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Debatte EpidemienDie Chancen stehen gut

Kommentar von Frank Dörner

Wir brauchen eine Steuer auf Finanzgeschäfte, um die Ausbreitung von Epidemien bekämpfen zu können. Ein Vorschlag von Ärzte ohne Grenzen.

W ährend der vergangenen Monate jagt eine Euro-Rettungsmeldung die nächste. Immer neue Rettungsschirme und Zahlungsgarantien werden beschlossen. Als medizinische Nothilfeorganisation stehen wir fassungslos vor den gewaltigen Summen, die eingesetzt werden, und fragen uns, wann es endlich ein Rettungspaket für die Millionen Menschen weltweit gibt, deren Leben direkt vom Fehlen der einfachsten medizinischen Versorgung bedroht ist.

Seit vielen Jahren kämpfen Nichtregierungsorganisationen für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTT). Die Konzepte der Zivilgesellschaft sahen von Anfang an vor, die Einkünfte aus der FTT zur globalen Armutsreduktion und zum Klimaschutz zu verwenden. Vergangene Woche haben die Regierungschefs der G 20 nun erwartungsgemäß einer weltweiten Einführung einer Finanztransaktionssteuer eine Absage erteilt.

Damit liegt der Ball jetzt bei den Europäern. Deutschland, Frankreich und andere haben bereits erklärt, dass sie sich für eine solche Steuer einsetzen möchten. Also handelt es sich um ein realistisches Projekt.

Völlig ungeklärt ist bisher jedoch die Frage, wie die Einnahmen aus einer solchen Steuer verteilt werden sollen. Das Bündnis "Steuer gegen Armut" streitet seit Jahren nicht nur für eine Einführung einer FTT, sondern auch dafür, dass hieraus Gelder zur Armutsbekämpfung und zum Klimaschutz genutzt werden. Aus der Arbeit in unseren Projekten wissen wir, welch wichtige Rolle die Gesundheit bei der globalen Armutsbekämpfung spielt.

Eine Steuer, die Gesundheit finanziert, ist dringend nötig, weil die Ressourcen zur Bekämpfung globaler Gesundheitsprobleme schrumpfen, beispielsweise im Falle HIV/Aids. Die internationalen Mittel zur Bekämpfung von HIV sind im Jahr 2009 das erste Mal seit Jahrzehnten und im Jahr 2010 nochmals gekürzt worden.

Infolge der überwältigenden wissenschaftlichen Belege, dass die frühzeitige Behandlung von HIV-Infizierten auch die Zahl der Neuinfektionen reduziert, haben Regierungen zugesagt, die Anzahl der Menschen, die eine antiretrovirale Therapie erhalten, bis zum Jahr 2015 auf 15 Millionen zu erhöhen. Das scheint heute noch unmöglich, da das Geld dafür fehlt. Dies hat fatale Folgen. Besonders deutlich wird das bei der Behandlung von Schwangeren: Mit antiretroviralen Medikamenten können wir die Übertragungsrate von HIV von Müttern auf ihre Kinder deutlich reduzieren.

Doch nicht nur im Falle von HIV könnte eine nachhaltige Finanzierung eine große Wirkung erzielen: Malaria und Mangelernährung führen zu den meisten Todesfällen bei Kindern in Afrika. Beides könnte effektiv angegangen werden, wenn zum einen die richtige Behandlung und zum anderen ausreichend adäquate Nahrung gegeben wird. Aber auch hier gibt es ein Finanzierungsproblem. Vollmundige politische Willenserklärungen allein retten kein mangelernährtes Kind.

Zum Beispiel Masern

Direkt dem Geldmangel geschuldet ist auch die Ausbreitung von Masern-Epidemien. Allein im vergangenen Jahr hat Ärzte ohne Grenzen 4,5 Millionen Kinder gegen Masern geimpft, um den Ausbruch von Epidemien zu verhindern oder einzudämmen. Dieses Jahr wird die Zahl sogar noch übertroffen werden.

Jetzt in Gesundheit zu investieren, spart auch auf lange Sicht. Je früher HIV-Infizierte zum Beispiel mit antiretroviralen Medikamenten behandelt werden, desto später werden sie die wesentlich teureren Medikamente der zweiten Therapielinie benötigen. Es ist auch weniger wahrscheinlich, dass sie an anderen Krankheiten, vor allem an Tuberkulose, erkranken. Die Sterblichkeit sinkt und die Lebensqualität steigt. Weniger Kinder werden zu Waisen.

FRANK DÖRNER

Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Deutschland, ist seit 1998 für die NGO im Einsatz. Er arbeitete zunächst als Arzt im Sudan und in Birma/Myanmar. Von 2003 bis 2006 betreute er die HIV/Aids-Projekte in Guatemala.

Auch der Gemeinschaft kommt es zugute, wenn Menschen früher behandelt werden, da sich das Übertragungsrisiko reduziert. Infolgedessen würde auch weniger Geld für teure Medikamente, Tuberkulose-Behandlungen oder die Behandlung neuer HIV-Infektionen benötigt werden. Diese Beispiele machen deutlich, wie wichtig ein Rettungspaket für globale Gesundheit ist und dass dafür ein Teil der Einnahmen aus der FTT verwendet werden sollte. Wie stehen nun die Chancen dafür?

Steuer gegen die Armut

Auf den ersten Blick erstaunlich gut. Haben wir doch eine überraschende Koalition, die sich dafür einsetzt, dass Mittel aus einer FTT auch für Gesundheit eingesetzt werden: Bill Gates, Nicolas Sarkozy, Nichtregierungsorganisationen im Bündnis "Steuer gegen Armut", südafrikanische Aids-Aktivisten und seit Neuestem auch die südafrikanische Regierung. Selbst die G 20, so unverbindlich sie bei der FTT ist, stellt eine mögliche FTT in den Zusammenhang von Armutsfinanzierung.

Die Bundesregierung und die Europäische Kommission hingegen scheinen sich weiter nicht festlegen zu wollen. Doch es wäre eine einmalige Chance vertan, wenn die Einnahmen der FTT nicht auch in globale Gesundheit investiert würden, sondern entgegen dem Anliegen der Zivilgesellschaft ausschließlich in die Haushaltssanierung flössen.

Aber auch ein politisches Argument spricht für eine Nutzung der Einnahmen für Gesundheit und andere Interessen der ärmeren Länder: Nur so ist es möglich, in Ländern wie Südafrika oder Brasilien Unterstützung für eine FTT zu gewinnen und die von der EU und der Bundesregierung angestrebte Ausweitung der Steuer zu ermöglichen.

Mit der FTT könnte endlich auch in den ärmeren Ländern eine Mindestgesundheitsversorgung gesichert werden, könnten Kinder geimpft, Mangelernährung behandelt und die Ausbreitung von HIV und Tuberkulose eingedämmt werden.

Indem einige europäische Länder die Einführung einer FTT ernsthaft erwägen, haben Sie eine politische Vorreiterposition eingenommen. Jetzt müssen sie auch praktisch Vorreiter werden und damit einer historischen Chance und moralischen Verantwortung gerecht werden. Es besteht die Möglichkeit, die Gesundheit in ärmeren Ländern drastisch zu verbessern und vielen Menschen das Leben zu retten.

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