Arisierung des Eierhandels in der NS-Zeit: Vom arischen Osterei
Karolin Steinke hat die Geschichte von fünf Bechern im Neuköllner Heimatmuseum zurückverfolgt. Sie fand heraus, wie die Nazis einen Eierhändler und seine Frau ermordeten.
Am Anfang standen fünf kleine silberne Becher. 23 Jahre ist es her, dass die Neuköllner Rentnerin Margarete Brandt diese Spende an das Neuköllner Heimatmuseum übergab. Sie hatte keine Ahnung, wozu die Becher einmal gedient hatten. Die fünf Gefäße waren Kidduschbecher, Zeremonialstücke, aus denen Juden an besonderen Tagen, etwa zu Beginn des Sabbat, ihren Wein tranken.
Margarete Brandt und ihr Mann, die damals als Milchhändler arbeiteten, hatten sie Ende der 1930er Jahre von ihren Nachbarn geschenkt bekommen, den Eierhändlern Rachel und Simon Adler.
Mit nichts als diesen dürftigen Informationen begann die Kulturwissenschaftlerin Karolin Steinke ihre Recherchen. Am Ende steht ein kleines Buch über das Leben des Ehepaars Adler aus Neukölln - und die vergessene Geschichte vom arischen Osterei.
6,2 Milliarden Eier wurden 1925 im Deutschen Reich konsumiert. Doch nur 3,7 Milliarden davon entstammten deutschen Hennen, der restliche Teil wurde importiert. Ein großer Teil der eingeführten Waren kam aus Russland und Galizien - zufällig auch Wohnort vieler Juden.
Karolin Steinke: "Simon Adler, Eierhändler in Berlin". Aus der Reihe "Jüdische Miniaturen" im Verlag Hentrich & Hentrich, Berlin 2011, 88 Seiten, 8,90 Euro
Und weil einiger dieser Juden ab dem Ende des 19. Jahrhunderts ob Armut und Antisemitismus nach Berlin, in die prosperierende Hauptstadt des deutschen Kaiserreichs, emigrierten, lag es nahe, dass einige unter ihnen damit begannen, sich im Eierhandel zu engagieren.
1910 waren 70 Prozent der Berliner Eiermarkthändler eingewanderte Juden. Zu ihnen zählten der 1885 in der heutigen Westukraine geborene Simon Adler und seine Frau. Ihr erster Laden befand sich in der Neuköllner Friedelstraße 47. Sie waren "Eierjuden" - ein damals feststehender, nicht unbedingt mit Sympathien belegter Begriff.
Ein Dorn im Auge
Den Nazis war der Eierhandel gleich aus zwei Gründen ein Dorn im Auge. Zum einen wegen der Monopolisierung durch Juden, zum Zweiten aber, weil der Import ihrer Wahnvorstellung von deutscher Autarkie widersprach. Schon am 20. Dezember 1933 trat deshalb das "Gesetz über den Verkehr mit Eiern" in Kraft, durch das die "inländische Eierwirtschaft von zu günstigeren Bedingungen erzeugten Auslandseiern" geschützt werden sollte.
Im folgenden Jahr wurden die Händler zu Eierverwertungsgesellschaften zusammengefasst. Einer der Männer, die damals den Eierhandel neu ordneten, war ein gewisser Bernhard Grzimek - später als Fernsehmoderator bekannt und beliebt.
So begann 1934 eine "Erzeugerschlacht", in der es darum ging, die einheimische Eierproduktion zu erhöhen, um das Importei vom Markt zu verdrängen.
Der Endsieg des deutschen Eis fiel dennoch aus, nur wechselte man die Importländer und bezog die Ware aus Westeuropa und Bulgarien. Für jüdische Eierhändler blieb kein Platz mehr, schreibt Karolin Steinke.
Wie ihre Kollegen wurden die Simons nun auf dem Neuköllner Wochenmarkt boykottiert. Die jüdischen Händler mussten bald ihre Geschäfte verkaufen. 1936 wird das Eiergeschäft von Simon Adler zum letzten Mal erwähnt. Im selben Jahr veröffentlichte das Nazi-Blatt Der Angriff einen Artikel mit dem Titel "Wieder arische Ostereier".
Ein Teil der Familie gelang die Emigration. Der Sohn Erich Adler schrieb seinem Vater Simon, er möge doch nach Palästina nachkommen und sich in Ramot Haschavim niederlassen. Dort, nicht weit von Tel Aviv entfernt, entstand ab 1933 ein Dorf für ältere deutsche Einwanderer aus dem Mittelstand.
Die dort ansässigen Rechtsanwälte, Unternehmer und Beamte mussten beruflich umsatteln - sie bauten Hühnerställe in ihren Gärten und wurden "Eierjeckes". Der letzte Nachkomme dieser Eiergenossenschaft ist erst vor ein paar Jahren in Pension gegangen.
Rachel und Simon Adler wurden ermordet
Doch Rachel und Simon Adlers Weg führte nicht nach Ramot Haschavim, sondern in den Berliner Untergrund. Als die Nazis im Februar 1943 die letzten in der Stadt verbliebenen Juden in die Vernichtungslager im Osten deportierten, wagte das schon ältere Ehepaar den Schritt in die Illegalität.
Über ein Jahr lang halten sie sich bei Freunden und Bekannten verborgen. Doch im April 1944 verhaften Gestapo-Spitzel beide. Am 3. Mai 1944 wurden Rachel und Simon Adler mit dem 52. Osttransport nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
In der Neuköllner Friedelstraße 47 aber, dort, wo Rachel und Simon Adler 1909 ihr erstes Eiergeschäft einrichteten, bilden die Fenster des Erdgeschosses bis heute eine ungewöhnliche, eiförmige Rundung nach oben, während sie nach unten wie in einem Eierbecher zu sitzen scheinen.
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