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Deutsche Medien und die Fußball-WMPlötzlich Mini-Sommermärchen

Deutsche Sportredaktionen haben den Event-Charakter der Frauenfußball-WM erkannt und rüsten entsprechend auf. Selbst das "Kicker"-Sportmagazin klotzt.

Auch das ist neu: Panini-Sammelaufkleber zur WM. Bild: dpa

BERLIN taz | Bis vor Kurzem war der Frauenfußball noch ein gemiedenes Orchideenfach unter den Sportjournalisten. Meist überließ man dieses Spezialgebiet im traditionell männerlastigen Ressort einer Frau.

Auch beim altehrwürdigen auf Fußball spezialisierten Kicker-Sportmagazin war das so. Um Welt- und Europameisterschaften, Bundesliga und Champions League der Frauen kümmerte sich in den letzten Jahren einzig und allein Jana Wieske.

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB), erzählt Kicker-Redakteur Peter Nickel, habe in der Vergangenheit zwar "ständig angefragt", ob man die Frauenfußball-Berichterstattung nicht ausweiten wolle, doch die Redaktion habe abgelehnt. "Damit", sagt Nickel, der für die Planung der Frauen-WM verantwortlich ist, "gewinnen wir keinen einzigen Leser." Eine halbe Seite hat man bislang den Frauen gewidmet. Die Berichterstattung bewegte sich im Promillebereich.

Kicker-Redakteur: "Wir erwarten ein Mini-Sommermärchen"

Bei der nun am 25. Juni beginnenden Frauen-WM im eigenen Lande wird ganz anders gerechnet. "Wir erwarten ein Mini-Sommermärchen", sagt Nickel. Entsprechend groß ist das Aufgebot, das der Kicker in die Stadien schickt. Aus der knapp 40-köpfigen Redaktion hat man 14 Journalisten akkreditiert. Acht Seiten pro Ausgabe sind geplant im ungebundenen, aus Zeitungspapier bestehenden Magazinteil. Bevor die WM angepfiffen wird, hat man im Nürnberger Redaktionshaus erkannt, dass Frauenfußball auch rentabel sein kann.

Das Sonderheft, das derzeit in den Kiosken ausliegt, musste wegen des Ansturms der Anzeigenkunden zweimal erweitert werden. "Wir haben schon Gewinn gemacht, bevor überhaupt ein Exemplar verkauft wurde", erzählt Nickel, der glaubt, dass nun auch die 130.000 Hefte ihre Abnehmer finden. Billig genug wurde der Preis vorsichtshalber angesetzt - auf dem Titelblatt wird die Sonderausgabe in einem gelben Kasten mit "nur 2 Euro" angepriesen.

Die 11 Freundinnen haben ebenfalls ein WM-Sonderheft zusammengestellt. Zu kaufen ist es allerdings nur im Paket mit dem "großen Bruder", dem monatlich erscheinenden Fußballmagazin 11 Freunde - so wie das bei den regulären vierteljährlich erscheinenden Ausgaben von 11 Freundinnen auch der Fall ist. Anders als beim Kicker hat man sich bei der 11-Freunde-Redaktion vor zwei Jahren für eine systematische Frauenfußball-Berichterstattung entschieden und das Beilagenheft eingeführt. Personell ist man allerdings wesentlich dünner besetzt. Drei Mitarbeiter sind in den Stadien und sollen das Online-Spezialangebot der 11 Freundinnen bestücken. Chefredakteur Jens Kirschneck ist über die Anzahl der Werbekunden für das Sonderheft ebenfalls sehr erfreut gewesen. Als "sehr ordentlich" bezeichnet er den Zuspruch.

SZ schickt sechs Redakteure, FAZ sieben, WELT acht

Bei den überregionalen Tageszeitungen kann man zwar angesichts der nahenden WM nicht davon sprechen, dass das notorisch lahmende Anzeigengeschäft einen Aufwind erfährt, doch auch hier finden sich die einst einsamen Frauenfußball-Experten plötzlich in personalstarken Teams wieder. Für die Süddeutsche Zeitung (SZ) etwa sind sechs Redakteure berechtigt, aus den Stadien zu berichten, die Welt schickt acht und bei der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) haben sieben Redakteure Zugangsberechtigungen in die Arenen, wobei zusätzlich noch drei akkreditierte freie Mitarbeiter zur Verfügung stehen.

Mit zwei Seiten Frauenfußball pro Tag werden diese drei Zeitungen bei der ersten Frauen-WM in Deutschland interne Rekordmarken setzen. Wobei sich alle gar noch ein wenig Spielraum nach oben lassen. Keiner wagt eine Prognose, wie sich die öffentliche Wahrnehmung des Turniers entwickeln wird. Klaus Hoeltzenbein etwa, der Sportchef der SZ, betont: "Wir haben die Möglichkeit, das Volumen zu erweitern."

Anders als bei den Männerturnieren ist der Fokus indes extrem stark auf das deutsche Team gerichtet. Daniel Stolpe, der für die Welt die WM plant, macht in diesem Zusammenhang auf ein Problem aufmerksam: "Niemand kennt die Spielerinnen der anderen Teilnehmer. Es gibt keinen Messi oder Ronaldo bei den Frauen. Das Turnier ist tot, wenn die Deutschen ausgeschieden sind." Davon geht derzeit jedoch niemand aus.

Redaktionsinterne Logik

Bei der kollektiven Hinwendung zum Nischensport Frauenfußball konnte man sich in den Sportredaktionen oft nicht allein auf das Prinzip der Freiwilligkeit verlassen. "Es war in der Tat so, dass man einige Kollegen ansprechen musste. Sie haben nicht von sich aus den Finger gehoben", räumt Peter Nickel vom Kicker ein. Auf Nachfrage jedoch, versichert er, seien alle Angesprochenen bereit gewesen. Die auserwählten Fußballschreiber der SZ, die 2010 noch von der Männer-WM aus Südafrika berichteten, mussten sich mit solchen Anfragen gar nicht erst auseinandersetzen. Hoeltzenbein erklärt: "Die müssen doch auch irgendwann Urlaub nehmen. Die Besetzung des nun für die Frauen-WM aufgestellten Teams folgt einer redaktionsinternen Logik."

Christian Kamp, der bei der FAZ für die Planung des anstehenden Turniers verantwortlich ist, berichtet dagegen von einem unerwarteten Interesse in seiner Redaktion an der WM: "Ich war auch überrascht, dass sich so viele von sich aus gemeldet haben." Von den Redakteuren, die letztes Jahr aus Südafrika ihre Texte schickten, seien einige ebenfalls beim Frauenturnier dabei.

Theoretisch sind die genannten Zeitungen alle in der Lage, die gesamten Spiele der Frauen-WM zu besetzen und damit Schritt zu halten mit der Omnipräsenz der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, ARD und ZDF, die erstmals alle WM-Spiele live übertragen werden. Ob nach der WM der Anteil des Frauenfußball-Berichterstattung wachsen wird, darauf will sich Kicker-Redakteur Nickel nicht festlegen. Er sagt: "Wir werden die Entwicklung der WM genau beobachten und uns dann entscheiden."

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1 Kommentar

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  • CP
    Carsten Posingies

    ZU FRÜH GEFREUT

    So erfreulich es ist, dass ausser der taz und Springers Bulldozer-Blättchen auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen und gar das Handelsblatt des Fussballs, also der kicker, sich unseren Sommermädchen widmen -- für emanzipatorische La-Ola-Wellen ist es viel zu früh. Und zwar nicht, weil noch niemand weiss, wie die Quoten und Auflagen in 20 Tagen aussehen werden.

     

    Das Problem liegt woanders und ist viel grundsätzlicher. Deutlich wird es unter anderem daran, dass das erste Spiel mit deutscher Beteiligung bei dieser WM von ungefähr so vielen Menschen im Olympiastadion verfolgt wurde, wie sich im Ligabetrieb etwa auf fünf Spieltage verteilen. Wohlgemerkt: auf alle Spiele. Gut 72.000 hier, im Schnitt 800 dort. Das ist im Männerfussbal nichteinmal drittklassig.

     

    Nun wird gern gesagt, dass der Männerfussball ja auf gut 70 Jahre mehr Tradition zurückblickt. Da bestehe nun eben noch grosser Nachholbedarf. Und genau das stimmt. Deswegen ist die Euphorie verfrüht und gefährlich. Eigentlich wissen wir doch, wichtig is aufm Platz. Oder in der medialen Welt: wichtig is inner Sportschau. Würden jede Woche neben dritter, zweiter, erster Männerliga auch nur die beiden Toppspiele der Frauen-Bundesliga gezeigt -- freilich mit angemessener Beteiligung der Clubs an den Fernsehgeldern --, wäre das, weil kontinuierlich ohne Märchen-Event-Hype, dieser Sportart viel zuträglicher.

     

    So, wie es jetzt verkauft wird, bleibt es eine Jahrmarktsattraktion der Sorte Frau(enfussball) ohne Unterleib. Regelmässigen Sportschau- und Doppelpass-GuckerInnen dürfte es leicht fallen, 100 oder mehr Profikicker aufzuzählen, Sky-Abonnenten schaffen sicher auch 200 samt Team und 0osition. Wieviele Spielerinnen aus der Frauen-Bundesliga kriegen Sie spontan zusammen? Ich habe es probiert, ich komme auf 12. Eine märchenhafte Zahl. Wer bietet mehr?