Kinder: Krippenplatz in Bochum
Gestern begann das Kita-Jahr 2011. Jedenfalls für die Glücklichen, die einen Kleinkind-Platz ergattern konnten. Die anderen müssen zu Hause bleiben oder umziehen
Bis gestern Mittag dachte Stefanie Seiler, sie könnte nach den Herbstferien wieder in ihren alten Job zurück. Nachdem sie sechzehn Absagen bekommen hatte, konnte sie nämlich in letzter Sekunde einen Krippenplatz für ihre einjährige Tochter ergattern. Zufällig hatte sie von einer Bekannten erfahren, dass deren Platz frei würde. "Die Krippe hat mir vor zwei Wochen mündlich zugesagt", erzählt die 30-Jährige, "aber gestern hieß es plötzlich, das sei noch gar nicht klar." Damit steht ihr Berufseinstieg wieder in den Sternen. "Ich habe erst einmal eine Stunde geheult", erzählt Seiler, die ihren richtigen Namen nicht nennen möchte. Weil sie hofft, doch noch den Zuschlag zu bekommen.
Seiler ist kein Einzelfall. Sie ist eine von Hunderten, die sich erfolglos um eine Tagesbetreuung für ihr Kleinkind bemüht haben. Wie viele zum gestern begonnenen Kita-Jahr leer ausgegangen sind, weiß in Bremen niemand, da die Bewerbungen nicht zentral erfasst werden. Sicher ist nur, wie viele Plätze es gibt: 2.200 in Gruppen plus 617 bei Tageseltern. Nach Angaben der Behörden steht damit für rund ein Fünftel aller Kinder bis drei Jahre ein Betreuungsplatz bereit. Nur: Diese Zahl sagt wenig über die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage aus. So werden in den innerstädtischen Vierteln mehr Plätze gesucht als weiter draußen. Und: Die Betreuungszeiten sind für viele zu kurz, die so genannte Ganztagsbetreuung endet meist nachmittags.
Aus diesem Grund wird die einjährige Tochter von Nicole Kotzke nicht in Bremen, sondern in Bochum in den Kindergarten gehen. Dort arbeitet ihr Freund, der an vier Tagen die Woche mit dem Kind in Bochum leben wird. "Ich weiß nicht, ob ich das aushalten kann", sagt die 42-Jährige, "aber das schien die beste Lösung zu sein." Die Sozialarbeiterin braucht an mindestens drei Tagen die Woche eine Betreuung bis 17 Uhr - damit kamen für sie weder Tageseltern noch die privat organisierten Elternvereine - die in vielen Stadtteilen das Gros der Plätze stellen - infrage. Letztere haben in Ausnahmefällen bis 16 Uhr geöffnet. Die einzige öffentliche Kita in ihrer Nähe fiel auch weg, weil diese erst Kinder ab anderthalb Jahren betreut. Bei drei Einrichtungen bewarb sie sich, eine bot ihr, nachdem sie monatelang nichts gehört hatte, Mitte Mai einen Platz an: 550 Euro für drei Tage, fast doppelt so viel wie die Kita in Bochum für die ganze Woche kostet.
Andere haben wie Stefanie Seiler den "Tanz", wie es eine Mutter nennt, um die wenigen Plätze in Elternvereinen mitgemacht. Bis zu 200 Eltern bewerben sich dabei auf einen oder zwei Plätze, die meistens an Leute vergeben werden, die jemand im Verein kennen. So bewarb sich die 30-jährige Verena Backer erfolglos bei 25 Elternvereinen für ihren jetzt Einjährigen. Angefangen zu arbeiten hatte sie schon ein halbes Jahr vorher - mit zwei Tagen die Woche. Ihren Sohn betreuten zunächst Freunde und Verwandte, denn für Babies gibt es nur eine Handvoll von Plätzen in Bremen. "Als ich da anrief hieß es gleich, ich hätte keine Chance", erzählt sie.
"Nur" 16 Anträge stellte die Ärztin Kristina Richardt, die sich wie viele andere über das "chaotische und nicht transparente Vergabeverfahren" ärgert. Die 35-Jährige bekam ebenfalls nur Absagen und fand nach langem Suchen eine Tagespflegestelle für ihre einjährige Tochter, von der sie einen guten Eindruck hat. Zwischendurch hatte sie noch versucht, mit anderen, die auch noch nichts hatten, einen Elternverein neu zu gründen. "Wir hatten schon Räume und hätten zum 1. August anfangen können, aber nach langem Hin und Her hieß es bei der Behörde, wir könnten nicht gefördert werden - das Geld dafür sei schon zwei Jahre vorher vergeben worden.
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