Anti-Atom-Großdemonstration in Hamburg: Die Katastrophe als Chance
"Fukushima mahnt": Umweltorganisationen, Kirchen und Gewerkschaften machen mit bei der Großdemonstration in Hamburg gegen die Atomkraft.
HAMBURG taz | Jürgen Bollmann kommt auf den letzten Drücker. Der kommissarische Hamburger Bischof der Nordelbischen Kirche entschuldigt sich bei den Teilnehmern der Pressekonferenz zur norddeutschen Anti-Atomkraft-Großdemonstration: Er habe noch unter dem Eindruck einer beklemmenden E-Mail gestanden, die ihm kurz zuvor ein Freund aus Japan geschickt hatte.
Dieser habe ihn dazu beglückwünscht, dass in Deutschland "noch rechtzeitig die Diskussion um den Atomausstieg" entbrannt sei, erzählt Bollmann. In Japan sei es hingegen wohl zu spät: "Die Situation ist beängstigend."
Zusammen mit Robin Wood, ausgestrahlt, Campact, BUND und Naturfreunde sowie den DGB-Gewerkschaften ruft die evangelische Kirche im Norden unter dem gemeinsamen Motto "Fukushima mahnt: Alle AKWs abschalten" für den morgigen Samstag zum Protest in Hamburg auf. "Es ist näher gerückt, dass uns auch so etwas passieren kann", sagt Bollmann mahnend. "Wir Menschen haben doch nicht alles in der Hand."
In Hamburg findet am Samstag die norddeutsche Großdemo zum Ausstieg aus der Atomkraft statt.
Treffpunkt Moorweide 12 Uhr, Viele Fernzüge halten am Dammtorbahnhof: S-Bahnen verkehren wegen Bauarbeiten jedoch nicht. Anfahrt per U-Bahn über Stephansplatz. Die Busse steuern zum Entladen das Uni-Gebäude Edmund-Siemers-Allee an, parken dann an der HSV-Arena.
Demo-Route: Der Marsch geht durch die Innenstadt am Vattenfall-Kundenzentrum vorbei. Vattenfall betreibt die Atommeiler Brunsbüttel und Krümmel und ist am Eon-AKW Brokdorf beteiligt.
Abschlusskundgebung: Auf dem Rathausmarkt reden ab 14 Uhr Bischof Jürgen Bollmann, IG Metall-Bezirksleiter Niedersachsen Hartmut Meine und Jochen Stay von ausgestrahlt.
Das sieht DGB-Nord-Chef Uwe Polkaehn ähnlich, dessen Landesverband - zuständig für Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg - zusammen mit dem DGB Niedersachsen-Bremen den Anti-Atom-Protest unterstützt. "Das dreimonatige Moratorium reicht nicht aus, es müssen alle AKWs abgeschaltet werden", sagt Polkaehn. "Wir können uns das Risiko einer nuklearen Katastrophe nicht länger leisten". Ungelöst sei auch die Entlagerung des Atommülls.
Als Konsequenz führe "kein Weg an einer Energiewende vorbei", so Polkaehn. Schließlich seien die Erneuerbaren Energien eine wichtige Zukunftsperspektive: für klimafreundliche Energiepolitik - und gute Arbeitsplätze.
Keine Utopie, sondern ein Weg dorthin könnte aus Sicht von Roman Denter die Enteignung der Stromkonzerne sein: Der Vertreter des globalisierungskritischen Netzwerks Attac verweist auf Artikel 15 des Grundgesetzes, der die Enteignung von Produktionsmitteln zum Zwecke der Vergesellschaftung regelt. Es sei Zeit, sagt Denter, den Passus "zur Anwendung auf Energiekonzerne" zu bringen. Der Atomausstieg sei nur gegen die Konzerne durchsetzbar.
Jochen Stay von der Kampagne ausgestrahlt hat festgestellt, dass der seitens der Bundesregierung beanspruchte Kurswechsel in der Atompolitik unglaubwürdig sei: "Es nimmt der Bundesregierung niemand ab", sagt Stay mit Blick auf das dreimonatige Moratorium für alte AKWs sowie die Sicherheits- und Ethikkommissionen. Viele Menschen sähen das Lavieren von Schwarz-Gelb als Wahlkampf-Trick an.
"Die Argumente liegen seit 30 Jahren auf dem Tisch", so Stay, da brauche man keine neuen Kommissionen. "Die Alternativen und die Technik sind längst da, wir brauchen die 17 Atomkraftwerke nicht." Es bestehe nach dem Stimmungswechsel in der Bevölkerung die historische Chance, durch Proteste Einfluss auf die Politik zu nehmen. Stets habe es geheißen, ohne Atomenergie gingen die Lichter aus, erinnert sich Stay: "Japan hat zeigt: Es gehen vielmehr mit Atomenergie die Lichter aus."
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