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Dokuformat "ARD-exclusiv"Ausgebeutet und aufgedeckt

Mit "Das Hermes-Prinzip" startet am Mittwoch die Sommerstaffel von "ARD-exclusiv". Endlich bekommt das investigative Format einen würdigen Sendeplatz.

Szene aus "Das Hermes-Prinzip": Auslagerung sozialer Verantwortung als Prinzip. Bild: WDR

Mit einer Reportage über den Versicherungsdienstleister und Gerhard-Schröder-Freund Carsten Maschmeyer, die unter dem Label "ARD-exclusiv" rubriziert war, erzielte die ARD im Januar an einem Mittwoch eine große Resonanz - direkt vor den "Tagesthemen". Der Erfolg hatte nur einen Schönheitsfehler: Der Film lief außer der Reihe. Für halbstündige Reportagen gibt es im Abendprogramm des Ersten keinen regelmäßigen Platz.

Umso wichtiger ist es für den Senderverbund, in der Sommerpause ein Reportage-Paket mit "mehr publizistischer Schlagkraft" (ARD-Chefredakteur Thomas Baumann) präsentieren zu können. Vier Filme der aktuellen Staffel von "ARD-exclusiv" - über die prekären Beschäftigungsbedingungen für die Fahrer des Paketversands Hermes, den Geflügelkonzern Wiesenhof, die Armut älterer Arbeitsloser sowie die Berater- und Lobbyistenkarrieren von Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Co. - laufen mittwochs um 21.45 Uhr. Möglich ist das, weil "Hart, aber fair" derzeit pausiert. Eine fünfte Reportage (über Internetkriminalität) muss mit dem Regelsendeplatz am Sonntag um 13.15 Uhr vorliebnehmen, weil ein Fußball-Länderspiel Vorrang hat.

Hintergrund der aktuellen Offensive: Beim jährlichen Treffen der ARD-Politikmagazine im Herbst war man sich darin einig, dass die Redaktionen aus ihren Recherchen häufiger längere Filme stricken sollten. "Wirklich investigativ" seien die neuen Reportagen, sagt Baumann. Die ARD-Leute rücken unter anderem Firmen auf den Pelz, deren "bewusst publizierte Images" (Baumann) nicht immer im Einklang mit der Realität stehen.

Otto-Konzern

Das gilt für den Otto-Konzern, der gern von sozialer Verantwortung salbadert. Das hat das zur Firmengruppe gehörende Unternehmen Hermes aber nicht davon abgehalten, ein fragwürdiges Subunternehmersystem zu entwickeln: Die Fahrer tragen Hermes-Klamotten, haben rechtlich aber nichts mit der Firma zu tun, sie sind selbstständig. Bezahlt werden sie nicht nach Aufwand, sondern pro abgeliefertem Paket. Man habe Fahrer getroffen, die sich keine Kranken- und Rentenversicherung leisten können, sagt die Filmautorin Monika Wagener aus der "Monitor"-Redaktion. "Die Frage, die wir uns als Gesellschaft stellen müssen, lautet: Können wir uns die Auslagerung der sozialen Verantwortung leisten?"

Michael Otto, Mehrheitsaktionär und Aufsichtsratschef der Otto Group, muss man zugestehen, dass er sich für "Das Hermes-Prinzip", mit dem die Reihe heute startet, interviewen ließ.

Wiesenhof tickt anders. In der Reportage "System Wiesenhof. Wie ein Geflügelkonzern Tiere, Menschen und Umwelt ausbeutet" ist zu sehen, wie einem der Autoren der Zugang zu einer Pressekonferenz verweigert wird. Der aus der Redaktion des Mainzer "Reports" stammende Film profitiert von dieser Szene, die für das Unternehmen wenig imagefreundlich ist. Von einer klugen PR-Strategie ist bei Wiesenhof auch sonst nichts zu spüren, mittlerweile hat man gegen den Titel der Sendung eine Unterlassungsaufforderung an den zuständigen SWR geschickt.

In Zukunft werde die ARD ihren Politikmagazinredaktionen mehr Möglichkeiten geben, solche längeren Filme zu produzieren, sagt Chefredakteur Baumann. Auf dem Sendeplatz am Montag um 22.45 Uhr, der nach der Sommerpause eigentlich für Dokus vorgesehen ist, will man auch Reportagen unterbringen.

"ARD-exclusiv", Mittwochs, ARD, 21.45 Uhr

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3 Kommentare

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  • HF
    Hans Fritzke

    Die ARD sollte mal eine investigative Geschichte über die Betrugsfälle KIKA und die NDR-Mitarbeiterin Heintze machen. Nimmt man die Vorgänge beim MDR um den wg. finanzieller Unregelmäßigkeiten entlassenen Programmchef hinzu, dann ergibt das Stoff für mindestens drei Sendungen. Aber von Selbstkritik hält man bei denen nicht viel. Stattdessen lieber Unternehmens-Bashing bei anderen. Mehr Heuchelei geht doch nun wirklich nicht.

  • U
    Ulrike

    in welcher Bananenreplublik wir leben und arbeiten kann man an diesem Beitrag festmachen. Kein Wunder dass den Rentenkassen immer mehr verloren geht:-(

  • DA
    Der Analogist

    Falls die ARD noch Stoff sucht:

     

    Man schaue sich einmal die satte Gewinne einfahrende Lufthansa am Frankfurter Flughafen an. Am Tor 23 und an vielen vielen Orten am Flughafen arbeitet Sicherheitspersonal in Lufthansa-Uniform. In den Klamotten stecken aber seit ein paar Jahren Arbeitssklaven einer anderen Firma. Die Unterschiede sind eklatant: Lufthansa lagert Personal aus, die Leute verlieren ihren Lohn, von dem man recht gut leben konnte. Und die neuen Angestellten am Tor 23 dürfen nicht einmal - wie ihre anderen Ex-LH-Kollegen - auf die andere Seite des neuen Sicherheitszaunes, um sich dort ein Pausenbrötchen zu holen. Dem Chef der Sicherheitsfirma sind 150EUR Gebühr zuviel, die die Lufthansa von ihm für den Sicherheitsausweis fordert. Tolle Welt der Heuchlerei. und alle spielen mit. Der Betriebsrat, die Kunden (die ja LH vorgegaukelt kriegen), und die Angestellten, weil sie gezwungen wurden. Entweder Du kannst bei der (Niedriglohn-)Sicherheitsfirma anfangen, oder Du bist raus.