Vor dem Kahlschlag: "Uns eint die Unterfinanzierung"
Flensburgs Ratsversammlung hat beschlossen, dass auch die Kultur massiv sparen soll. Dabei brauchen gerade die kleinen Projekte eher mehr Geld als weniger.
FLENSBURG taz | Das Schild ist achtlos auf den Boden geworfen worden. Es liegt da und hängt nicht an der Tür, um allen Besuchern zu verkünden, dass das Naturwissenschaftliche Museum auf dem Flensburger Museumsberg derzeit leider wegen Renovierungs- und Umbaumaßnahmen geschlossen sei. Doch wer weiß, ob es je wieder eröffnen wird.
Denn das Museum mit seinen Exponaten zur hiesigen Tier- und Pflanzenwelt sowie zu den Kalt- und Warmzeiten, die die schleswig-holsteinischen Landschaften prägten, soll schließen, soll eingespart werden. "Regionale Sachzeugen, die von Generationen zusammengetragen wurden, gingen für immer verloren", schreibt Ulrich Meisinger, Vorsitzender des Freundeskreises des Museums, in einem offenen Brief. Jeder wisse: Werde in diesen Tagen ein Museum geschlossen, werde eine über Jahrzehnte entstandene Sammlung unwiderruflich zerlegt.
Mit dem Rücken zur Wand
Doch nicht allein das Naturwissenschaftliche Museum, deren ehrenamtlicher Mitarbeiterstab von den Schließungsplänen erst aus der Presse erfuhr, ist bedroht. Große Teile der Kulturlandschaft Flensburgs könnten auf den Kopf gestellt werden, wenn der Beschluss der Ratsversammlung umgesetzt wird, wonach auch die Kultur kräftig sparen soll: Allein die Niederdeutsche Bühne soll von 200.000 Euro auf 30.000 Euro gekürzt werden. Ganz mit dem Rücken zur Wand stehen die freien Kulturprojekte: Eine Erhöhung ihrer Etats, damit sie überhaupt weitermachen können, wird abgelehnt.
Und nun beginnen die Feinheiten: Denn in der letzten Kulturausschusssitzung, in denen die Sparbeschlüsse in konkrete Sparmaßnahmen wie die Museumsschließung gegossen werden sollten, wurden diese zunächst zurückgegeben an die Ratsversammlung.
"Die Verwaltung hat ihre Vorschläge zurückgezogen, damit sind die erstmal vom Tisch. Aber es gilt weiterhin der Ratsbeschluss, das gekürzt werden soll, und daran muss sich die Verwaltung halten", erklärt Torge Korff, Leiter der Flensburger Bibliothek sowie des Flensburger Kulturbüros, vergleichbar also mit einem Kulturamt oder einer Kulturbehörde. Er sagt: "Leider sagt der Beschluss nur, es soll gespart werden - aber nicht wo."
Elisabeth Bohde von der Theaterwerkstatt Pinkentafel in der gleichnamigen Gasse sitzt derweil auf der östlichen Hafenseite und wirkt fast vergnügt. Sie vertritt zunächst ihr Haus, ihr Herz schlägt aber auch für die anderen drei freien Flensburger Kulturprojekte: das Volksbad, das Kühlhaus und das Festival Folkbaltica: "Wir vier haben zwar unterschiedliche Angebote und sind nicht wirklich miteinander zu vergleichen, aber wir geben uns alle Mühe, fair miteinander umzugehen. Was uns darüber hinaus eint, ist die ständige Unterfinanzierung."
Denn alle vier Einrichtungen müssen seit Jahren mit Etats auskommen, die die laufenden Kosten nicht oder kaum decken. Sie sind angewiesen auf schwankende Drittmittel. Eine Sichtweise, die Torge Korff, Leiter des städtischen Kulturbüros, teilt: "Es wird gerne gesagt: ,Aber wir haben doch gar nicht gekürzt in der Kultur!' Aber wenn ich einen Kulturhaushalt über Jahre hinweg gedeckelt halte, ist das de facto ein Abbau."
Theaterwerkstatt-Leiterin Elisabeth Bohde springt ihm bei: "Ich bin fast erleichtert über den jetzt offen ausgebrochenen Konflikt: Die Unterfinanzierung ist plötzlich sichtbar. Wir haben das zwar immer wieder erklärt, aber es hat ja niemand begriffen." Denn lange war es in Flensburg so wie in vielen anderen kleineren Städten: Kultureinrichtungen gründeten sich, wurden mal von der einen, mal der anderen Partei unterstützt und schlugen sich durch. Stets auf Kosten ihrer MacherInnen.
Zweierlei Maß
"Dieser Zustand war nicht unbedingt ein demokratisch legitimierter Vorgang", sagt Elisabeth Bohde, "aber er hat einigermaßen funktioniert, auch wenn man nie darüber geredet hat, was die Stadt von der Kultur will und warum wer wie viel Geld bekommt - etwa, warum es bei einer städtischen Bühne selbstverständlich ist, dass es einen Bühnenmeister für die rechte und einen für die linke Bühnenhälfte geben muss, während es bei uns heißt: ,Ach, so einen Scheinwerfer, den kann doch auch ein Schauspieler mal kurz aufhängen.'"
Doch seit der letzten Kommunalwahl sind die politischen Verhältnisse in der Fördestadt ins Trudeln gekommen: Eine relativ obskure politische Vereinigung - gegründet, um einen Hotelneubau im Hafen zu verhindern - wurde auf Anhieb stärkste Fraktion in der Ratsversammlung: "Wir in Flensburg" (WIF). Wie zu erwarten, bekamen sich die neuen Ratsmitglieder schnell in die Haare, und die Gruppe teilte sich. Außerdem sind im Rathaus neben der CDU, der SPD und dem SSW noch die Grünen und die Linke vertreten. Auch die FDP ist dabei. Damit wurden bisherige Absprachen und indirekte Zusagen hinfällig, wie sie meist zwischen der CDU, der SPD und dem SSW ausgehandelt wurden.
Nun gilt: Es soll, es muss gespart werden. Aber auch: Es soll nichts geschlossen werden! "Das passt nicht zusammen", sagt Harald Smorra vom Jugend- und Kulturhaus Kühlhaus. Und Elisabeth Bohde beschreibt eine Politiker-Attitüde, die wohl nicht nur für Flensburg gilt: "Statt klar zu sagen, dass es mehr Geld geben muss, gibt es auch bei Kulturpolitikern noch immer die Vorstellung, dass irgendwo in der Kultur Schätze verborgen seien, die man nur heben müsse, und alle Probleme seien gelöst - quasi umsonst."
Thomas Gerri Christiansen vom Kulturzentrum Volksbad kennt das Zuspiel aus Forderungen und Halbwissen zur Genüge: "Wenn ich auf die Anregung, wir sollten mehr selbst erwirtschaften, statt mehr städtische Zuschüsse zu fordern, sage, dass wir dies bereits zu 75 bis 80 Prozent tun, heißt es sofort: ,Oh - da arbeitet ihr ja kommerziell! Das fördern wir als Stadt nicht."
Auch Harald Smorra vom Kulturzentrum Kühlhaus kann aus dem Nähkästchen plaudern: "Manchmal kommen Politiker zu uns und fragen dann so ganz ernst, ob wir schon mal an Marketing gedacht hätten, um unsere Einnahmen zu erhöhen … das ist dann schon etwas komisch."
Doch der Spaß verfliegt schnell wieder. Denn Flensburg mit seinen knapp 90.000 Einwohnern ist arm und nur begrenzt sexy, und selbst Bürger, die nicht jede Woche eine der bedrohten Kultureinrichtungen nutzen, sind ins Nachdenken gekommen. Und so hat sich eine stadtweite Initiative gegründet, um gegen die Sparabsichten zu protestieren: "Ohne Kultur ist Flensburg fertig", heißt sie. 2.000 Unterschriften hat die Initiative binnen zwei Wochen gesammelt. "Damit haben sich mehr Leute zu Wort gemeldet, als bei der letzten Stichwahl zum Oberbürgermeister zur Wahl gegangen sind", sagt Thomas Gerri Christiansen.
"Es reicht nicht, die Fußgängerzone aufzuhübschen, um die jungen Leute hier zu halten", sagt auch Katrine Hoop, die jahrelang das Aktivitetshuset geleitet hat - ein Kulturzentrum, das sich der Vermittlung der dänischen Kultur verschrieben hat und mit seinem Veranstaltungsangebot die Stadt bereichert: "Die Stadt schmückt sich gerne mit den Kursen, den Konzerten und Ausstellungen des Aktivitetshuset. Aber dass sie selbst gerade mal 6.000 Euro jährlich dafür gibt, der große Rest aber vom dänischen Steuerzahler beglichen wird, wird besser nicht erzählt", sagt Hoop. Sie hat zwischendurch in Hamburg gelebt, ist zurückgekommen und fühlt sich sehr wohl hier. Das, was kommen könnte, sieht sie allerdings mit Grausen: "Ohne Kultur ist Flensburg nur noch eine blöde Grenzstadt."
Des Kämpfens müde
Auch für Theaterwerkstatt-Leiterin Elisabeth Bohde steht Grundsätzliches an: "Es liegt jetzt an der Politik, klar zu sagen, ob man uns will, oder ob man lieber Provinz sein will." Und dann wendet sie sich noch einmal ihrem eigenen Projekt zu, und sie erzählt kurz von dem jungen Mann, der jüngst bei ihnen ein freiwilliges soziales Jahr absolvierte: "Er war äußerst talentiert. Aus ihm könnte ein prima Theatertechniker werden. Aber zum Abschluss hat er zu uns gesagt: ,Wenn ich sehe, wie ihr euch hier abkämpft, da studiere ich doch lieber erneuerbare Energien."
Stadtvertreter Torge Korff dagegen macht Mut: "Es tut sich derzeit sehr viel, es gibt viele Gespräche zwischen den Parteien, aber auch zwischen der Politik und uns als Verwaltung. Die Ausgangslage ist definitiv eine andere als vor der letzten Kulturausschusssitzung." Flensburgs Oberbürgermeister Simon Faber vom SSW will übrigens, dass Flensburg sich dem benachbarten Sonderburg als Partnerstadt andient, sollte Sonderburg 2017/18 europäische Kulturhauptstadt werden. Aber das wäre jetzt ein neues Kapitel.
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