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Kommentar Chodorkowski-UrteilKleiner Sieg in Straßburg

Kommentar von Barbara Oertel

In Russland ist es Methode, Gefangene wie Tiere in Käfigen zur Schau zu stellen. Vielleicht macht das Urteil Betroffenen in Russland Mut, ebenfalls Straßburg anzurufen.

Z weifellos bedeutet für Michail Chodorkowski das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte über seine Grundrechtsbeschwerde eine herbe Niederlage. Schließlich ging es dem früheren russischen Ölmagnaten zuallererst darum, feststellen zu lassen, dass der erste Prozess gegen ihn wegen Betruges und Steuerhinterziehung eindeutig politisch motiviert gewesen sei.

Doch für diese Anwürfe konnten die Straßburger Richter allenfalls Verdachtsmomente finden, jedoch keine eindeutigen Beweise. Sie verwiesen darauf, dass der politische Status keine Immunität garantiere.

Dieser Auffassung kann man folgen. Zumal bekannt ist, dass ein Großteil der späteren Oligarchen in den chaotischen Jahren der Jelzin-Ära den Grundstein für ihren Reichtum, ihre Macht und ihren Einfluss gelegt hat - und das oft mit unlauteren Mitteln.

Die Autorin

BARBARA OERTEL ist Osteuropa-Expertin im Auslands-Ressort der taz.

Einen wenn auch kleinen moralischen Sieg gegen Russland hat Chodorkowski dennoch errungen. Denn das Gericht hat mehrere Verstöße der Behörden gegen die Rechte des Klägers in der Untersuchungshaft und während des Prozesses benannt.

Diese erniedrigende Behandlung Chodorkowskis, für die Moskau jetzt Schmerzensgeld zahlen muss, hat in Russland Methode. Täglich werden im Gerichtssaal Gefangene wie Tiere in Käfigen zur Schau gestellt. In überfüllten und verdreckten Knästen büßen sie mit ihrer Gesundheit oder mit ihrem Leben.

Es sind aber genau diese menschenverachtenden Praktiken, die einem Rechtsstaat Hohn sprechen, die das Urteil erneut in den Fokus rückt. Damit weist es über die Causa Chodorkowski hinaus. Und vielleicht macht der Richterspruch weiteren Betroffenen in Russland Mut, ebenfalls den Weg nach Straßburg anzutreten.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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5 Kommentare

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  • B
    Benz

    @Rainer Früh

    ''Die Motive von Benz sind klar, eindeutig und entlarvend.''

     

    Ich habe ein gesundes Gerechtigkeitsempfinden und rege mich darüber auf, wenn ein Schwerverbrecher hochgejubelt wird, und freue mich, wenn so einer hinter Gitter wandert. Soviel meinerseits. Und jetzt sagen Sie, was sind denn Ihrer Meinung nach meine Motive?

  • A
    Andrej

    Dieser Chodorkowski ist ein Schwerverbrecher. Der verdient nichts anderes als ein dunkles Verlies. Warum versucht der Westen nur diesen Typ zu verteidigen??

     

    Ich finde es gut das unsere Regierung nicht einfach so vor dem Westen einknickt.

  • D
    Denis

    Der Realitätsverlust ist schon erstaunlich. Russland wird zum xten mal vom Europäischen Gerichtshof in Strassburg wegen schwerwiegenden Menschenrechtsverstössen verurteilt und die Kremlpapageien verunglimpfen daraufhin das Opfer. Welcher Mensch mit Gehirn soll darauf hereinfallen ?

  • RD
    Rainer David W. Früh

    Es ist schon interessant, wenn ganz bestimmte Spagauken in diesem Forum jeden Terroristen bewundern und verteidigen und sich dann in dieser Form an einem Russen abarbeiten, der bei Putin und seiner clique in Ungnade gefallen ist, was er sicherlich nicht wäre, wenn er das Hohelied auf die größte KGB-Altlast, die es im politischen Umfeld Russlands gibt, mitgesungen hätte. Die Motive von Benz sind klar, eindeutig und entlarvend.

    Und nochwas: Der Mann heißt nicht Chodor, sondern Chodorkowski; soviel Zeit muss sein!

  • B
    Benz

    ''Teilerfolg'' ;))) Haha, ja so kann mans natürlich auch sehen.

     

    Fassen wir doch mal zusammen, in dem Urteil steht: Das Eurogericht stellt fest, dass Chodor ein ordinärer Krimineller ist, dass seine Behauptung, ein politisch Verfolgter zu sein, durch nichts bewiesen ist.

     

    Sagte ich (und andere objektive Stimmen) ja schon immer. Chodor hat eine Menge Geld gestohlen, ist ein Krimineller, und dafür wurde er verurteilt. Seine ewigen Klagen, politisch Verfolgter zu sein, ist nichts als PR-Strategie.

     

    Naja, und in einem Nebensatz hat dann das Eurogericht noch einige kleinere Verfahrensmängel festgestellt, zB. die U-Haftdauer. Darin liegt dann auch der ''Teilerfolg'' Chodors.

     

    Fazit: In der Oeffentlichkeit stellt sich Chodor erfolgreich als politischer Häftling dar. Aber die Richter, weder in RU noch in Westeuropa, lassen sich durch seine Propaganda nicht hinters Licht führen. Die Gerechtigkeit hat gesiegt!