom Netz zu nehmen.

    AKW, die eben noch alternativlos waren.

    Und nun wartet der Untertan gespannt: Für wie lange?

    3 Monate, 6 Monate, für immer?

    Welche Gegenleistung verlangt die Atom-Industrie? Neue AKW mit NOCH längerer Laufzeit?

    Und wozu ist diese Frau wohl imstande, wenn es um IHREN Job geht, nicht "nur" um Landtagssitze.

  • H
    Hans

    AtomLobby: "Ey Merkel verarschst du uns? Wir haben dir viele schwarze Koffer gegeben, damit unsere Schrottkraftwerke 12 Jahre länger laufen! Das Gesetz ist schon bereits verabschiedet!!! Wir verklagen die Regierung!!!"

     

    Merkel: "Pssst! Es sind Wahlen! Wenn wir die nicht gewinnen seit ihr noch beschissener dran! Wir verarschen die Wähler 3 Monate lang und danach hat die verdummte Bevölkerung eh alles vergessen. Danach könnt ihr machen was ihr wollt. Ich sag dem Röttgen der soll die Umweltrichtlinien lockern.!!! Ach ja ich brauch noch ne Mille für den Wahlkammpf von Mappus auf dem Schweizer Konto."

     

    Atom-Lobby: "Ist gebongt!"

  • F
    Flo

    Zwei mal drei macht vier, widewidewitt und drei macht neune ...Ich mach mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt.

     

    Wenn (bestimmte) Politiker meinen, dass selbstgemachte Gesetze - gegen die eine breite Masse der Bevölkerung demonstrierte - nicht für sie gelten, dann reicht's. Konsequenzen haben sowieso nur die Anderen zu tragen. Ich geh mich erstmal übergeben und ess das morgen zum Frühstück.

     

    -- flo

  • N
    Nolo

    "Die Regierung musste angesichts der Bilder aus Japan handeln. Da sollte man nicht päpstlicher als der Papst sein"

     

    Dieser Satz aus dem Mund eines FDP-Politikers. Ich bin tief enttäuscht. Die Partei der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Wenn der Staat handelt, muss er unbedingt zu 100% korrekt handeln. Eine andere Grenze als 0-Toleranz kann nicht definiert werden.

  • JK
    Juergen K

    Japanische Regierung hätte Warnungen der IAEA in 2008 ignoriert. Das ginge aus einer WIKILEAKS US Depesche hervor.

     

    ... berichtet www.derwesten.de

     

    Quelle: http://www.derwesten.de/nachrichten/Japan-nahm-Warnungen-von-2008-nicht-ernst-id4428971.html

  • G
    glockenpeter
  • A
    AtoMappus

    Wir können alles, außer Sicherheit !

  • N
    nasevoll

    Ach, man sollte diesen macht- und geldgierigen Menschen einfach nur ihre Dollars, Aktien und die eigene Eitelkeit zu essen geben. Dann merken sie vielleicht, was sie der Menschheit antun.

  • AK
    Aaron Klötzer

    "Am Parlament vorbei [..] agieren" .. welch interessante Aussage! Denn eigentlich dachte ich Politik beschäftige sich mit den Bedürfnissen und den Wünschen der Bevölkerung und nicht mit sich selbst.

    Achja..das war sicher mal so geplant.

    Irgendwann.

     

    Mich würde gerade interessieren, wieviele Menschen sich in Deutschland gegen Atomkraftwerke aussprechen. Natürlich, die Ereignisse, die gerade(!) in Japan stattfinden, haben viel Angst geschürt und viele Menschen aufgeschreckt.

    Dennoch, ich kann mir nicht mal vorstellen, dass es vor diesen Ereignissen eine Mehrheit für AKWs in der Bevölkerung gegeben hätte. Heute jedoch gibt es diese ganz sicher nicht mehr.

  • S
    Schulz

    Wie lang ist die Liste der gesamten Rechtswidrigkeiten in Deutschland?

    Ist das ueberhaupt sinnvoll?

     

    Eine 3monatige Pause muss moeglich sein,

    auch ein endgueltiges Abschalten,

     

    wir haben seit vielen Jahren

    Anti-Atom---Bewegungen,

    die sind nicht alle aus dem Mittelalter,

    sondern eher die Leute,

    welche etwas naeher betroffen sind.

     

    Niemand muss Aussagen machen,

    welche die eigenen Existenz schaedigen.

    Beamte duerfen schon garnicht... streiken

    oder Widerspruch einlegen,

    dann werden die gegangen.

    Falschaussagen sind aber erlaubt oder...

    angeordnet.