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Streit um UrheberrechtArgumente gegen Kettensägen

Ob in der Blogosphäre oder bei den Grünen: Die Debatte über Reformen des Urheberrechts wird hart geführt - neuerdings aber auf hohem Niveau.

Künstler oder Musikindustrie: Wer profitiert eigentlich vom Urheberrecht? Bild: photocase/chriskuddl

Dass Vorsitzende von Unternehmensverbänden sich über Journalisten echauffieren, kommt wahrscheinlich häufiger vor. Der 14-seitige Offene Brief, den Mark Chung, der Chef des Verbandes Unabhängiger Musikunternehmen (VUT), kürzlich auf der Website der Organisation zum Download bereit stellte, fällt aber aus dem Rahmen. So materialreich und quellengesättigt sind Entgegnungen auf journalistische Beiträge selten.

Adressat des Briefs ist der Berliner Konzertveranstalter und Autor Berthold Seliger, der in der November-Ausgabe der Zeitschrift konkret eine Kettensägen-Polemik gegen das - nicht nur deutsche - Urheberrecht publiziert hat.

Dieses nutze keineswegs den Künstlern, sondern der "Verwertungsindustrie", die einen plumpen Lobbyismus betreibe. Chung wiederum argumentiert, der Gegensatz zwischen Künstlern und "Verwertungsindustrie" sei ein Klischee, das mit der Realität längst nichts mehr zu tun habe.

Nachdem der Blog Spreeblick Chungs Text republiziert hat, ist aus der Debatte mehr geworden als ein Streit zwischen zwei Musikbusinessleuten. Hier findet erstmals auf breiterer Ebene eine Debatte darüber statt, ob jene, die das bestehende Urheberrecht kritisieren, der PR-Strategie von Internet- und Telekommunikationsgiganten wie Google auf den Leim gehen.

Denn dieser Konzern ist interessiert daran, dass sein bisheriges Geschäftsmodell so wenig wie möglich durch das Urheberrecht beeinträchtigt wird.

Chung fragt nun, ob gar einige "selbsternannte ,Internet-Evangelisten'", die sich als Urheberrechtskritiker einen Namen gemacht haben, zumindest teilweise von Google finanziert werden. Der VUT-Chef vermisst Transparenz: "Wovon leben die Akteure, wie finanzieren sich ihre Institutionen? Wir unterstellen nichts, wir stellen einfach fest, dass es für uns nicht erkennbar ist", sagte er.

Einer der Kernsätze Seligers, die Mark Chung aufgreift, lautet: "Ein Ammenmärchen der Kulturindustrie besagt, illegale Downloads seien schuld daran, dass Künstler nicht mehr von ihrer Kunst leben können." Chung kontert diese Behauptung mit der Aufzählung von 20 wissenschaftlichen Studien, die beweisen, dass Filesharing eben doch einen negativen Effekt auf Musikverkäufe hat, an dem Ammenmärchen also doch etwas dran ist.

Es existierten dagegen nur zwei Untersuchungen, aus denen hervorgehe, dass sich Filesharing positiv auf Tonträgerverkäufe auswirke, diese Studien seien aber methodisch dubios. Seliger darf somit für sich verbuchen, dass er eine Debatte ausgelöst hat, in der nun auch langsam wissenschaftliche Fakten eine Rolle zu spielen beginnen und nicht mehr bloß ein paar Taschenspielertricks und ganz viel Bauchgefühl.

Gestützt wird Chungs Argumentation durch eine neue, möglicherweise Bahn brechende Studie von Stan J. Liebowitz von der School of Management an der University of Texas in Dallas. Dessen Ziel ist es, das quantitative Ausmaß der auf Filesharing basierenden Verluste zu benennen.

Umsatzeinbruch durch Filesharing

Unter dem Titel "The Metric is the Message: How Much of the Decline in Sound Recording Sales is Due to File-Sharing?" hat er, verkürzt gesagt, ein Verfahren entwickelt, um die Berechnungen aus sämtlichen Studien zum Thema zusammenfassen zu können.

Sein Resultat: Filesharing hat nicht bloß einen negativen Einfluss auf Musikverkäufe, vielmehr ist der gesamte Umsatzrückgang der Tonträgerindustrie seit Beginn des vergangenen Jahrzehnts auf Filesharing zurückzuführen - statistisch gesehen jedenfalls.

Diskussionsbedarf gibt es auch auf parteipolitischer Ebene. Der VUT und zahlreiche Künstler befürchten, die etablierten Parteien könnten nach dem Wahlerfolg der Piraten in Berlin versuchen, sich bei deren Zielgruppe mit unausgegorenen urheberrechtspolitischen Vorschlägen zu profilieren.

Umstritten ist derzeit etwa ein Antrag, den der Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen unter dem Titel "Offenheit, Freiheit, Teilhabe - die Chancen des Internets nutzen - den digitalen Wandel grün gestalten!" für die Ende kommender Woche stattfindende Bundesdelegiertenkonferenz (BDK) eingereicht hat.

Neues Thema der Grünen

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kultur der Grünen meint, der Antrag ihrer Partei gefährde die Existenzgrundlage von Kreativen, und debattiert nun darüber, ob sie sich vor dem Parteitag öffentlich gegen den Vorstand positionieren soll. Ein Treffen diese Woche, das eigentlich als Meinungsaustausch zwischen Musikwirtschaftsvertretern und Grünen geplant war, war vor allem von heftigen Wortwechseln zwischen den anwesenden Parteileuten geprägt.

Zu den Kuriositäten des Vorstandsantrags gehört die Verkürzung der Urheberrechtsschutzfristen auf fünf Jahre - "mit anschließender, gebührenpflichtiger mehrmaliger Verlängerungsoption". Anders gesagt: Musiker müssen alle fünf Jahre eine "Gebühr" bezahlen, damit die Rechte an einem von ihnen komponierten Song nicht futsch sind.

Das sei "völlig unpraktikabel", sagt Matthias Arfmann, Musiker (Ex-Kastrierte Philosophen) und Produzent der HipHop-Band Absolute Beginner. Er hat sich bereits an die Bundesvorsitzende Claudia Roth gewandt. Der Ex-Managerin von Ton Steine Scherben traut man in der Szene offenbar zu, dass sie die Ängste von Musikern nachvollziehen kann und in ihrem Interesse handelt.

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3 Kommentare

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  • F
    Falko

    Es ist, wie Herr Martens betont, in der Tat erbaulich, dass in die bisher populistisch-konstruiert anmutende Debatte langsam Faktenwissen Einzug hält. Damit scheint eine ernsthafte Auseinandersetzung über das Urheberrecht überhaupt erst sinnvoll zu werden. Das nun aber die Verweise auf einige Studien als Einzug der Wissenschaftlichkeit in diese Diskussion postuliert wird ist überaus fragwürdig.

    Die Crux daran ist nämlich, dass Studien bezüglich des Urheberrechts an einem methodischen Fehlschluss kranken. Die in den Argumentationen angeführte Art der Datenerhebung ist nun einmal empirischer Natur, d.h. Erkenntnisgewinn durch Beobachtung. Die Datenerhebung erfolgt dabei in einem abgeschlossenen System mit etabliertem Urheberrecht. Das ist die gleiche methodologische Problematik der sich Theologen ausgesetzt sehen, wenn sie versuchen, die Existenz Gottes aus dem Glauben heraus zu beweisen. Es gibt keine Alternative, unter deren Voraussetzung vergleichbare Ergebnisse erzielt werden könnten und dementsprechend ist das Ergebnis auch nicht offen. Auf den Gegenstand der Debatte zurückgeführt bedeutet das: solange die Produktion von Wissen, Kunst, Kultur etc. als verkäufliches Gut wahrgenommen wird, solange werden auch nur Verkäufe dieses Gutes als zweckerfüllend angesehen. Dementsprechend ist es zwingend, dass, als Ergebnis der Studie, das kostenlose (illegale) Filesharing dem Künstler nicht dienlich ist, da es keinen Verkauf darstellt. Dieses Ergebnis ist aber keine Erkenntnis über den wahren Sachverhalt, sondern nur die Erkenntnis, dass unter der Voraussetzung eines kapitalistischen Marktes ein nicht-kapitalistisches Handeln eben nicht kapitalistischen Zielen dient.

    Da es für die empirische Forschung nicht möglich ist, sich jenseits der Grenzen des Empirischen zu bewegen kann eben nur festgestellt werden, was bereits vorhanden ist. Alles andere ist schlicht nicht erforschbar.

    Das heißt im Umkehrschluss, dass die Debatte um das Urheberrecht auf breiterer Basis als der Empirie geführt werden muss.

  • B
    bisher-Grünen-Wähler

    Ist schon wieder April? Es kann doch unmöglich ernst gemeint sein, dass ein Künstler für seine eigenen geistigen Ergüsse bezahlen soll?!?

  • BS
    Blogo sphäre

    Man kann der Krake den Kopf problemlos abschlagen indem man die wahren Urheber emanzipiert und wie Kaffeebauern per Fairtrade sich selber Mittelsmannfreier vermarkten lässt.

    Viele Bücher entstehen im Selbstverlag. Also keine Bücher drucken wegen rotgrüner Ebookpreisbindung und nur noch elektronisch verkaufen auf dem 60-Euro-Hugendubel-Reader o.ä. Leider hilft keiner dabei. Es gibt sogar noch Leute die für ISBN bezahlen obwohl die kostenlos sind.

    Gleiches für die tausenden Zeitschriften die es nur im Abo gibt. Die könnten problemlos bei Newsstand erscheinen wenn Newsstand wollen würde.

    Porto und Druck kosten das meiste Geld. Es sind oft also eher Hobbyprojekte.

    Da viele Diskutanten keine Zeitschriftenabos und Zeitungsabos zu haben scheinen, erkennen digiges, Piraten usw. das Potential leider nicht :-(

     

    Nur weil Tom Cruise United Artists anführt, gibt es immer noch 139.000 SAG-Mitglieder )(Schauspielergewerkschaft wo Ronald Reagan Chef war) die vermutlich oft überwiegend etwas anderes arbeiten müssen.

    Wenn man mal kapitalistische Transparenz (Löhne, Total-Buy-Out-Klauseln,...) outen würde, wären bestimmte Mitverdiener ganz schnell die ganz Bösen.

    Wer kriegt wie viel von einer Radio-Abspielung ? na also. Da fehlen doch welche. Usw.

     

    Die Grünen haben die Ebook-Preisbindung eingeführt. Es müssen also Bäume abgeholzt werden weil Ebooks kein weiterverkaufbares ewiges Eigentum sind und man meist besser Bücher oft billigst gebraucht über Amazon Marketplace, Eurobuch, booklooker usw. kauft was auch mal ein Hinweis wäre.

    Auch darin (Volksverbesserung durch Internetgebraucht"märkte" statt ebay, hitflip usw. mit ihren jeweiligen Nachteilen) machen sich Piraten, digiges usw nicht berühmt.

    Man könnte Zeitungen und Zeitschriften ja auch weiterverkaufen oder systematisch verschenken.

    Die meisten ideen sind trivial. Mehr als Gejammer sehe ich von den Internet-Aktivisten aber eher selten.