Die Wahrheit: Quo vadis, Teigling?
Aus der Geschichte der Backwaren: Die Brezel im Wandel der Zeiten.
Heute ist sie in aller Munde - achtlos weggeknuspert, freudig erregt zerbröselt und mit Kennermiene verzehrt, in letzter Zeit auch oft mit Abscheu in den Abfalleimer geworfen. Die Rede ist von der bayerischen Breze oder schwäbischen Brezel. Und die hat eine lange, wechselvolle Geschichte hinter sich.
Die Ursprünge des beliebten Laugensnacks liegen, wie so oft, im Dunkeln. Erste Spuren finden sich unterhalb der Dollnsteiner Keltenschanze. Sie beweisen dem geschulten Auge, dass sich schon die Kelten zur frisch gezapften Metmaß ein zumindest brezelartiges Backwerk schmecken ließen - und die Brösel kurzerhand unter die Schanze kehrten. Auch den römischen Besatzungstruppen schien das geflochtene Laugengebäck nicht unbekannt zu sein, doch nach dem Rückzug der Römer aus dem unwirtlichen Germanien geriet die hohe Kunst des Brezelbackens lange Zeit in Vergessenheit.
Erst von dem Schorndorfer Bäcker Heinz Beck ist urkundlich überliefert, dass er sich an einem regnerischen Nachmittag des ausklingenden Spätmittelalters an der Wiedergeburt des legendären Kleingebäcks versuchte. Allerdings mit wechselndem Erfolg: Mal gerät ihm der Teig so fest, dass sich daraus keine Brezeln formen lassen - die Geburtsstunde der Brezenstange -, mal so weich, dass daraus nur ein unförmiger Fladen gebacken werden kann. Jahre des Probierens und Studierens gehen ins Land, ehe Heinz Beck perfekt geformte Brezeln aus dem altdeutschen Steinbackofen zu ziehen vermag.
Doch die mittelalterliche Gesellschaft ist noch nicht reif für Becks Pausensnack. Die Kirche wittert in den sinnenfrohen Rundungen eine unstatthafte Aushöhlung des vorehelichen Keuschheitsgebots, Stellmacher wiederum trauern der guten alten Brezenstange nach, die sich hervorragend als preisgünstiger Ersatz für allerlei gebrochene Zapfen oder Bolzen gebrauchen ließ. Auch vom berühmten Astronom Johannes Kepler wird berichtet, dass er fünf wertvolle Jahre seines gar nicht langen Forscherlebens opferte, um die vollendete Form der Brezel in einer mathematischen Formel berechnen zu können.
Es blieb dem Zeitalter der Industrialisierung vorbehalten, der Brezel endlich den ihr gebührenden Platz im Leben der Menschen einzuräumen. Forscher und Erfinder des 19. Jahrhunderts erkannten das ungeheure Potenzial, das in dem unscheinbaren Kleingebäck steckte, dass es zu weit mehr dienen konnte als bloß zur schnellen Befriedigung des kleinen Hungers zwischendurch. Aus der Vielzahl der epochemachenden Anwendungen der Brezel seien hier nur einige Höhepunkte erwähnt:
Wendelin Plötz gelang es 1858, eine kreisförmige Dauerbrezel zu kreieren, die sich vorzüglich als Laufrad von Lokomotiven eignete. Zwar musste dieses nach spätestens dreißig Kilometern Fahrstrecke ausgetauscht werden, doch den willkommenen Zwischenhalt konnten die Passagiere seinerzeit nutzen, um sich entlang des Bahndamms die Füße zu vertreten und die Schönheiten der deutschen Landschaft zu bewundern.
Galt die Einführung der Partybrezel den Puristen als Todsünde, konnte das ambitionierte Raumfahrtprogramm der Nasa nur davon profitieren. Als ultraharte "Space Pretzels" bildeten sie den Hitzeschild der "Apollo"-Raumkapseln, ohne den der Wiedereintritt der Astronauten in die Erdatmosphäre nicht möglich gewesen wäre.
Der Siegeszug des Tiefkühl-Teiglings Anfang der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts trieb zwar den Traditionalisten die Zornesröte ins Gesicht, doch verkannten diese Ewiggestrigen die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten und ungeheuren Marktchancen der Aufbackware. Seitdem ist die Breze nicht nur unabdingbarer Begleiter beim bayerischen Weißwurstfrühstück, sondern auch innovativer Werkstoff für die Leichtbaukarosserien der bayerischen Autoindustrie.
Angesichts der Marketingoffensive der Backwarenindustrie und eines unbarmherzigen Verdrängungswettbewerbs, wodurch die wenigen verbliebenen handwerklichen Brezelbäcker vom Markt gefegt wurden, gerieten die unbeherrschbaren Risiken des Teigling-Backverfahrens zunehmend in Vergessenheit. Erst der katastrophale Brand der Aufbackstation in einer Detmolder Aral-Tankstelle, der zur Explosion der kompletten Tankstelle führte und vier Menschenleben forderte, zwang die Bundesregierung zum Umdenken. Geschockt von den Ereignissen, beschloss Bundeskanzlerin Merkel den sofortigen Ausstieg aus der Hochrisikotechnologie und verkündete die endgültige Brezelwende.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ampelkoalition zerbricht
Scholz will Vertrauensfrage stellen
Auflösung der Ampel-Regierung
Holpriger Versuch endgültig gescheitert
Ampelkoalition gescheitert
Endlich!
Scheitern der Ampelkoalition
Ampel aus die Maus
+++ Ampelkoalition zerbricht +++
Lindner findet sich spitze
Trumps Wahlsieg in den USA
Gaga für MAGA