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Bürgermeister zieht Wohnungsbau an sichPolitik nach Art des Chefs

Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) erklärt überraschend den Wohnungsbau zur Chefsache. Die Bürgerschaft debattiert über Konsequenzen aus dem Mietenspiegel.

Mangelware: Wohnungen - nicht nur hochwertige. Bild: dpa

Und dann, nach einer Stunde Debatte, wurde es ganz still in der Bürgerschaft, alle Tuscheleien verstummten. Denn überraschend trat Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ans Rednerpult - und machte damit deutlich, dass der Wohnungsmangel in Hamburg Chefsache ist. "Es fehlen 30.000 bis 40.000 Wohnungen", stellte er fest, "und die wollen wir mit größter Anstrengung bauen." Jedes Jahr müssten 6.000 preiswerte Wohnungen fertiggestellt werden. "Wir müssen das Wachstum der Bevölkerung als Chance begreifen", mahnte Scholz, "nicht als Bedrohung".

Als "unkonkrete Sonntagsrede" erschien Heike Sudmann (Linke) der nicht angemeldete Auftritt des Regierungschefs, CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich unterstellte, Scholz wolle vermutete Risse zwischen der SPD-Fraktion und Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau kitten. Den ebenfalls kalt erwischten Rednern von GAL und FDP fiel erst gar keine Replik ein. "So wird große Politik gemacht", sagte Senatssprecher Christoph Holstein auf der Pressetribüne mit einem Grinsen.

Blankau hatte zuvor mit triumphierendem Unterton verkündet: "Es findet wieder sozialer Wohnungsbau statt." Jede dritte Wohnung, die in den nächsten Jahren in Hamburg neu gebaut werde, "wird eine öffentlich geförderte Wohnung sein." Und in ihrer Funktion als Aufsichtsratsvorsitzende des städtischen Wohnungsbaukonzerns Saga/GWG versprach Blankau: "Es wird keine Mieterhöhungen auf Knopfdruck geben."

Wohnen in Hamburg

Wohnungsnot und explodierende Mieten kennzeichnen die Lage.

Mietenspiegel 2011: Die vorige Woche veröffentlichte Übersicht weist einen durchschnittlichen Anstieg um 5,9 Prozent seit 2009 aus.

Höchstwerte: Altbau-Mieten stiegen generell um mehr als zehn Prozent, in 60er-Jahre-Bauten in guten Wohnanlagen sogar um bis zu 37 Prozent.

Wohnraum: Im Durchschnitt kostet ein überdachter Quadratmeter in Hamburg 7,15 Euro Nettokaltmiete.

"Wohnungsnot" und "Mietenwahnsinn" waren die Schlagworte, mit denen die Linkspartei die Debatte über die Lage auf dem Wohnungsmarkt und die Konsequenzen aus dem Mietenspiegel, der vorige Woche veröffentlicht wurde, angemeldet hatte. Und musste sich dafür von Sozial- wie auch Christdemokraten anhören, "dem demokratischen Sozialismus" zu huldigen.

Was Heike Sudmann (Linke) nicht wirklich als Beleidigung empfand: "Der Mietenspiegel ist zu einem Mieterhöhungsinstrument geworden", beharrte sie. Das sei der Beleg dafür, "dass das kapitalistische Marktsystem versagt hat".

Das sei aber unter Schwarz-Grün gewesen, stellte Andy Grote (SPD) klar. Stichtag für den Mietenspiegel war der 1. April - "eine Woche nach Amtsantritt des SPD-Senats". Die Versäumnisse von zehn Jahren CDU-geführten Senaten müsse die SPD jetzt aufarbeiten, "und nach nur einem halben Jahr zeigt das bereits Wirkung", so Grote: "Es herrscht Aufbruchstimmung."

Bis Ende Oktober seien bereits 5.568 Baugenehmigungen erteilt worden, im gesamten Vorjahr waren es nur rund 4.100. Die angestrebte Marke von 6.000 Baugenehmigungen werde 2011 überschritten werden, "ab dem nächsten Jahr wird gebaut werden."

Und auch Saga/GWG, die im vorigen Jahr keine neuen Sozialwohnungen errichtet hatte, werde von 570 Wohnungen im nächsten Jahr schrittweise auf 1.000 Neubauten jährlich aufstocken. Dieser "radikale Kurswechsel des neuen Senats", so Grote, "war bitter nötig".

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8 Kommentare

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  • G
    genauandersrum

    @ Gisela:

     

    Die erzkonservativen und nur Eigeninteressen verfolgenden Recht auf Stadt - Leute ("Bewegung" - das ich nicht lache !!) sind doch schuld, dass in dieser Stadt nichts mehr gebaut werden kann. Heuchler !

  • JK
    Jörn Krahl

    was die saga da verlauten lässt ist kompletter schwachsinn. ich lebe in einer sozial geförderten wohnung und die fällt demnächst aus der förderung raus. ich habe (kurz vor veröffentlichung des neuen mietenspiegels) eine weitere mieterhöhung erhalten. viele anwohner können da nicht mehr lange mithalten. es ist einfach nur lächerlich, wenn man posaunt dass ach soviele sozialwohnungen gebaut werden. dabei von der saga aber ständig der bestand verringert wird. wieso berichtet niemand darüber?

  • HH
    hupende hupe

    Was ich bei "Wohnraum vergesellschaften" immer nicht ganz begreife: Dann wollen doch immer noch alle in die Schanze, nach St. Pauli und nach Altona, und keiner nach Mümmelmannsberg. Wie soll der beliebtere vergesellschaftete Wohnraum dann verteilt werden? Wartelisten? Verlosung? Connections, Vetternwirtschaft und Klüngelei? Bestechung? §5-Scheine? Rotationsprinzip? Anhand von erbrachter Leistung fürs Viertel? Wer soll das beurteilen und festlegen (dürfen)? Dass der Markt begrenzte Ressourcen ungerecht und dumm (an den höchstbietenden, solventesten) verteilt, heißt ja noch nicht, dass andere Systeme das nicht auch ähnlich tun. Denn "schick wohnen" bleibt ja eine begrenzte Ressource mit viel mehr Nachfrage als Angebot. Kann das mal jemand erläutern, oder wurde darüber noch nicht so nachgedacht. Nicht dass man vorher keine Wohnung findet weil alles zu teuer ist, und hinterher keine Wohnung findet, weil eine In-Group sich schon alles gekrallt und untereinander verteilt hat (wie die Funktionäre in der DDR).

  • NP
    Niccolò Polo

    Marco Polo Tower vom Verleger-Sproß John Jahr jr. jr. (alein in der BRD: Gruner + Jahr, Kalorimeta, Dahlers+Co, Spielbanken in Wiesbaden, Hamburg u.a. ) in der Hafencity, was hat der bitte mit Wohnungsmangel zu tun? Der Tower steht leer und wird immer wieder proffessionell in redaktionelle Artikel eingebetet... - so wie heute von der taz - wird das Sauerbier angeboten - ohne Hntergrundinformationen.

     

    Kommentar zum Foto Marco Polo Tower + "Mangelware: Wohnungen - nicht nur hochwertige"

  • N
    nörgler

    BIS ZU 6.000 wohnungen sind zu wenig bei 12.000 menschen die allein letztes jahr nach hamburg gezogen sind.damit entlasstet man nicht den wohnungsmarkt sondern hält ihn so wie er ist.es reicht mir aber nicht das es nicht noch "viiieeel" schlimmer kommt als gedacht.nein,das reicht beileibe nicht.

     

    @gisela;danke

  • HH
    Hergen Hillen

    Endlich folgen dem Leitbild " Wachsende Stadt" auch Taten, die zumindest vielversprechend sind und sich nicht auf Prestigebauten und ein paar Luxusvillen beschränken. Es besteht die Chance, dass alle gesellschaftlichen Gruppen vom Wohnungsbau profitieren. Schon damals, als die CDU unter Wolfgang Peiner das Leitbild ausrief, war die Betrügerei am Wähler eklatant. Ein Widerspruch zeigte sich bereits darin, dass man zugleich den sozialen Wohnungsbau abgeschafft und z.B. soziale Standards in öffentlichen Dienst abgebaut hat. Staatlich geförderter Wohnungsmangel und hohe Mieten, die mittlerweile selbst für Normalverdiener kaum noch erschwinglich sind, waren in den folgenden Jahren absehbar.

  • H
    Hans

    Olaf for Kanzler,

    aber mal im Ernst: Natürlich nimmt er das Thema, denn Andy Grote sieht sich selbst schon als Senator und die Senatorin macht eine Frührente bald. Dass sie die nächsten Jahre bleiben wird, glaubt wirklich niemand mehr. Aber Olaf Scholz schon und damit ist die SPD auch bei ihrem Kernthema: Die soziale Stadt.

    Wenn sie es vermasselt, muss sie bald einen Koalitionsvertrag unterzeichnen. Eigentlich kann sie die Kurve auch kriegen, wohl aber nicht mit dieser nassforschen Senatorin, denn mit Bagatellisierung wird die Wut der Menschen gewaltig größer. Und Andy Grote will eigentlich auch nur seine Person puschen, wer sich in seinem Heimatrevier St Pauli umschaut, der bekommt das K...en - das ist ein Alptraum. Und der geht nur, weil solche Leute dort pennen.

  • GW
    gisela walk

    Von nichts kommt nichts – will sagen: wären die vielfältigen und massiven Proteste gegen den Mietenwahnsinn nicht gewesen (öffentlicher Aufruhr gegen Sheriff Schreibers Kersten-Miles-Brücken-Zaun gegen Obdachlose, Demo gegen Zomia-Bauwagenplatz- Räumungsversuche sowie die andauernde Nazi-Gesetzgebung als „rechtliche Grundlage“ für Letzteres), siegreiches Gängeviertel und kämpfende Recht-auf-Stadt-Bewegung (inkl. internationalem Kongreß zum Thema) sowie die Implantation der LINKEn in diese Bewegungen (von der GAL war da nichts was zu sehen, die PiratInnen üben noch) – dann hätte Olaf Scholz auch nicht das Ruder an sich gerissen. Wohl wissend, dass die übergroße Mehrheit der Hamburger Bevölkerung unter dem Mietenwahnsinn ächzt und kein Verständnis hat für Sheriff Schreiber …

     

    Intelligent checkt Olaf Scholz die Zeichen an der Wand - wann pfeift er den Sheriff zurück?

     

    „Markus Schreiber kann, aber er will nicht: Das Problem einen Wagenplatz in Hamburg zuzulassen ist kein juristisches, sondern ein politisches. Selbst das heftig umstrittene Hamburger Wagengesetz lässt die Duldung von Wagenplätzen bis zu 5 Jahren zu. Dies zeigt auch die Praxis z.B. in Altona, wo die beiden bestehenden Plätze mit gleichen juristischen und planerischen Voraussetzungen soeben eine Vertragsverlängerung bekommen haben. Aber auch das Gesetz selbst muss weg, denn es hat seine Wurzeln in der Nazi-Ideologie und ist in den 50ern zur Vertreibung von Sinti und Roma entstanden. „Gegen Wagenplätze steht eine Haltung“, sagt Schreiber selbst.“

    http://zomiableibt.blogsport.eu/

     

    Wann checkt der 1. Bürgermeister und die Hamburger SPD, was not tut gegen Wohnungsnot und Mietenwahnsinn – nämlich: Wohnraum vergesellschaften (zentrale Forderung der 85 Inis und Organisationen der Demo gegen Mietenwahnsinn)?