Diskussion im taz-Wahllokal über Stadtentwicklung: Die Suche nach einem Raum
Kulturinitiativen bereichern als Zwischennutzer die Stadt, meist ohne Geld. Unterstützung von Seiten der Politik fehlt jedoch, klagen Praktiker bei einer taz-Debatte.
Berlin ist eine lebendige Stadt. Deshalb strömen Menschen aus aller Welt hierher - und es sind keineswegs nur die Touristen. Auch junge Künstler wollen unbedingt in Berlin aktiv werden. Mit Ausstellungen, Aufführungen, Konzerten. Davon profitiert die Stadt. Aber unterstützt sie auch die kreative Szene?
Bei der zweiten von insgesamt fünf Diskussionsrunden im taz-Wahllokal (siehe Kasten) ging es am Mittwochabend daher um die Frage: "Welche Stadtentwicklung braucht die Kultur?" Die Antwort war schnell gefunden. Die Berliner Kulturtreibenden bräuchten überhaupt erst mal eine Stadtentwicklung, die sie wahrnimmt. Oder, wie es Andreas Krüger, Geschäftsführer des Kreativgroßhandels Modulor, formulierte: "Wir brauchen eine Kultur der Stadtentwicklung."
Bisher, darin waren sich alle Podiumsteilnehmer einig, blieben die Potenziale der Stadt ungenutzt, vor allem was die noch landeseigenen Grundstücke betrifft. "Das sind Bausteine, mit denen man gestalten kann", sagte Johanna Schlaack, Stadtforscherin an der Technischen Universität. Doch der Liegenschaftsfonds, der die landeseigenen Immobilien vermarktet, gehe derzeit nach der Devise vor: "Wenn man was nicht loswird, dürfen die Künstler mal ran." Es fehle die Erkenntnis, dass eine behutsame Entwicklung der Grundstücke langfristig der Stadt viel mehr bringe als der bloße Verkaufserlös.
Bis zur Abgeordnetenhauswahl am 18. September lädt die taz jeden Mittwoch zur Debatte ins taz-Wahllokal. Bei der dritten Runde am nächsten Mittwoch geht es um Verkehrspolitik. Zur Frage "Wem gehört die Straße? - Autos versus Busse, Radfahrer versus Fußgänger?" diskutieren die Politiker Claudia Hämmerling (Grüne), Oliver Friederici (CDU) und Christian Gaebler (SPD) mit Kerstin Finkelstein vom ADFC und Willi Loose vom Bundesverband Carsharing.
Die Diskussion beginnt um 19.30 Uhr im taz-Café, Rudi-Dutschke-Straße 23. Der Eintritt ist frei. Infos zu allen Veranstaltungen unter taz.de/veranstaltungen.
"Zwischennutzung an sich ist ein gutes Ding", sagte Christophe Knoch, einer der Initiatoren des Projekts Mica Moca in Wedding. Dort wird für ein paar Monate eine leer stehende Fabrik für Veranstaltungen genutzt. "Wir arbeiten völlig unentgeltlich", erklärte Knoch. Auch die Künstler, die zu 80 Prozent aus dem Ausland kämen, würde nahezu ohne Gage arbeiten. Dennoch gebe es fünf bis zehn Anfragen von Künstlern pro Tag. Noch bis Anfang Oktober können die Mica-Moca-Betreiber die Fabrik nutzen. Danach würden sie gern an einem anderen Ort weiterarbeiten. "Wir suchen", sagte Knoch, "aber ich habe keine Ahnung, an wen ich mich wenden soll." Die Kommunikation zwischen Senat und Bezirksverwaltungen sei desolat. Dabei geht es gar nicht mal um finanzielle Unterstützung. Die vorhandene Kulturförderung wie der Hauptstadtkulturfonds passe eh nicht auf die schnelllebige Kulturszene, meint Knoch. "Es bedarf nur eines Raumes."
Auch der Kurator und Kritiker Thomas Wulffen ärgert sich: "Ich wundere mich, dass so viel in der Stadt passiert, aber die Kulturverwaltung schläft." Bisher gibt es zwar einen Atelierbeauftragten in Berlin. "Wir brauchen aber einen Raumbeauftragten", forderte Wulffen. "Eine kleine, wendige Institution, klar, schlagkräftig und transparent", ergänzte die Stadtforscherin Schlaack. "Ein Zwischennutzungskataster", nannte es Modulor-Chef Krüger.
Kurz gesagt, eine Stelle, die Einblick hat, nicht nur in den Sachstand bei den landeseigenen Arealen, sondern möglichst auch in alle privaten Bauvorhaben. Das würde ganz nebenbei auch den Blick auf die Randlagen der Stadt erleichtern. "Wer redet denn noch über Mitte?", fragte Wulffen. Man müsse über Lichtenberg oder Marzahn reden. "Da ist noch was zu holen."
Uneins waren sich die Diskutanten nur in der Frage, ob es künftig einen Senator für Stadtentwicklung und Kultur geben solle. Schlaack hielt das für wenig sinnvoll, Krüger für absolut zeitgemäß. Wichtig sei aber, darüber bestand wiederum Konsens, dass es überhaupt wieder einen wirklich Verantwortlichen im Senat für Kultur gebe.
Gern hätte man gehört, was maßgebliche Politiker aus der Kultur- und Stadtenwicklungsverwaltung zur Sichtweise der Praktiker gesagt hätten. Sie hatten aber trotz Einladung keine Zeit gefunden.
Die gesamte, rund 90-minütige Diskussion wurde aufgezeichnet. Sie kann als Videostream unter taz.de/zeitung/tazinfo/videos/ angesehen werden
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