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Die arabische Revolution und IsraelWir können auch anders

Wie das nachrevolutionäre Ägypten zu Israel steht und wie das syrische Regime versucht, die propalästinensischen Proteste zu instrumentalisieren.

Bekannte Bilder aus Damaskus: Demonstranten verbrennen am Montag eine israelische Fahne Bild: dapd

KAIRO taz | Der arabische Frühling und der arabische Winter sind in Israel angekommen. Am Wochenende, als die Palästinenser der "Nakba", des Tages von Vertreibung und Flucht, gedachten, der ihnen als israelischer Unabhängigkeitstag gilt, stand erstmals seit Monaten wieder Israel auf der arabischen Agenda. Dabei wurde klar: Auch Israel wird von den Umbrüchen in der arabischen Welt nicht unberührt bleiben.

Die Proteste im Golan, im Südlibanon und in Kairo mögen ähnlich ausgesehen haben. Tatsächlich aber waren sie Ausdruck sehr unterschiedlicher Ausgangslagen. Im revolutionären Kairo zogen die Demonstranten vor die israelische Botschaft, nachdem sie am Freitag zuvor auf dem Tahrirplatz zu Tausenden für eine gerechte Lösung des Palästinaproblems demonstriert hatten. Für sie waren die Proteste ein Ausdruck ihres arabischen Frühlings, mit dem im Nahostkonflikt ein neuer Faktor dazugekommen ist: die arabische öffentliche Meinung.

Aber die Militärregierung ließ die Proteste mit einer in der Nach-Mubarak-Zeit noch nicht da gewesenen Brutalität auflösen. Über 350 Menschen wurden verletzt, einige erlitten schwere Schusswunden. Das Militär musste sich danach im Internet den Vorwurf gefallen lassen, den israelischen Polizisten gespielt zu haben. "Warum haben die Sicherheitskräfte stundenlang nicht eingegriffen, als vor zehn Tagen radikale Islamisten im Armenviertel Imbaba Kirchen angegriffen wurden, während sie bei den Protesten der Tahrir-Jugend vor der israelischen Botschaft gleich brutal zur Stelle waren?", wird immer wieder gefragt.

Ein altes Machtspiel: Die Interessen Syriens

In Syrien hingegen, wo das Regime den Aufstand brutal niederschlägt, fanden die Proteste im tiefsten politischen Winter statt. Die Demonstranten mögen, als sie friedlich über die Grenze auf den israelisch besetzten Teil des Golan marschierten, die gleichen Motive gehabt haben wie ihre Mitstreiter in Kairo. Aber ihnen stellte sich nicht die syrische Armee entgegen. So stießen sie bis zu den israelischen Truppen vor, die sofort das Feuer eröffneten.

Syrischen Angaben zufolge wurden dabei zehn Zivilisten erschossen und 210 verletzt. Sie waren zweifellos mit dem Einverständnis der syrischen Regierung zur Grenze gekommen. Die Golanhöhen sind eine Sicherheitszone, in der sich niemand ohne Genehmigung der syrischen Behörden bewegt.

Versucht die Regierung im revolutionären Kairo, aus Angst vor Komplikationen mit dem Nachbarland die Proteste zu unterdrücken, nutzt das syrische Regime diese in ihrem Sinne. Die Botschaft lautet: Wir haben jahrelang dafür gesorgt, dass die syrisch-israelische Demarkationslinie die friedlichste Grenze Israels ist. Aber wir können auch anders, wenn wir unter Druck geraten. Es ist vor allem eine Botschaft an die USA und Europa, sich nicht in die syrischen Angelegenheiten einzumischen.

"Wenn es keine Stabilität in Syrien gibt, wird es keine für Israel geben", formulierte denn auch Rami Makhlouf, der Cousin Baschar Assads und wohl zweitmächtigste Mann Syriens, jüngst in einem Interview mit der New York Times. "40 Jahre lang hat das syrische Regime den Kriegszustand mit Israel als Rechtfertigung für den Ausnahmezustand im eigenen Land gerechtfertigt", sagt der regimekritische syrische Journalist Ayad Nassar, der sich derzeit in Kairo aufhält. "Zugleich hat es die israelische Besatzung im Golan geschützt."

Doch zumindest nach innen hat sich das Regime selbst geschadet: "Warum hat die syrische Armee die Demonstranten nicht beschützt, als die israelische Armee zu schießen begann?", wird in zahlreichen arabischen Blogs gefragt - und geschlussfolgert, dass Assads Armee nur dazu tauge, die eigene Bevölkerung niederzumachen.

Auf der anderen Seite hatte die israelische Tageszeitung Haaretz Ende Januar, mitten im Aufstand gegen Mubarak, besorgt getitelt: "Ohne Ägypten hat Israel im Nahen Osten keine Freunde mehr." Der neue ägyptische Außenminister und Chef der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, schrieb vor seiner Amtszeit, dass Ägypten den Friedensvertrag Camp David einhalten müsse, aber auch überprüfen solle, ob der Vertrag von beiden Seiten tatsächlich eingehalten werde.

Ein neuer Akteur: die demokratische Öffentlichkeit

Als Außenminister unternahm al-Arabi gleich mehrere Schritte, die so gar nicht nach israelischem Geschmack waren: Er kündigte an, ein neues Kapitel mit der Regionalmacht Iran aufzuschlagen. Er ließ ein Erdgas-Abkommen zwischen Ägypten und Israel überprüfen, auf dessen Grundlage Ägypten weit unter dem Marktwert an Israel liefert. Er söhnte die palästinensischen Fraktionen Fatah und Hamas miteinander aus. Und er versprach, die Gaza-Blockade zu beenden und den Grenzübergang Rafah dauerhaft zu öffnen.

In Ägypten kristallisiert sich langsam die öffentliche Meinung, die ein Vorgeschmack darauf bietet, wie sich eine demokratische arabische Welt gegenüber Israel positionieren wird: Widersprüchlich geben sich die Islamisten. "Die Muslimbruderschaft erkennt Camp David und alle von der bisherigen Regierung unterzeichneten Verträge an. Aber das bedeutet, dass auch Israel dessen Bedingungen erfüllen muss. Und das tut Israel nicht", erklärte Hamdi Hassan, der Sprecher der ehemaligen Muslimbruderfraktion im Parlament. Mohammed Mursi, Chef der neuen islamistischen "Freiheits- und Gerechtigkeitspartei", hingegen führt aus, dass seine Gruppierung Israel nicht anerkenne, dagegen aber ein Palästina, in dem Muslime, Christen und Juden zusammenlebten.

Auch Gihan Shaaban, Sprecherin der neuen linken "Volksallianz", plädiert für eine Einstaatenlösung. Ziyad Eleimy, ein führendes Mitglied der revolutionären "Jugendbewegung 25. Januar", fordert, dass das "neue Ägypten für das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat" kämpfen solle.

Oft wird in den ägyptischen Medien und in Blogs gefordert, dass Ägypten fortan eine ähnliche Rolle einnehmen soll wie die Türkei. Ägypten solle nicht mehr als Erfüllungsgehilfe Israels und der USA, aber gute Beziehungen zu beiden Ländern unterhalten. Aber auf Augenhöhe.

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12 Kommentare

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  • M
    max

    lieber simon,

     

    wie ich schon schrieb ist das das verteufelte. sie gibt dem gegenüber nur die möglichkeit, die eigene gewalt gegenüber gewaltlosen als legitim zu behaupten, was langfristig deswegen nicht gelingt, weil von gewaltlosen gerade keine gefahr ausgeht. das hat mit vernunftsresistenz nichts zu tun, wenn man nicht akzeptieren will, dass menschen, die gewaltlos für ein legitimes ziel eintreten, von anderen menschen dafür erschossen werden.

  • S
    simon

    Es geht doch einfach nur darum einen souveränen Start zu einer gewaltsamen Reaktion zu provozieren, damit Israel als der Teufel dasteht der er nicht ist. Lauft doch mal über eine Russische/Chinesische Grenze nach Tschtschenien / Uygurien mit der Intention etwas zu besetzen und schaut dann was passiert. Israel ist einfach der Jude unter den Staaten. Soviel Vernunftsresistenz macht mich nur fertig -_-

  • J
    jochen

    Anders Balari:

     

    Apartheid? Wie erklären Sie sich denn die beispielhafte Integration von Juden aus Afrika, Lateinamerika, Russlands, Osteuropas und Westeuropas? Ach ja, die wohnen ja in Ghettos für schwarze Juden, während die aus Osteuropa eher im "weißen" Teil von Jerusalem leben?

     

    Sie können nicht von Apartheid sprechen weil es keine ist. Die Arabische Bevölkerung genießt das "Minimum an Freiheit". So wie eben die bürgerliche Republik sie vorsieht.

    Versuchen Sie es doch mal mit der Wahrheit und nicht mit wahnhaften Projektionen.

  • M
    max

    na klar stefan,

    wenn sonst nichts mehr zur rechtfertigung gibt, werden unbewaffnete einfach zur kriegspartei erklärt.

    das ist das problem, vor das der gewaltlose widerstand seine gegner stellt. man kann die gewaltlosen entweder gewähren lassen, was man nicht will, oder man muss sie mit gewalt - im vorliegenden falle mit tödlicher gewalt - aufhalten. um dies zu rechtfertigen müssen die gewaltlosen selbstverständlich zu terroristen, oder "tragendem teil eines krieges" oder irgendwas anderem sehr schlimmen erklärt werden.

    israel wird sich offenbar tatsächlich bald überlegen müssen, was es tun will, um die gesamtsituation zu verändern, wenn es nicht wiederholt menschen niederschiessen möchte, die bestenfalls gegen sachen (grenzzäune) gewalttätig sind. die sache wird natürlich nicht einfacher dadurch, dass es tatsächlich irgendwelche fanatiker geben kann, die sich mit ihrem sprengstoffgürtel unter die unbewaffneten mischen. da erschiesst man dann halt menschen aus angst vor der möglichkeit, dass sie nicht sind was sie scheinen. das moralische dillemma ist nicht anders auflösbar als durch befriedung des jahrzehntelangen konflikts. es gibt keine weiter so mit besatzung, besiedlung und aussitzen des ungeklärten status quo.

  • S
    Schurke

    Aus dem arabischen Frühling wird ein islamistischer Winter, denn der Hass der Moslems auf die Juden ist größer, als ihre Liebe zu Freiheit und Demokratie.

  • S
    Stefan

    "...als sie friedlich über die Grenze auf den israelisch besetzten Teil des Golan marschierten..."

    Nur mal nebenbei: Es sind kleine friedlichen Demonstranten, die Grenzen brechen, und auch von Ländern aus, die einen Kriegszustand mit Israel aufrecht erhalten? Da hilft auch keine Berichterstattung, die uns vorgaukelt, dass die israelische Armee einen Feuerüberfall auf einen harmlosen Kindergeburtstag verübt. Da herrscht Krieg. Die "friedlichen Demonstranten" wissen das. Sie sind ein tragender Teil genau dieses Kriegs.

  • A
    Alfred

    ...Jahrzentelang durfte kein Syrer bis zur israelischen Grenze. Jetzt waren es gleich Hunderte. Wie soll da ein suveräner Staat reagieren der ständig unter Agression und Bedrohung von außen konfrontiert wird. Wöchentlich schickt die Hamas Raketen nach Israel. Schaut euch doch auch mal die Provokationen in Nablus, Ramallah und Gaza gegen den Staat Israel an.

    ...übrigens, die Nachbarländer hatten 40 Jahre Zeit, die palästinensischen Brüder zu integrieren. Da bestand aber gar kein Interesse!!!!!!!!

  • H
    Holkan

    @Anders Balari: Wenn Sie von Apartheid in Israel sprechen, wie würden Sie denn die Zustände in den umliegenden Staaten nennen? Kennen Sie sich da ein bisschen aus? Oder ist Ihr Wissenstand diesbezüglich mit ihrem Wissenstand über Israel zu vergleichen?

  • E
    end.the.occupation

    Von Ägypten abgesehen waren die Proteste nicht 'propalästinensisch' - es waren vielmehr Proteste VON Palästinensern. In Ramallah gab es einen riesigen Protestzug - auch in Hebron. Palästinensische Fahnen waren sogar in Tel-Aviv zu sehen.

    (Dabei weiss Ghawhary recht gut, dass Palästina bei den Protesten in Ägypten immer eine Rolle - zunächst eine kleine - gespielt hat.)

     

    Allein an der Nordgrenze ist die Rede von zehntausenden von Palästinensern. Videos und Bilder zeigen Palästinenser, die den Grenzzaun überwanden und sich die heimatliche Erde in die Tasche steckten.

     

    Man mag das kitschig finden - es spiegelt jedoch das Scheitern Israels wieder. Das Scheitern des Glaubens, dass die Palästinenser ihre Heimat vergessen und aufgeben würden.

  • S
    sue

    vielen dank für die handfesten infos!

  • L
    Logine

    Vielleicht ist die ägyptische Polizei beim Sturm auf die Kirche nicht eingeschritten weil es sich hier um offensichtlich zwischen-religiöse Konflikte handelte und nicht um politische.Vielleicht scheut sich die neue Regierung, eine klar säkulare Position einzunehmen und sämtliche fundamentalistische Tendenzen zu bekämpfen, was aber m.E. die einzig nachhaltig vernünftige wäre.

  • AB
    Anders Balari

    Warum konnte im Fall von Südafrika jeder über "Apartheid" sprechen und wurde dabei sogar noch unterstützt, zum Beispiel durch Embargos und Boykotte?

     

    Während im Fall von Israel häufig sofort ein großer Aufschrei erfolgt? Warum dauerte es fünf Jahre, bis das sehr gute und kontroversiell diskutierte Buch "Palästina. Frieden, nicht Apartheid." von Jimmy Carter auf deutsch erschien?