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Kommentar RüstungsforschungMoralvolte zur rechten Zeit

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Mit Verweisen auf Srebrenica und Terrorismus argumentiert die Uni Bremen für die Aufhebung des Banns der Rüstungsforschung. Ihre Motive sind zweifelhaft.

D er demagogische Dreh hat 1999 schon bei den Grünen funktioniert: Mit Verweis auf Auschwitz hatte damals Außenminister Joseph Fischer die einst strikt pazifistische Partei dazu gebracht, dem Angriff auf Serbien zuzustimmen.

Ähnlich argumentieren heute auch Wissenschaftler an der Bremer Universität. Mit Verweis auf die Gräuel von Srebrenica und den Al-Qaida-Terror versuchen sie zu begründen, warum die Uni ihr jahrzehntealtes Moratorium für Rüstungsforschung aufweichen sollte. Damals gab es den Kalten Krieg, doch heute gibt es friedensstiftende Blauhelme - und wer kann schon ernsthaft gegen deren Wirken sein, fragen sie.

An ihrer Kritik gegen "absoluten Pazifismus", den sie den Befürwortern der universitären Zivilklausel unterstellen, mag Wahres sein. Natürlich wäre auch der Sieg über den NS-Faschismus kaum geglückt, gäbe es keine Waffenkonstrukteure.

Christian Jakob

ist Redakteur bei taz-Nord.

Doch darum geht es den Zivilklausel-Gegnern nicht. Denn mit ihrer als aufgeklärter Verantwortungsmilitarismus daherkommenden moralischen Volte wollen sie ein Prinzip entsorgen, das sich die Bremer Universität selbst auferlegt hat. Sie erklären es nicht nur für moralisch rückgratlos, sondern gleich zu einem Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit - obwohl diese Beschränkung im besten Sinne einer Hochschulautonomie beschlossen wurde.

Ihre Motive dürfen dabei jedoch als zweifelhaft gelten. Denn der Rüstungsbann auf dem Bremer Campus gilt seit 25 Jahren. Ihren moralischen Modernisierungsbedarf entdecken die Dekane aber jetzt - justament sechs Tage nachdem ein Rüstungsunternehmen, dessen Zahlungen in Millionenhöhe schon verplant sind, ebendies verlangt hat. Die Hochschulautonomie, die sie so hoch halten, hat sich da längst verabschiedet.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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1 Kommentar

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  • DP
    Daniel Preissler

    Bei Netanjahu wäre der Verweis auf Auschwitz wohl des öfteren als "demagogischer Dreh" zu bezeichnen (wobei ich demagogisch auch da etwas überzogen finde: manipulativ wäre besser). Bei Fischer halte ich es für falsch.

    Schließlich hatte er recht! Meine ich! Es geht darum, dass Krieg (mit allen schlimmen Konsequenzen: zivile Opfer, von Soldaten der eigenen Truppen begangene Vergewaltigungen usw.) die weniger schlechte (auch: die weniger schuldig machende) Lösung sein kann, wenn ein Völkermord begangen wird oder wahrscheinlich begangen werden wird.

    Dass durch diese Prioritätensetzung auch weitere Formen des Missbrauchs von Gewalt (zum Schutz ökonomischer Interessen unter dem Deckmantel des Schutzes humanitärer Interessen) möglich sind/werden, macht die Sache natürlich nicht leichter. Man muss von Fall zu Fall alles Erreichbare prüfen und auch den jeweiligen potentiellen Verbündeten auf die Finger (und am besten auch in die Akten und Köpfe) sehen.

    Ein quasi selbsttätiger "Eingreifmechanismus" wäre sicherlich fatal. Ein selbstverständliches Nichteingreifen in allen Fälle allerdings auch (wie der Autor selbst am Beispiel aller Beispiele, dem 2. WK, kurz aufzeigen will - auch wenn's damals noch ein bisschen komplizierter war und nie um Menschenrechte, sondern lediglich um Staatensouveränität, Ökonomie und Grenzverläufe ging).

    Freundliche Grüße, DP