Backwaren lieber von der Tankstelle: Der Tod der kleinen Bäcker
Der Verband Deutscher Großbäckereien beklagt die Konzentration in der Branche - ohne die eigene Verantwortung zu sehen. Auch Backstationen boomen.
FRANKFURT/MAIN taz | Helmut Klemme, ein gelernter Bäcker, ist Präsident des Verbandes der Deutschen Großbäckereien, dessen Mitgliedsfirmen nach eigener Darstellung "den weitaus größten Teil des Branchenumsatzes von rund 17 Milliarden Euro repräsentieren".
Auf der Jahrespressekonferenz des eingetragenen Vereins an diesem Donnerstag in der Frankfurter Hypernobelherberge Villa Kennedy jedenfalls klagte Verbandschef Klemme im Namen von Kamps, Glockenbrot, Harry und Co. über die anhaltende Konzentration auf dem deutschen Backwarenmarkt, dem größten in Europa.
Auch 2010 hätten – wie schon im Vorjahr – erneut rund 1.300 Bäckereien und mittelständische Backbetriebe schließen müssen, bedauerte Klemme. Dass die aktuell 28 Großbäckereien mit einem Marktanteil von inzwischen schon knapp 30 Prozent die Hauptverantwortung dafür tragen, dass "Einzelbäckereien" in Deutschland wegen Umsatzeinbrüchen gleich reihenweise schließen müssen, sagte der oberste Verbandsfunktionär von der Backfabrik "Die Bäckerei Consultants Niestetal" nicht.
Schließlich stellen die Mitglieder seines Verbands auch Tiefkühlbackwaren für den flächendeckenden Einsatz in den Backstationen von Tankstellen und Supermärkten her. Und auch die Rohware für die Discounter, deren Backautomaten auf Knopfdruck Billigbrote und -brötchen ausspucken. Mittlerweile gibt es bundesweit bereits 14.000 sogenannte Aufbackstationen.
Bio? Ein Nischenprodukt
Und ein Ende des Booms ist nicht abzusehen. Der Anteil an Tiefkühlbackwaren am Umsatz der Großbäckereien werde weitersteigen, prophezeit Klemme. Hinzu komme jetzt nämlich noch der Einsatz von Backautomaten in Privathaushalten und in der Groß- und Gemeinschaftsverpflegung.
Brot vom Bäcker? Das war offenbar gestern. Und Bio? "Ein Nischenprodukt", so der Hauptgeschäftsführer des Lobbyistenverbandes, Helmut Martell. Bio spiele bei den Großbäckereien nur eine kleine Rolle. Geschätzter Anteil am Umsatz: "7 Prozent, eher weniger."
Verbandschef Klemme weiß, worauf es auch in Zukunft in Deutschland wirklich ankommt: "Die Preise der Erzeugnisse aus den Backöfen der Großbäckereien werden auch in Zukunft deutlich unter denen des Bäckerhandwerks liegen." 57 Kilogramm Brot und Brötchen verzehrt der Durchschnittsdeutsche im Jahr, heißt es in der Nationalen Verzehrstudie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Dazu kommen noch 18 Kilogramm andere Backwaren. Doch "nicht alles, was gebacken wird, wird auch gekauft, und nicht alles, was gekauft wird, wird auch gegessen", so Klemme.
Und Bäcker lernen? Lohnt sich das? Kaum. "Backfachkraft" heißt der neue Beruf. Immerhin liegen die Löhne der rund 35.000 Beschäftigten in den Backfabriken über denen in den Fachbäckereien der Innung, von denen auch 2011 wohl mehr als 1.000 dichtmachen werden (müssen). Des einen Tod ist des anderen Brot.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Tierkostüme als Gefahr aus dem Westen
Wenn Kinderspiele zum Politikum werden