piwik no script img

Polizeiausbildung in Somalia Ohne Brot und Gesetz

Als der Lohn ausbleibt, verkauft Polizist Omar seine Waffe. Das bringt 500 Dollar. Damit eröffnet einen Kiosk. Doch der wird zerstört, weil Ordnungshüter fehlen.

Lohn ungewiss: Absolventen der Polizeiakademie in Mogadischu. : ap

MOGADISCHU taz | Aus vier Kassettenrekordern gleichzeitig dröhnen Rezitationen des Koran. Nach wenigen Schritten gehen die Klänge im Gewirr der Stimmen unter und werden abgelöst vom Getöse aus dem nächsten Rekorder. Auf dem Bakhara-Markt in der somalischen Hauptstadt Mogadischu stehen die Marktstände dicht gedrängt. Zu kaufen gibt es hier alles, unterteilt in je eigene Bereiche: Gemüse und Fleisch, Satellitenschüsseln und Transistorradios, Kassetten zur religiösen Erbauung, Kleidung, Waffen, auch größerer Kaliber wie Panzerfäuste oder Luftabwehrgeschütze, zu allem die dazugehörige Munition, und schließlich Dokumente wie Hochschulzeugnisse oder Reisepässe.

Somalia hat keine funktionierende Regierung mehr, seit der letzte Diktator Siad Barre im Januar 1991 gestürzt wurde. Zwar gibt es eine international anerkannte Übergangsregierung, doch die kontrolliert nur eine Hälfte der Hauptstadt. Die andere Hälfte und die meisten Teile des Landes sind in der Hand verschiedener islamistischer Gruppen, von denen einige Kontakte zum Terrornetzwerk al-Qaida haben. Die radikalste von ihnen, die Gruppe "al-Shabaab", beherrscht auch die Gegend rund um den Bakhara-Markt. Wer für die somalische Regierung arbeitet, meidet die Gegend, wenn er überleben will.

Kalaschnikow verkauft

Abdirahman Omar hat zuletzt als Polizist gearbeitet und lebt ganz in der Nähe des Marktes. Weil die Gegend auch für ihn gefährlich ist, schlägt er eine Straße auf dem Gebiet der Übergangsregierung als Treffpunkt vor. Omar ist zu Fuß gekommen. Er hat keine Arbeit und muss eine Frau, fünf Kinder und seine Eltern versorgen. "Ich habe 2007/2008 neun Monate lang als Polizist gearbeitet", erzählt er. "In der ganzen Zeit bin ich nicht ein Mal bezahlt worden."

Als er dringend Bargeld für das Essen brauchte, habe er schließlich sein Gewehr verkauft. Seine Kalaschnikow habe ihm auf dem Bakhara-Markt 500 Dollar gebracht. "Heute bekommst du mehr", wirft einer der ebenfalls anwesenden Somalier aus dem Hintergrund ein, "im Moment 600 Dollar". Das Geld habe er seiner Frau gegeben, erzählt Abdirahman Omar. Sie hat damit einen Kiosk mit einer Garküche eröffnet. Vom Verkauf des Essens konnten sie ihre Kinder eine Zeit lang ernähren. Doch dann überrannten die al-Shabaab das Gebiet. "Sie haben alles kaputtgemacht, auch unseren Kiosk." Seitdem überlebt Omar durch gelegentliche Tagesjobs und dank der Hilfe von Familienmitgliedern im Ausland.

An seine Ausbildung zum Polizisten denkt er gern zurück, auch wenn sie ihm letztlich nichts gebracht hat. "Die Äthiopier haben mich ein halbes Jahr lang geschult", erzählt Omar. Im somalischen Radio hätten sie damals gesagt, das Geld dafür käme von der Europäischen Union. Zusammen mit 900 Männern sei er in einem Ausbildungszentrum der äthiopischen Militärpolizei gewesen, ganz in der Nähe der sudanesischen Grenze. Dort hätten sie gelernt, wie sie den Feind angreifen und sich verteidigen können. "Um Gesetze und solche Sachen ging es gar nicht", sagt er. "Es gab keinen Unterschied zum Training von Soldaten." Mit manchen seiner früheren Kollegen habe er noch Kontakt. "Ich schätze mal, dass von meiner Gruppe nur noch 15 Prozent im Polizeidienst sind. Höchstens."

Ohne Erfolg: viel Geld für die Ausbildung

Die Zahlen der UNO sind ähnlich und belegen, dass 80 Prozent der frisch ausgebildeten Sicherheitskräfte den Polizeidienst verlassen oder von der Armee desertieren, weil sie unregelmäßig oder gar nicht bezahlt werden. Die meisten verkaufen ihre Dienstwaffe oder laufen samt Maschinengewehr zur Gegenseite über. Eine vernichtende Bilanz, denn die internationale Gemeinschaft bezahlt viel Geld für die Ausbildung somalischer Polizisten und Soldaten. Sie tut das in der Hoffnung, dass sich der somalische Staat nach Jahrzehnten des Chaos vielleicht doch noch stabilisiert, wenn ausgebildete Sicherheitskräfte Recht und Ordnung durchsetzen.

Auch Deutschland hat bezahlt, damit Somalier zu Polizisten ausgebildet würden - umgerechnet gut 730.000 Euro. Mit diesem Geld wurden im vergangenen Jahr 925 Polizeianwärter in Äthiopien geschult. Sie haben vermutlich so etwas Ähnliches gelernt wie schon einige Jahre früher Abdirahman Omar. Seit Mai 2010 ist der Jahrgang mit der Ausbildung fertig. Die somalische Regierung hat die neuen Polizisten anschließend in einen militärischen Einsatz gegen die al-Shabaab geschickt. Doch etliche sind untergetaucht oder übergelaufen.

Front im Zickzack

Wie viele überhaupt noch im Dienst der Regierung stehen, müsste man im Polizeipräsidium von Mogadischu wissen. Der Weg dorthin führt aus dem alten Stadtzentrum an zerschossenen Gebäuden vorbei, von denen viele mit Sandsäcken verbarrikadiert sind. Die Front zwischen der Regierung und ihren islamistischen Gegnern läuft im Zickzack durch die Hauptstadt, zwischen Marktständen, Ruinen und kleinen Geschäften hindurch, die die Menschen nach jedem Gefecht wieder aufbauen. Viele Straßen sind fast menschenleer, Hunderttausende sind inzwischen geflohen. Viele von ihnen leben in provisorischen Camps im Land verteilt ohne jede Unterstützung. Nach Schätzungen der UNO sind landesweit zwei Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen, um überleben zu können. Doch etwa die Hälfte von ihnen lebt in Gebieten, die von Islamisten kontrolliert werden, und sind damit für Helfer unerreichbar.

Die Mauern des Polizeipräsidiums sind voller Einschüsse. Im Mai 2008 gelang es der al-Shabaab, das Gebäude zu stürmen. Die Regierung konnte es zurückerobern, aber auch danach wurde es immer wieder angegriffen. Trotzdem wirkt die Stimmung im Treppenhaus an diesem Vormittag entspannt. "Alles klar?", fragt einer der Polizisten auf Deutsch. Im Vorbeigehen erzählt er schnell, wo er die Sprache gelernt hat. 1980 war er in Deutschland. Er und etliche somalische Kollegen wurden in Mannheim von deutschen Polizisten geschult.

Osman Omar, der stellvertretende Polizeipräsident von Somalia, wurde in den sechziger Jahren von italienischen Polizisten in Turin ausgebildet. Dennoch ist Omar, ein stämmiger gemütlicher Mann, vor allem des Lobes voll für Deutschland. "Deutschland hat Somalia beim Aufbau seiner Polizei seit der Unabhängigkeit geholfen, auch zur Zeit Siad Barres", lobt er. "Nur dank der deutschen Unterstützung war die somalische Polizei funktionsfähig." Er sagt das nicht ohne Hintergedanken. Er will Deutschland zu weiterer Hilfe bewegen und hofft, dass es seine "frühere Rolle" wieder übernimmt. "Dann würde unsere Polizei jetzt auch wieder schlagkräftig."

Der Wortschwall verebbt jäh, als die Sprache auf den jüngsten deutschen Versuch kommt, Somalia beim Aufbau seiner Polizei zu helfen. Wie viele von den 925 Polizisten, die in Äthiopien ausgebildet wurden, noch auf Seiten der Regierung kämpfen, weiß Omar auch nicht. Er schickt einen Kollegen los, der bei Leuten nachhören soll, die Omar für zuständig hält. International wurde das Ausbildungsprojekt kritisch gesehen. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen bemängelte, dass Deutschland sich mit der UNO nicht ausreichend abgestimmt und die Bezahlung der neuen Polizisten nicht geregelt habe. Außerdem war Äthiopien einige Jahre lang mit seinen Soldaten Partei im somalischen Bürgerkrieg.

Nach einer Weile kommt Omars Mitarbeiter ohne Ergebnis zurück. Der stellvertretende Polizeipräsident sieht sich jetzt zu irgendeiner Antwort genötigt und sagt: "Es ist ja völlig klar, dass ein gut ausgebildeter Polizist irgendwann seinen Dienst quittiert, wenn er nicht bezahlt wird." Je besser die Ausbildung, desto nützlicher ist er natürlich auch für die Gegenseite.

Vier Kugeln

Jemand hatte erzählt, dass im Madina-Hospital ein Polizist behandelt wird. Er liegt in einem Achtbettzimmer und heißt Awale Mohammed Ali. Sein rechter Arm steckt in Gips, die linke Hand verbunden. Aus einer Bauchwunde ragen Drainagen. Bei einer Schießerei hat er vier Kugeln abbekommen, zwei in die Hände, eine in den Magen, eine in die Seite. "Ich habe mit bewaffneten Dieben gekämpft", erzählt Awale. "Sie wollten jemanden ausrauben. Weil ich Polizist bin, habe ich versucht, das Opfer zu verteidigen."

Wie sich herausstellt, macht Awale Mohammed Ali schon seit neun Jahren diesen Job und er hat in seinem Viertel Kollegen. Doch er ist kein regulärer Ordnungshüter. "Die reguläre Polizei bekommt ja kein Geld, deshalb ist denen alles egal. Wir werden von unseren Nachbarn bezahlt. Jeder zahlt einen kleinen Beitrag. Gerade so viel, dass wir davon leben können."

Das ist offensichtlich Anreiz genug, den Job trotz aller Gefahren nicht hinzuschmeißen. Dabei hat Awale von den al-Shabaab schon mehrere Anrufe bekommen. "Sie verlangen immer, dass ich für sie arbeite oder sie wenigstens mit Informationen versorge." Wie es heißt, bezahlen die Islamisten mindestens 150 Dollar im Monat. Awale könnte also deutlich mehr verdienen, als er jetzt von seinen Nachbarn bekommt. Trotzdem sieht er darin keine Alternative. "Die schlachten doch nur Menschen ab. Mein Glaube erlaubt mir das nicht." Awale Mohammed Ali ist deshalb fest entschlossen, weiter für seine Nachbarn zu arbeiten. "Ich habe keine Angst vor den Islamisten, ich habe schließlich mein eigenes Gewehr."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen