Kommentar zu Fukushima: Denn sie wissen nicht, was sie tun sollen
Die Betreiber von Fukushima pumpen radioaktive Brühe ins Wasser. Sie wissen sich nicht anders zu helfen - ein beklemmendes Gefühl. Und gelebte Risikogesellschaft.
N un wird in Fukushima eine große Menge radioaktiv verseuchtes Wasser in den Pazifik eingeleitet - und zwar ganz offiziell. Die Betreiber wissen sich nicht mehr anders zu helfen, sie pumpen die radioaktive Brühe aus den Räumen der vier havarierten Reaktoren. Solange das Wasser mit seiner strahlenden Fracht in den Reaktorräumen steht, schädigt es die Reparaturtrupps derart, dass sie nicht an den Kühlpumpen arbeiten können. Außerdem kann auch niemand die Elektrik erneuern, solange sie unter Wasser steht. Wir erleben also höchsten Zeitdruck und Entscheidungsnot, obwohl wir vom Gefühl her einer Katastrophe in Zeitlupe beiwohnen.
Die japanische Atomsicherheitsbehörde schätzte am Montag, selbst wenn die Arbeiten an den Kühlsystemen endlich anlaufen sollten, würden sie erst in Monaten abgeschlossen sein. Monate, in denen immer neues Wasser von oben in die Reaktoren gefüllt und über Leitungen ins Meer entsorgt wird. Eine irre Perspektive. Natürlich ist der Pazifik weiter und tiefer als jeder andere Ozean und die Radioaktivität verdünnt sich. Dieses Meer hat auch die Atombombenversuche überstanden, es übersteht die täglichen Einleitungen von chemischen Schadstoffen aus den Flüssen. Trotzdem ist es ein beklemmendes Gefühl, wenn kalkuliert Strahlung in die See gepumpt wird.
Da bleibt dann nur die Hoffnung, dass die Strömungen ähnlich gut stehen wie die Winde in den vergangenen Wochen. Die wehten auch bis auf wenige Tage aufs Meer hinaus und nicht die Küste hinauf und hinunter. Ob Tepco überhaupt eine andere Wahl hätte, ob man das Wasser in gecharterten Tankern zwischenlagern könnte, statt ins Meer zu lassen - es ist letztlich unerheblich. Die Entscheidung ist getroffen.
Reiner Metzger ist stellvertretender Chefredakteur der taz.
Ähnliche Entscheidungen treffen die Atomindustrie und ihre Aufsichtsbehörden übrigens häufig und weltweit: Die Wiederaufarbeitungsanlagen Großbritanniens und Frankreichs waren und sind so kalkuliert, dass ein wesentlicher Teil des Mülls ins Meer abgeleitet wird. Das erhöht irgendwie die Krebsraten der Fischesser, aber vielleicht nicht entscheidend und auf jeden Fall für keinen einzelnen Betroffenen sicher rückverfolgbar. Das ist innerindustrielle Logik, das ist gelebte Risikogesellschaft. Die wird in Fukushima nur gerade mal sichtbar. Was daran den größten Skandal ausmacht: Atomtechnik ist wahrlich nicht die einzige Risikotechnik. Aber die unnötigste.
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