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taz-Serie Schillerkiez: Grüne gewinnt"Politisch aktiv werden, bevor die Lawine rollt"

Susanna Kahlefeld zieht für die Grünen ins Abgeordnetenhaus. Im Schillerkiez holte sie das Direktmandat - auch dank der Gentrifizierung

Susanne Kahlefeld Bild: Grüne
Konrad Litschko
Interview von Konrad Litschko

taz: Frau Kahlefeld, Sie haben sensationell die SPD-Hochburg Schillerkiez und Umgebung erobert. Sind Sie eine Profiteurin der Gentrifizierung?

Susanna Kahlefeld: (lacht) Ich denke, zum Teil schon. Sicher haben viele Zugezogene Grün gewählt. Eine Menge aber auch Piraten, die im Wahlkreis 15 Prozent bekommen haben. Das ist aber nur die eine Seite. Ich saß die letzten acht Jahre hier in der BVV, habe durch meine Arbeit im Migrationsbeirat viel Kontakt und Vertrauen zu Projekten und Personen aus dieser Community erworben. Es kennen mich einfach viele Leute im Kiez.

Auch Ihr Nachbarwahlkreis ging an die Grünen. Ist Nordneukölln jetzt Kreuzberg?

Im Interview: Susanna Kahlefeld

, 47, Philosophin. Arbeitet als Deutschlehrerin für Frauen mit Migrationshintergrund in Neukölln. Wohnt seit 17 Jahren im Bezirk, aktuell im Richardkiez. Seit 2000 bei den Grünen, von 2001 bis 2009 für die Partei im Bezirksparlament. Ihr Themenschwerpunkt ist Integrationspolitik, sie gehört dem linken Grünen-Flügel an.

Es hat sich sehr viel getan, das ist klar. Obwohl es bei mir im Wahlkreis auch immer noch die alten, finsteren Schmuddelecken gibt, denen Aufwertung nicht schadet. An dem Punkt, wo wir sagen müssen, wir müssen die Entwicklung stoppen, sind wir noch lange nicht.

Welchen Wandel beobachten Sie im Schillerkiez?

Der Schillerkiez hat enorm von der Öffnung des Flugfelds profitiert, und ich wünsche mir, dass er noch mehr profitiert. Es ist doch schön, dass die Schillerpromenade neu gestaltet ist. Dass neue Kneipen und Galerien da sind, die durch den Zugangsverkehr zum Feld gewinnen. Wir müssen aber aufpassen, dass die Leute, die das hier zum Guten verändert haben, jetzt nicht verdrängt werden. Das wäre fatal.

Gibt es denn dafür Anzeichen?

Es gibt Mieterhöhungen in einzelnen Häusern, die drastisch sind. Aber das ist noch nicht flächendeckend. Gerade deshalb muss man politisch aktiv werden, bevor die Lawine rollt.

So wählte der Schillerkiez

Der Schillerkiez liegt Neuköllns Wahlkreis 2, den 2001 und 2006 die SPD klar gewann. Diesmal fiel sie auf 25,1 Prozent. Am stärksten war sie noch im Stimmbezirk 226 mit 29,4 Prozent der Zweitstimmen, am schwächsten im Stimmbezirk 213 mit 19,1 Prozent. Hochburg der Grünen, die im gesamten Wahlkreis 29,7 Prozent erreichten, war der Schillerkiez-Stimmbezirk 211, wo sie auf 31,8 Prozent kamen.

Die Piraten, im Wahlkreis Dritte mit 15,1 Prozent, fuhren im Stimmbezirk 212 sogar 21,9 Prozent ein. CDU (im Wahlkreis 11,3 Prozent) und Linke (9,7 Prozent) sind unpopulärer: In den Bezirken 213 (CDU) und 214 (Linke) erreichten sie mit je 11,7 Prozent ihre Bestmarke. (ko)

Ihr Vorgänger im Wahlkreis, SPD-Mann Fritz Felgentreu, sagte mal: Der Schillerkiez wird nur schöner, nicht teurer.

Nein, es wird auch teurer. Noch in Grenzen, aber die Zeichen stehen eindeutig auf Sturm.

Was können Sie dagegen tun?

Ich werde die Projekte unterstützen, die versuchen, Mieter mit ihren Hauseigentümern ins Gespräch zu bringen, um den Vermietern ihre Verantwortung in diesem Prozess klarzumachen. Das ist nicht illusorisch, das kann funktionieren. Als einzelne Abgeordnete kann ich sonst wenig machen. Deshalb ist es wichtig, dass wir Rot-Grün bekommen, um im Senat alle Instrumente auszuschöpfen. Rot-Rot hat ja nicht mal feststellen wollen, dass es in Berlin einen Wohnungsnotstand gibt. Mit den Grünen wäre das anders.

Wo sehen Sie Ihren Wählerauftrag für den Kiez?

Ich will die Bürgerbeteiligung stärken. Quartiersräte und alles, was über das Programm Soziale Stadt gelaufen ist, muss erhalten bleiben. Das liegt mir am Herzen. Ebenso wie die Integrationspolitik, mein Fachgebiet. Das ist ja ein absolutes Querschnittsthema. Und: Wir müssen neue Gebäude für Schulen am Rand des Tempelhofer Felds bauen.

Im Kiez ist die Stimmung eher: keine Bebauung auf dem Feld.

Wir wollen das ja nur für Schulen. Was ich bestimmt nicht will, ist eine Wohnbebauung für Leute mit viel Geld. Auf dem Feld darf es ruhig noch eine Weile so anarchistisch bleiben, wie es heute ist. Man sieht doch, wie unendlich gut und vielfältig die Leute diesen Raum nutzen. Und wie friedlich. Und das vor allem durch die angeblich so hochproblematischen Zuwanderer. Gerade im Hinblick auf die Gartenschau 2017 werden wir Grüne auf weitere Bürgerbeteiligung drängen, um diese wunderbaren Effekte nicht kaputt zu machen.

Mit Ihrem Listenplatz 33 hätten Sie den Einzug ins Abgeordnetenhaus verpasst. Jetzt sind Sie doch drin. Was sind erste Pläne?

Weiß ich noch nicht. Ich muss das auch erst mal verdauen. Wir lagen ja letztes Mal 20 Prozent hinter der SPD. Es wäre verrückt gewesen zu glauben, das könne man aufholen.

Sind Sie enttäuscht, dass die Grünen im Land nur 17 Prozent erreicht haben?

Schon. Wir hatten alle auf 20 Prozent plus gehofft. Was ich als Neuköllnerin aber ganz, ganz bitter finde, ist der Zugewinn für die SPD und Buschkowsky im Bezirk. Für die Jugendarbeit ist das ein riesiger Rückschlag. Dass da nun gekürzt wird, ist jetzt schon klar.

INTERVIEW: KO

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5 Kommentare

 / 
  • J
    Jochen

    @ Mensch:

     

    Nein, falsch, Frau Kahlefeld hat ganz bestimmt nicht Verdrängung an den Stadtrand im Sinn, wenn sie von dunklen Ecken redet. Daran etwas zu ändern - ohne das Problem einfach zu verschieben, genau das ist die Herausforderung. Da wird es anstrengend, langwierig und kompliziert, da geht es um Fragen von Duldung, Bleiberecht, Perspektivlosigkeit, fehlende Hilfsangebote, schlechte Bildungsangebote, fehlende Förderung, Resignation.

     

    Es wäre absurd zu behaupten, dass es dagegen einfache und schnelle Hilfe gibt. Aber all das quasi unter Bestandsschutz zu stellen, nur um Gentrifizierung zu verhindern, kann auch keine Lösung sein.

     

    Ein positives Bekenntnis zur Sozialen Stadt ist übrigens auch kein Freifahrtschein für die QMs vor Ort. Auch sie müss(t)en sich immer wieder fragen lassen, ob sie die Richtigen erreichen und sich der teilweise berechtigten Kritik stellen. Aber da hat der Neuköllner Bezirksbürgermeister Buschkowsky leider seine Hand drauf.

  • WI
    Wylf Inde

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    Hey !!

     

    Ich habe vor zwanzig Jahren im Schillerkiez gewohnt und kenne die Verhältnisse gut.

    Es hat sich in den letzten zwanzig Jahren sehr vieles zum guten entwickelt, wie z.B. die Kriminalität oder auch die Struktur der Bewohner ist im ganzen durch die Zuwanderung (Durchmischung) wesentlich besser und friedlicher geworden. - MultiKulti ist praktisch allgegenwärtig.

    Gott sei Dank haben wir Grünen jetzt die Chance mit einer kompetenten und im Kiez verankerten Abgeordneten die Geschicke zu beeinflussen.

    Ich hoffe, das wir die Skeptiker überzeugen werden...

    Wir werden uns auf jeden Fall gegen die Gentrifizierung wehren und eine Lösung finden, die den Bewohnern im Schillerkiez zugute kommt; speziell für die Rechte von Zugewanderten.

    Wir werden uns auch einsetzen für eine bewohnerfreundliche Nutzung des Tempelhofer-Feldes..

    So ist z.B. geplant den Shaolin-Tempel dort zu bauen (ab ca.2014, Pläne liegen in der Schublade) und dort einen kostenfreien Tag für den Untericht von sozial schwachen zu etablieren.

    Ich sehe der Zukunft des Kiezes unter positiven Zeichen.

  • P
    Peter

    An Enzo Aduro

     

    Die Mieten gehen ganz bestimmt nicht "durch die Decke", wenn man es auf dem Tempelhofer Feld keine Wohnbebauung gibt. Der Bau eines Gebäuderiegels oder gar von Townhouses würde für den Wohnungsmarkt keine spürbare Entlastung bringen. Dazu müsste man das Feld zum großen Teil zubauen. Massiver Wohnungsbau ist nur eine (sehr teure) Möglichkeit den Mietpreisdruck zu verringern. Auf Landesebene gibt es da auch andere wirksame Maßnahmen, vielleicht kan man auch über den Bundesrat mieterfreundliche Gesetze anstoßen, and auf Bezirksebene können Milieuschutzsatzungen für Gebiete wie den Schillerkiez helfen.

     

    Waren Sie schon einmal an einem herrlichen Sonntagnachmittag auf dem ehemaligen Flughafengelände und haben die freie Atmosphäre genossen? Können Sie sich nicht vorstellen, dass man einen der schönsten Plätze Berlins nicht durch Bebauung verschandeln möchte?

    Ganz wichtig ist auch die Funktion des Flugfelds als Frischluftmotor, die durch dichte Bebauung selbst nur im Randbereich durch Blockierung der bodennahen Luftbewegung stark beeinträchtigt würde. Die Luft in Nordneukölln ist schon heute sehr dick, mit unzulässig hohen Schadstoffkonzentrationen.

     

    Auch wenn es sich manche Menschen nicht vorstellen können: Politik wird nicht immer nur mit Blick auf die Wählerstimmen gemacht, sondern auch aus Überzeugung. Den Neuköllner Grünen kann man nicht vorwerfen, das Thema "Gentrifizierung" erst kurz vor der Wahl oder, seit dieser Begriff modern ist, entdeckt zu haben. Über viele Jahre haben sie an der Aufwertung des Schillerkiezes mitgearbeitet, für die Schließung des Flughafens gekämpft und dabei die mittel- und langfristigen Folgen auch für den Wohnungsmarkt nicht aus den Augen verloren. So war eine Milieuschutzsatzung immer eine Option, insbesondere vor dem Hintergrund der möglichen Flughafenschließung.

     

    Es wäre ein grundlegendes Missverständnis, zu glauben, dass eine gesunde soziale Mischung die Verdrängung von Menschen mit geringer Bildung und/oder geringem Einkommen voraussetzt, oder dass niedrige bis moderate Mieten nur zu einer Ghettoisierung führen. Dass viele Menschen mit guter Bildung (Studenten), viele Künstler, Kunsthandwerker, Gastronomen und Hostels sich in Nordneukölln angesiedelt haben, hat gerade auch mit bezahlbaren Mieten zu tun. Stark steigende Mieten sind da einer echte Gefahr.

    Neuzugezogene gegen "Alteingesessene" auszuspielen, ist ein großer Fehler. Eine gesunde soziale Mischung, die nicht ein Nebeneinanderherleben von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen im selben Kiez ist, erfordert auch, dass die Bemühungen zu besserer Bildung und Integration verstärkt werden. Hier gibt es nach wie vor große Defizite, aber auch große Chancen. Der Schillerkiez hat eine der höchsten Geburtenraten in Deutschland. Insbesondere diese jungen Menschen haben ein Recht darauf, dass die Politik gewährleistet, dass sie unter vernünftigen Bedingungen in ihrem Stadtteil aufwachsen - dazu gehören zuvorderst personell und räumlich gut ausgestattete Schulen, mehr Jugendarbeit und mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten.

  • M
    Mensch

    Traurig das die Grünen immer noch der Meinung sind das ein bisschen Gentrifizierung nicht schaden könne.... diese dunklen Ecken die hier angesprochen werden entstehen in jeder Gesellschaft in der bestimmte Menschen ihre Teilhabe an der Gesellschaft nicht auf legalem Wege finanzieren können.... was hier beschrieben wird bedeutet nichts anderes als die Verdrängung der Unterschicht und nicht eine positive Veränderung für den Kiez... die Verdrängung wird sogar noch staatlich gefördert wie das Beispiel des QM Schillerkiez überdeutlich veranschaulicht.... hier wird in keinster weise mit den Bewohnern gearbeitet, die QMMitarbeiter werden stattdessen zu einer Art Hilfsshrerifs für Polizei und Investoren gemacht...

     

    "... es gibt keine Unterschicht, nur die da oben und dennen ist egal wie weit unten man ist!"... Hauptsache es ist am Stadtrand damit man es nicht sehen muss... wozu das führt kann man in Frankreich nachschauen... willkommen in der Banlieu Hohenschönhausen oder Marzahn....

  • EA
    Enzo Aduro

    Wenn wir jede Fläche von der Bebauung ausschließen, dann gehen die Mieten durch die Decke. Aber das freut die Grünen ja insgeheim. Für Gentrefizierung, aber bitte nur so lange bis die SPD-Wähler durch Grünen Wähler ersetzt werden. Bloß nicht weiter, das FDP-Wähler kommen.