Schikane in der Premier League: Journalisten boykottieren Saisonbeginn
Absurde Vorschriften für Journalisten: Britische Reporter dürfen nur zu ganz bestimmten Zeiten Updates an ihre Redaktionen schicken. Jetzt schlägt die Presse zurück.
Da fällt beim Spitzenspiel der Fußball-Bundesliga ein Tor – doch der Reporter auf der Pressetribüne meldet den neuen Spielstand nicht umgehend für den Internet-Liveticker seines Blattes. Nicht, weil er faul wäre. Sondern weil er nicht darf.
Klingt absurd? Im Mutterland des Fußballs ist es seit Jahren Realität. Und die mächtigen englischen Ligen zeigen auch weiterhin wenig Veränderungsbereitschaft. Nun ziehen Zeitungen und Nachrichtenagenturen die Konsequenz – und boykottieren den Saisonbeginn.
Einen Vorgeschmack gab es schon am Wochenende: "Der Independent konnte leider nicht über das gestrige Pokalspiel zwischen Hull City und Blackpool berichten", war da lapidar auf der Website des Blattes zu lesen, "Grund ist ein Streit um Vertragsrechte mit der Premiere League und der Football League."
Die Ligen haben ihrerseits keine Lizenzen für die in der News Media Coalition (NMC) zusammengeschlossenen Blätter und Agenturen erteilt und die Vereine angewiesen, deren Berichterstatter gar nicht erst ins Stadion zu lassen. Kommt es nicht noch zu einer Einigung in letzter Minute, könnte auch die Berichterstattung zum Start der Premier League am Samstag ganz anders als sonst ausfallen.
Über Monate hatte die NMC, die Qualitätszeitungen wie Boulevardblätter vertritt, mit den Ligaverbänden verhandelt. Die mittlerweile sechs Jahre alten, nicht mehr zeitgemäßen Vorschriften sollten endlich der aktuellen Situation angepasst werden. Anders als in Deutschland dürfen beispielsweise Reporter im Stadion nur zu ganz bestimmten Zeiten Updates an ihre Redaktionen schicken – insgesamt gibt es nur neun solcher zeitlich klar festgelegten "Windows" während des Spiels.
Dem Fan unterlegen
Damit seien die Profis auf der Pressetribüne sogar den Zuschauern vor und hinter ihnen klar unterlegen, frotzeln die Kritiker. Denn die Fans könnten ständig per Twitter & Co. aus dem Stadion berichten, während der lizenzierte Journalist auf das nächste "Fenster" warten muss.
Die englischen Ligen treibt die Furcht vor TV- und Livestream-Piraterie um. Nicht, dass sie den JournalistInnen unterstellen würden, hier selbst illegal aus dem Stadion zu übertragen. Doch die Verbände argumentieren, Liveticker renommierter Agenturen oder Zeitungen könnten mit illegal im Netz vorhandenen Streams kombiniert werden und diese so deutlich aufwerten.
"Unsinn", sagt Matt Scott, Sportreporter beim Guardian. Denn viele Blätter lieferten längst "Minute-by-Minute"-Berichterstattung von den wichtigen Spielen - nur dass seine KollegInnen dabei vorm Fernseher sitzen. "Natürlich wäre es aber viel besser und sinnvoller, wenn auch das direkt aus dem Stadion käme", sagt Scott: Die Piraterie-Angst sei vorgeschoben, "hier versuchen einige Clubs, auch das noch zu Geld zu machen".
Noch problematischer sieht die NMC, dass die Ligen weiter bestimmen wollen, an wen Nachrichten- und Sportagenturen ihr Material liefern dürfen. Vor allem für die oft kleineren Sportagenturen bedeute das Verfahren einen hohen bürokratischen Aufwand, so die NMC. Außerdem sei hier die Freiheit der Berichterstattung eingeschränkt. "Viele kleinere regionale Zeitungen haben keine eigenen Leute bei den Spielen und sind auf die Agenturberichte angewiesen", sagt auch Scott, im schlimmsten Fall könnten die Ligen ihre Macht missbrauchen und negative Berichterstattung abstrafen.
Sky trägt Rot
Im Vergleich zu so viel Hickhack herrscht in Deutschland fast die große Freiheit: Zwar hat auch die Deutsche Fußball Liga (DFL) Spielregeln für die Akkreditierung von Pressevertretern bei der 1. und 2. Bundesliga aufgestellt. Die handeln penibel auf rund 25 Seiten aber eher Zugangsrechte zum Innenraum und die Frage ab, welche Farbe die Leibchen bestimmter TV-Sender haben (Sky trägt Rot, der Free-TV-Erstverwerter Beige, der Zweitverwerter Blau usw.). ZeitungsjournalistInnen dürfen aber Updates senden und twittern, wie und wann sie wollen.
Wie es in England weitergeht, bleibt dagegen offen. Guardian-Mann Scott ist eher pessimistisch: "Wichtig ist, ob die NMC-Koalition aus Zeitungen und Agenturen hält", doch da hat er seine Zweifel: "Boulevardblätter wie die Sun oder der Daily Mirror können es sich einfach nicht leisten, auf die Premier League zu verzichten."
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