Die Wahrheit: Wenn der Polarsturm Diebe bringt ...
... und Schnee. Neues aus Neuseeland: Der Tag, der uns endlich wieder mit einer Naturkatastrophe in die internationalen Schlagzeilen brachte, begann für mich ...
... um Mitternacht damit, dass ich es mit dem letzten Flugzeug nach Christchurch schaffte. Die Flüge nach Dunedin und Wellington waren bereits alle gestrichen. Ich schlitterte einmal heftig auf der Fahrt nach Hause. Der Wagen streikte schließlich und wollte ohne Vierradantrieb nicht mehr den Hügel hinauf. So zog ich meinen Rollkoffer zu Fuß im Schneetreiben heimwärts, hinterließ frische Spuren auf der menschenleeren Straße und kam mir vor wie der Weihnachtsmann, der sich nachts den Häusern der Schlafenden nähert. Es war herrlich.
Am nächsten Morgen wurde es noch besser. Weiße Wunderwelt, glückliche Kinder, keine Schule - schneefrei! Ein Snowboarder nagelte mich auf unserer Straße fast um, als ich den Briefkasten leeren wollte. So steil ist es dort. Die Post kam natürlich an dem Tag nicht. Und auch nicht am nächsten. Kein Bus fuhr mehr. Die Schulen entschlossen sich, vorsichtshalber doch lieber drei Tage zu schließen. Nach all den schweren Erdbeben haben wir diese Routine schon drauf: Es bebt, und alles hat zu. Aber es schneit, und alles hat zu? In Nordeuropa hieße dieses angebliche Desaster ganz einfach nur "Winter". Jeder Kanadier würde sich schlapplachen über all die Panik. Am Rande der Südsee jedoch war es ein Tiefkühldrama, das das halbe Land überforderte. Also stand das Land vorsichtshalber wieder still. Ist ja auch sinnvoll, wenn man in Christchurch nur ein einziges Schneeräumfahrzeug hat. Am Flughafen.
Dass es im subtropischen Auckland schneite, war indes eine kleine Sensation, auch wenn keine Flocke liegen blieb. Diese Art von exotischem Niederschlag hatte es dort seit 1936 nicht gegeben. Die Fernsehsender waren entzückt. Und da sie nicht wie die Eskimos über hundert Wörter für "Schnee" parat hatten, griffen unsere Reporter tief in die Streusandkiste der Metaphern. Der "polare Windstoß" wurde zum "Big Chill", der uns in seinem "eisigen Griff" hielt, getoppt vom "arktischen Schnellzug aus dem Pinguin-Camp".
Schlagzeilen machten entsprechend die Verbrechen jener Tage, die dank der pinguinen Wetterlage etwas leichter aufzuklären waren. Im ländlichen Oamaru brachen zwei Männer nachts in einen Tante-Emma-Laden ein. Die Polizei musste sich kaum anstrengen, um die beiden zu schnappen - sie hinterließen Spuren im Schnee. Bemerkenswert war auch die Beute der Täter: zwei Kartons mit Eis am Stiel. Was man halt so braucht im Polarsturm.
Fast genauso schlau verhielt sich die junge Frau, die Botox stahl, und zwar mit ihrem Gesicht. Nachdem sie sich die teuren Spritzen verpassen ließ, verschwand sie, ohne zu zahlen, und ward nicht mehr gesehen. Oder dann doch - denn sie hatte in der Praxis ein "Vorher"-Foto machen lassen, das die Zeitungen nur zu gern abdruckten. Die Frau wurde erkannt und verhaftet. So kam es, dass wir nicht nur mit Blitzeis zu kämpfen hatten, sondern mit Intelligenzquotienten unterhalb des Gefrierpunktes.
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