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Proteste in ManhattanDer Spirit ist wieder da

So eine Gegenkultur, wie sie derzeit im Bankenviertel von Manhattan entsteht, gab es zuletzt in den Sechzigern. Noch immer ist sie Nährboden für politischen Protest.

Eine neue globale Jugendbewegung? Mitglieder von "Occupy Wall Street". Bild: reuters

NEW YORK taz | Dieser Protest ist anders als alles, was ich in den letzten Jahren erlebt habe. Seit Mitte September campieren Menschen unter dem Motto "Occupy Wall Street" auf dem Liberty Plaza im Bankenviertel von Manhattan. Ungewöhnlich ist, wie jung die Demonstranten hier sind. Die meisten sind zwischen zwanzig und dreißig Jahren alt, also höchstens halb so alt wie ich.

Und dann diese gelassene Atmosphäre. Wenn ich um 11 Uhr auf den Liberty Plaza komme, dann trommeln ein paar der Demonstranten, andere fegen die Bürgersteige, manche sprechen mit den Passanten, einige kochen, andere entspannen sich. Diese Ruhe ist vor allem überraschend angesichts der Tumulte, die es Anfang Oktober gab, als die Polizei 700 der Demonstranten auf der Brooklyn Bridge festnahm.

Ungewöhnlich auch, wie international es hier zugeht. Zum ersten Mal in all den Jahren, in denen ich an politischen Bewegungen in New York beteiligt bin, treffe ich Aktivisten aus der ganzen Welt. Ich habe das Gefühl, in Barcelona oder Berlin zu sein. Wenn ich in diesen Städten Vorträge halte oder mit Leuten aus Projekten politisch zusammenarbeite, sind die Gruppen immer international.

Aber das hier, das ist eine politische Aktion mitten im New Yorker Bankenviertel – und es fühlt sich an wie eine globale Jugendbewegung. Das macht die Disziplin, Entschlossenheit und Kameradschaft, die auf dem Platz herrscht, umso beeindruckender.

Aber obwohl mich das Alter und der internationale Charakter der Platzbesetzer irritiert, so kommt mir das alles doch irgendwie bekannt vor. Je länger ich auf dem Liberty Plaza bin, desto mehr fühle ich mich an die Gegenkultur aus den sechziger Jahren erinnert. Auch damals hatte die Unzufriedenheit über den Vietnamkrieg und die kaputte Gesellschaft ein großes Gemeinschaftsgefühl ausgelöst.

Kostenloses Essen

MARK NAISON

geboren 1946, ist Geschichtsprofessor an der New Yorker Fordam-Universität. Er war Aktivist in verschiedenen linken Bewegungen.

In der Zeit von 1968 bis 1971, in der ich in der Organisation "Studenten für eine demokratische Gesellschaft" aktiv war und bei der Zeitschrift Radical America mitarbeitete, habe ich in fremden Städten nie in einem Hotel übernachtet oder für ein Essen bezahlt. In jeder Stadt gab es Aktivisten, bei denen ich schlafen konnte. Umgekehrt kamen Aktivisten aus den USA und der ganzen Welt auch in meinem Apartment unter. Ich erinnere mich an große Töpfe voller roter Bohnen mit Dosentomaten, Chilipulver und Lorbeerblättern. Es war nicht unüblich, dass 20 oder 30 Leute vorbeikamen.

Ich fürchtete schon, dass dieser Geist nie mehr wiederkommt, weil er ausgelöscht wurde vom jahrzehntelangen Konsumismus, Materialismus und einer Welt voller billiger elektronischer Geräte. Aber auf dem Liberty Plaza spüre ich plötzlich wieder einen lange verloren geglaubten Geist. Hier stehen plötzlich hunderte junger Menschen, stellvertretend für eine ganze Generation bestens ausgebildeter junger Leute weltweit, von denen viele wohl niemals in den sicheren Jobs landen werden, die ihnen versprochen wurden, und über die niemals das Füllhorn des materiellen Wohlstands ausgeleert werden wird.

Ökonomen beschreiben diese Gruppe als die "verlorene Generation". Und nun lehnen so viele von ihnen das Konsum- und Profitdenken ab und tragen die Botschaft in die Welt, dass die Finanzwirtschaft mit ihren Spekulationen und ihrer Gier dazu geführt hat, dass sie verarmen.

taz

Diesen und viele andere spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 15./16. Oktober 2011. Am Kiosk, eKiosk oder im Briefkasten via www.taz.de/we. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.

In Nordafrika und Südeuropa mobilisieren junge Leute schon seit mehr als einem Jahr zu Protesten. In den USA ist die Wall-Street-Bewegung eine Premiere: Sie führt dazu, dass diese Stimmen auch in den Vereinigten Staaten gehört werden. Und da die Wirtschaftskrise, die den Ärger der Aktivisten befeuert, noch lange andauern wird, werden die Proteste wohl noch stärker werden.

Natürlich kann man sich ernsthaft fragen, ob diese globale Bewegung eine lang anhaltende Bedeutung haben wird. Werden die Protestierenden, die zur Mittelklasse oder Exmittelklasse gehören, sich mit den Menschen solidarisieren, die bereits vor der jetzigen Finanzkrise verarmt waren? Wird ihr Protest von der kleinsten Erholung der Weltwirtschaft womöglich wieder geschluckt? Werden sie dann wieder Mitglieder der Konsumgesellschaft? Oder werden sie sich mit armen und verarmten Bevölkerungsgruppen zusammentun, die bereits Nachbarschaftshilfe und Gemeinschaftsdenken praktizieren, um so zu einer wirklich multiethnischen und klassenübergreifenden Bewegung zu werden?

Ermutigende Hinweise

Derzeit kann man das noch nicht absehen. Aber es gibt ein paar ermutigende Hinweise. Dass sich die Protestierenden mit dem kürzlich hingerichteten Afroamerikaner Troy Davis solidarisierten, ist so eine Zeichen. Ein weiteres ist, dass immer mehr Gewerkschaftsleute zu den Protestierenden stoßen. Auch kommen viele afro- und lateinamerikanische Aktivisten auf den Liberty Plaza.

Die, die die sechziger Jahre erlebten, sollten sich daran erinnern, dass Gegenkulturen aller Art - von den Hippies bis zur afroamerikanischen Kunstszene - der Nährboden für den politischen Protest waren. Das wird auch jetzt gelten. Die Gegenkultur, die von den jungen Menschen derzeit weltweit ins Leben gerufen wird, ist ein wichtiger, wenn nicht gar der wichtigste Teil einer globalen Bewegung für mehr Freiheit, Demokratie und ökonomische Gerechtigkeit.

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5 Kommentare

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  • W
    Webmarxist

    Die Occupy-Bewegung ist die neue 68er Bewegung .Sie protestiert, unabhängig von den Parteien gegen die jetzigen Zustände in der Finanzwelt. Meine Unterstützung haben sie. Denn wir als Volk haben die Macht in einem Land .Wir bestimmen wer in einen Land regiert. Demokratie heißt ja Volksherrschaft.

  • FK
    felix krull

    Das alte Problem linken Protests: sachlicher Schwachsinn, aber es macht Spass.

     

    Der sinnvolle Protest, zB der der Tea-Party, ist dagegen vollkommen unsexy.

     

     

    fk

  • R
    Ribemont

    Das Jahr 2011 ist jetzt schon für mich als mitte Zwanziger ein bedeutendes Jahr. Dieses System hat für mich keine Zukunft. Ich bin jetzt schon um meiner Zukunft durch die enorme Verschuldung vorangiger Gernerationen betrogen. Ich lebe nicht für die Arbeit sondern Arbeite um zu Leben. Man muss jetzt schon mehr Leisten um überhaupt ansatzweise so zu Leben wie die Mittelschicht damals. Ich/Wir! muss immer mehr Leistungen die mal der Staatbezahlt hat nun selbst aufbürgen (Rente, Zusatzbeiträge) dies wird durch die Immer schneller steigenden Lebenserhaltungskosten gegensatz zum Netto Lohn immer aufwendiger. Dies auf Kosten der Gesellschaft (ich Arbeite mehr für weniger, bin flexibler...)

     

    Ich bin ökonomisch, politisch nich auf den Kopf gefallen und würde mich freuen das man in dieser Phase alles was war und was ist in Frage stellt und dies Gemeinsam. Der Mensch war schon immer ein Teamplayer jeder ist vom anderen indereckt abhänig.

     

    Ich würde mich freuen wenn auch die TAZ für die Berliner Aktion (15 O.) Werbung macht. Um sich laut über den ist u. soll Zustand zu Empören sowie als Bürger wieder mit einander zu diskutieren und eine neue Solidarität aufzubauen.

  • BI
    bilwiz info

    "What about me AND what about you."

    Herzerwärmender - darum geht's doch oder nicht ? - Videoclip auf youtube: http://www.youtube.com/watch?v=FDSAAlrqAHM

  • W
    WaltaKa

    Diese Proteste richten sich hier wie dort gegen die Falschen. Die Banken nutzt/en die Freiräume, die ihnen die Politik mit ihrem neoliberalen Deregulieren der Wirtschafts- und Finanzmärkte geschaffen hat. Hier wie dort. Die politische Klasse muss das Ziel der Proteste sein. Was man wissen könnte, wenn man in Deutschland nicht auf dem SPD/Grünen Augen blind wäre. Diese beiden Parteien waren es, die während ihrer gemeinsamen Regierungszeit 1998 bis 2005 im Jahr 2004 dem Wahnsinn für Deutschland mit ihren Deregulierungsgesetzen - von denen bis heute kein einziges zurückgenommen wurde! - Tür und Tor öffneten. Das Getue mit den Banken in den Medien ist Teil der Show und Ablenkung von den eigentlichen Tätern. Dazu führte Attac 2010 ein sogen. Bankentribunal durch.Fazit von Attac: "Gerhard Schröder (SPD) als Kopf der rot-grünen Bundesregierung (1998-2005) trägt die wesentliche politische Verantwortung für die Vorbereitung der Finanz- und Wirtschaftskrise in Deutschland" heißt es dazu in der FR vom 9.4.2010.