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Hamburg MarathonWas vor dem Start läuft

Noch schnell Wasser lassen, Kaffee trinken, die Kleidungsfrage aufwerfen oder gepflegt zu spät kommen: Sehenswert ist der Hamburg-Marathon schon bevor auf dem Kiez der Startschuss fällt.

Nicht nur der Wettbewerb ist spannend: Auch die letzten Minuten vor dem Start beim Hamburg Marathon 2011 haben es in sich. Bild: dpa

HAMBURG taz | Um kurz vor sieben ist alles noch ziemlich gelassen. Bei denen, die laufen, und bei denen, die nicht laufen, und bei denen, bei denen noch was geht.

Um kurz vor sieben am Sonntagmorgen treffen am Kiez in Hamburg die hageren Blondinen, die mit den Kompressionsstrümpfen, den Stirnbändern, die kleinen Dänengruppen, die mit den 96er-Trikots, den dezenten Werder-Schweißbändern am Handgelenk, den Rautentrikots, den braunen, hautengen Einteilern mit Totenkopf, auf die müden Mädels mit den krummen, hohen Absätzen und die Aufgepeppten in den weißen Shirts, für die der Samstag noch nicht aufgehört hat, weil sie von dort, wo sie waren, nicht wieder runterkommen.

Um kurz vor sieben, zwei Stunden vor dem Start des Hamburg-Marathons, stehen nur ein paar Läufer vor den Klohäuschen, und hygienisch muss keiner Bedenken haben. Alle stehen in einer Reihe, und das der sechs Klohäuschen, das als erstes frei wird, ist meines. Andere Läufer trinken ein Tässchen Kaffee und die Dänen fragen sich angesichts Teheranis tanzender Türme, ob es in Hamburg ein Erdbeben gab. Andere laufen sich warm, gucken in die Sonne und überlegen, welche Klamotten die richtigen sind. Es hat schon 17 Grad, es soll warm werden.

Marathon-Ergebnisse

Gewonnen hat den 26. Hamburg-Marathon der Äthiopier Shentema Kudama Gudisa. Die Siegerzeit des 30-Jährigen lag mit 2:11:03 Stunden deutlich über dem Streckenrekord (2:06:52). Seine Landsfrau Fatuma Sado Dergo kam als erste Frau ans Ziel.

Vorjahressieger Wilfred Kigen brach das Rennen vorzeitig ab, seine kenianischen Landsmänner Kipkemboi Kipsang und Johnstone Kibet Mayo belegten die Plätze zwei und drei.

Die deutsche Meisterschaft, die innerhalb des Rennens ausgetragen wurden, gewannen Stefan Koch und Steffi Volke.

Als sieben Minuten vor dem Start eine hohe Startnummer aufs Klohäuschen rennt, trippeln und hüpfen die anderen nervös in der Schlange, die inzwischen bis zur Straße reicht. Für diejenigen, die am Ende der Schlange stehen, wird es eng. Da stellt sich die Frage: Auf die Toilette verzichten? Bekanntlich rächt sich das. In den Busch? Da ist es aber nicht schön. Oder warten? Aber gleich ist Start. Als die hohe Startnummer glücklich die Tür hinter sich schließt, ist kein Klopapier mehr da. Scheiße. Die hohe Startnummer kommt wieder raus und klopft beim Nachbarn. Der öffnet, hat aber auch kein Klopapier. Mist. Immerhin hat der Nachbar Tempo. Teilen. Uff. Noch mal Glück gehabt.

Alles wird jetzt knapp. Auch die Zeit. Wer in der Schlange steht, schaut alle zehn Sekunden auf die Uhr. Reichts noch? Stress, bevor der Lauf begonnen hat - Gift. Lou Richter quatscht die Läufer im Startbereich heiß. Wer zittert, hat jetzt Schwierigkeiten, die Startnummer ans Laufshirt zu friemeln. Startnummer 3.881 bindet sich seelenruhig die Schuhe. Am Start knödelt einer "Einigkeit und Recht...", denn heute werden hier ja auch die Deutschen Marathon-Meisterschaften ausgetragen.

Um 8.57 Uhr ist bei einigen die Hektik unübersehbar. Wuseln. Ausnahme: Die Startnummern 3.644 und 1.972 wissen, dass sie zu spät kommen, ihr Block ist weit hinten. Sie gehen gemessenen Schritts Richtung Start. Das Rennen beginnt. Alle laufen nach rechts, der junge Mann mit der Startnummer 4.683 läuft an uns vorbei nach links, damit er dann nach rechts laufen kann.

Wer jetzt kommt, ist zu spät. Lars und Björn haben es um 9.02 Uhr bis zum Vorplatz geschafft. "Ist auch egal", sage ich. Die beiden nicken und heben die Schultern. Eine Minute später Rolf. Kann noch nicht zum Start, muss erst mal. Er geht aufs Klo ganz links. Auch Rosemarie ist nicht pünktlich. Hat viele Betreuer um sich herum. "Du bist ja ziemlich ruhig", sage ich. "Ne, sicher nicht", sagt sie. Und nun sehe ich feine Schweißtropfen auf ihrer Oberlippe. Rolf ist vom Klo runter und guckt sich um: Wo sind die anderen? Nun muss er sich nicht mehr einordnen, er kann gleich loslegen.

Für seine Zeit ist es wurst. Die wird genommen, wenn sein Chip die Lichtschranke auslöst. Die Schnellsten sind schon anderthalb Kilometer weg. Steffen kommt zehn Minuten nach neun. Ihm strömen die Zuschauer, die am Start waren, entgegen. Er muss eine Lücke finden. Auf der Strecke jagt er alle vor sich her. Eine Minute später kommt ein orientierungsloser Läufer aus Richtung Heiligengeistfeld. Keine Startnummer. Vielleicht vergessen. Läuft hierin, dorthin, dann Richtung Start, taucht in der Menge unter, kommt wieder zurück, trabt Richtung Planten und Blomen. Hat umdisponiert.

Kaum ist Steffen ins Rennen gegangen, hören die Ersten wieder auf. Da drüben humpelt einer Richtung U-Bahn. Lieber zu spät anfangen als früh aufhören.

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