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Die Katastrophe von Fukushima ITödliche Strahlung am Reaktor

Versteckt in der Statistik veröffentlichen die Behörden extrem hohe Strahlenwerte aus den havarierten Blöcken. Tepco will die Radioaktivität mit Kunstharz "festkleben".

Tepco will nun das stark radioaktive Abwasser abgepumpen. Aber wohin damit? Bild: reuters

BERLIN taz | An den havarierten Reaktoren in Fukushima herrschen Strahlenwerte, die in kürzester Zeit für Menschen tödlich sein können. Das lässt sich aus offiziellen Daten der japanischen Atomsicherheitsbehörde Nisa ablesen, die gut versteckt in den Presserklärungen veröffentlicht werden.

Demnach betrug die Strahlung an den Reaktoren 1, 2 und 3 bei der letzten veröffentlichten Messung vom 29. März zwischen 2,8 und 4,05 Sievert pro Stunde. Würde sich ein Mensch dieser Strahlung aussetzen, bekäme er etwa in einer Viertelstunde eine Strahlendosis ab, an der er mit 50-prozentiger Sicherheit in wenigen Wochen an der Strahlenkrankheit stürbe.

Diese Messungen der Nisa werden in der Schutzhülle des Reaktors, aber außerhalb des Druckbehälters gemacht, der den nuklearen Kern enthält. Im Normalfall ist dieser Bereich nicht für Menschen zugänglich und luftdicht abgeschlossen. Aber luftdicht ist er nicht mehr, erklärte die Behörde am Mittwoch. Und normal ist in Fukushima seit dem 11. März nichts mehr.

Die "Druckkammern" mit Messwerten mit 1,1 bis 1,9 Sievert pro Stunde liegen im Keller. Ihre Belastung könnte erklären, warum das Wasser der Reaktoren so stark verstrahlt ist. Die Sicherheitsbehälter um die Reaktoren 2 und 3 sind nach den Angaben der Nisa nicht mehr luftdicht und entlassen unkontrolliert und ungefiltert Radioaktivität. Zwar seien die Druckbehälter um den schmelzenden Reaktorkern wahrscheinlich nicht aufgebrochen oder gerissen, er könne aber an den Stellen undicht sein, wo Rohre oder Instrumente ansetzen.

Die Arbeiten am Unglücksreaktor wurden am Mittoch zwischenzeitlich eingestellt, weil das Wasser mit Strahlenwerten bis zum 10.000fachen der erlaubten Dosis belastet ist. Ein 15 Meter tiefes unterirdisches Tunnelsystem ist nach Angaben der französischen Atomaufsicht IRSN mit Wasser so voll gelaufen, dass "das Wasser nur 10 Zentimeter unter der Kante steht", schreibt die IRSN in ihrem aktuellen Statusbericht, "Betonblöcke und Sandsäcke sollen verhindern, dass es ins benachbarte Meer läuft".

Stromversorgung steht wieder

Ein paar gute Nachrichten gab es auch: Inzwischen haben alle Blöcke wieder eine Stromversorgung, die Lichter brennen in einigen Leitständen, der Wasserstand in den Gebäuden sinkt. Externe Pumpen speisen Süß- statt Salzwasser in die Reaktoren zur Kühlung ein. Doch je länger die Katastrophe dauert, desto weniger konkrete Informationen gelangen an die Öffentlichkeit.

Wie viele Arbeiter genau vor Ort sind, wie lange sie an welchen Reaktoren arbeiten, wie hoch ihre Strahlenbelastung ist oder wie viel Radioaktivität insgesamt aus der Anlage entweicht, bleibt ebenso unklar wie die Frage, wie die Lage in und an den Reaktoren und den Abklingbecken ist. Nach Informationen der deutschen "Gesellschaft für Reaktorsicherheit" (GRS) haben die Feuerwehren allein am Montag 125 Tonnen Wasser in das Abklingbecken an Reaktor 4 eingespeist, was auf ein Leck schließen lässt.

Die Gegenmaßnahmen wirken relativ hilflos. Am Mittwoch erklärte die Betreiberfirma Tepco, man wolle den Boden um die Reaktoren mit Kunstharz besprühen, um die radioaktiven Teilchen am Boden "festzukleben". Das stark radioaktive Abwasser soll abgepumpt werden, aber wohin damit?

Erst sollte es in Tanks auf dem Gelände geschafft werden, dann stellte sich heraus, dass die Tanks voll sind. Später wurde diskutiert, ein Tankschiff am Hafen anlegen zu lassen. Die Reaktoren könnten mit Kunststoffplanen abgedeckt werden, um die Strahlung zu reduzieren, hieß es dann. Und Tepco erklärte, man werde zumindest Block 1 bis 4 von Fukushima I nach dem Ende der Katastrophe abreißen.

Das aber sind die Sorgen von übermorgen. Im Moment und möglicherweise für viele Monate noch müssen die Reaktoren weiter gekühlt werden, damit sie nicht durchbrennen. In der Zwischenzeit bereiten die Verstrahlungen in der Gegend von Fukushima große Sorgen. Messungen der Behörden und ergänzende Messungen der Umweltorganisation Greenpeace zeigen zum Teil extrem erhöhte lokale Strahlenwerte auch weit außerhalb der 20-Kilometer-Zone, die evakuiert wurde. Umweltverbände forderten deshalb, diese Zone auf 40 Kilometer auszudehnen.

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15 Kommentare

 / 
  • PB
    Pater Brown

    "Inzwischen haben alle Blöcke wieder eine Stromversorgung..." In der taz las sich das hin und wieder als "Reaktor(en) wieder am Netz", was bekanntlich bedeutet, dass diese nicht mit Strom versorgt, sondern solchen liefern würden.

  • R
    reblek

    Bildunterschrift: "Tepco will nun das stark radioaktive Abwasser abgepumpen. Aber wohin damit?" "abgepumpen"? Die Frage "wohin?" könnte in der taz mal behandelt werden, finde ich.

  • P
    P.Haller

    Radioaktive Teilchen am Boden mit Kunstharz festkleben !!

    Na geht doch !!

    Keine Ahnung, warum da nicht schon viel früher einer darauf gekommen ist.

    Vorsorglich könnten wir das hier in D. auch machen, dann brauchen wir in Zukunft keine Sorgen mehr zu haben, falls es auch mal bei uns krachen sollte.

    Ich bin immer wieder erstaunt, was menschliche Ingenieurskunst so alles zu bieten hat. Bravo !!

  • A
    agniia

    "Demnach betrug die Strahlung an den Reaktoren 1, 2 und 3 bei der letzten veröffentlichten Messung vom 29. März zwischen 2,8 und 4,05 Sievert pro Stunde. "

    Woher haben Sie dies? wenn das stimmen würde, dann .... bitte einen Link mit der Quelle posten! das kann doch nicht wahr sein!

  • W
    Weltraum-Chick
  • S
    Silvia

    Was mich momentan am Stutzigsten macht, ist die Tatsache, dass NISA bisher jeden Tag ein update eroeffentlich hat - ausser am 30. Maerz. Hoffentlich ist das kein schlechtes Zeichen ...

  • HB
    Hildegard Bohne

    Liebe AKW-Befürworter, habe ich RICHTIG verstanden, dass es ausreicht, die Stromversorgung bei AKW´s zu unterbrechen, um eine gefährliche Situation (ja, jedeR weiß was ich meine...) hervorzurufen?!??? Okay - und wie bitte schön soll gerade DAS ausgeschlossen werden?

    An dieser Stelle möge mir bitte nix von six sigma erzählt werden, also von munterem Restrisiko - denn gerade da ist sich die Riege der Physiker, die ich kenne, einig: Genau dadurch, dass ein Risiko so dermaßen unwahrscheinlich ist, wird es genau dadurch so unglaublich gefährlich - denn Fehler passieren nun mal und wirken dadurch genau viel schlimmer...!

    Peinlich?

    Gefährlich?

    Lassen wir und also noch einmal folgende Sache durch den Kopf gehen:

    Durch das Atomgesetz wird jeder Betreiber nuklearer Anlagen verpflichtet, eine passende Haftpflichtversicherung abzuschließen. Dummerweise weigern sich die Versicherer, genau dieses Risko abzusichern... Hmm. Also wem und was soll man glauben?

    An dieser Stelle sollte ggfs.auch noch mal überlegt werden: Jede Pommesbude muss nachweisen, wie und wo das Frittenfett (auf eigene Kosten!!!) entsorgt wird. Bei der munteren Atomindustrie...hmm...ist das irgendwie nicht so...?!? Kosten kommunalisieren, Gewinne privatisieren?

    No way!

    Oder?!?!?

  • A
    Anton

    "29. März zwischen 2,8 und 4,05 Sievert pro Stunde"

    Nach 10 Std. hat der Arbeiter eine Dosis von 28 Sievert = 28.000 Millisievert = 28.000.000 µSievert erhalten und geht zu seiner Familie nach Hause.

     

    Sind die Angaben wirklich in Sievert ? :-O

     

    Das wären gigantische Ausmaße!

  • T
    Tobias

    Bitte etwas mehr Sorgfalt.

     

    Der Artikel bezieht sich ganz offenbar auf:

     

    http://www.nisa.meti.go.jp/english/files/en20110330-1-3.pdf

     

    Die Strahlung im Containment/Dry Wessel (nicht "am Reaktor") beträgt zwischen 28,6 und 40,5 Sievert/h. 10er-Potenz beachten! Bei der Strahlung wäre man auf der Stelle tot.

     

    Das Suppression Chamber als "Druckkammer im Keller" zu bezeichnen, ist auch grenzwertig. Bei Reaktor 1 beträgt die Strahlung hier nicht 1,9 sondern 19,7 Sievert/h (10er-Potenz)

  • K
    Karsten

    HAAHAAA. Radioaktivität mit Kunstharz festkleben. Ich amüsiere mich königlich.

  • K
    Karsten

    "stürbe"... solch ein schöner Konjunktiv an diesem lauen Frühlingsabend. Danke!

  • R
    Rontombontom

    Über das Abklingbecken an Reaktor 4: nach Asahi Shimbun beträgt die Wärmeleistung der Brennstäbe dort 2.000.000 Kilocalorien. Dass würde bedeuten dass bei 100 Grad 3.7 Tonnen Wasser pro Stunde abkochen! 125 Tonnen Wasser wären also genug um über 33.8 Stunden abgekochtes Wasser zu ersetzen, auch ohne Leck.

  • R
    Rontombontom

    Wenn dieser Bericht gemeint ist:

     

    http://www.nisa.meti.go.jp/english/files/en20110330-1-3.pdf

     

    ...dann haben sie falsch gelesen, die Werte sind noch höher: 4,05 x 10^1 = 40,5 Sv/h. Diese Werte sind aber im Reaktorinneren wenig überraschend, und sinken seit Tagen (24. März: noch bei 57.9 Sv/h in Reaktorblock 3, siehe http://www.nisa.meti.go.jp/english/files/en20110324-1-4.pdf).

  • AW
    Axel Wartburg

    Sehr geehrter Herr Pötter,

     

    bitte erklären Sie mir folgende Formulierung auf Sinnhaftigkeit: "50-prozentiger Sicherheit"

     

    Sicherheit ist an sich bereits eine Illusion.

    Und was zu 50% möglich ist, ist wohl eher eine Wahrscheinlichkeit.

     

    Das ist für mich das Tragsiche an diversen Journalisten: Anstatt sachlich und wortgewandt zu berichten, wird polemisiert und eine falsche Wortwahl genutzt.

     

    Bitte ändern Sie das zukünftig.

    Danke!

     

    Herzliche Grüße

  • U
    Uncas

    Der Bodenschutzbericht von 2006 für Bayern weist bzgl. des Einflusses von Tschernbyl weist für die Ortsdosisleistung (welche vergleichbar mit den offiziellen Messungen aus Japan ist) Folgendes für Bayern aus:

    "Der durchschnittliche Strahlungspegel von 0,38 μSv/h, wie er während und nach Durchzug der Aktivitätsfahne

    1986 ermittelt wurde, nahm 1987 sprunghaft auf 0,08 μSv/h ab."

    Wie die ARD noch drei Tage nach Ausstrahlung eines der absurdesten Dokumente der Unwissenschaftlichkeit ihres Wissenschaftsjournalisten Ranga Yogeshwar auf den Seiten stehen lassen kann, bleibt ein Rätsel.

     

    Im ersten Teil seiner Strahlenbelastungsanalyse mit den aktuellen Werten in Japan empfiehlt er eine Evakuierung in einigen Zonen in Japan ausserhalb des 20km Radius. Danach jedoch vergleicht er mit Bayern 1986 und kommt zu dem Schluss, alles halb so wild, "mit einigen Experten des Strahlenschutzes" haben wir verglichen und die Werte ausserhalb der 20km Zone die sind ungefähr die Selben wie 1986 in Bayern. Nur wo Herr Yogeshwar seine Zahlen der Ortsdosisleistung her hat und wie er die Legenden fabriziert hat, ist überhaupt nicht klar.

     

    Denn die öffentlichen Daten für Bayern sagen im Weiteren zur Ortsdosisleistung dieses:

    "Ein Jahr nach Tschernobyl lag das Maximum

    bei 0,29 μSv/h und der Mittelwert betrug 0,08 μSv/h. Im Herbst 2003, also ca. 17,5 Jahre nach

    dem Tschernobyl-Unfall, betrug der Höchstwert 0,16 μSv/h und der Mittelwert 0,06 μSv/h."

     

    Werte von 40 microSievert und mehr pro Stunde hätten damals eine zumindest teilweise Evakuierung von Bayern notwendig gemacht.