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PETER UNFRIED NEUE ÖKOSDer New Deal nach der Maultaschen-Krise

Seit wir den Kindern Schweinefleisch untergejubelt haben, bieten wir vertrauensbildende Maßnahmen an

Wir waren glücklich, dass unsere Kinder kein beziehungsweise kaum Fleisch aßen. Warum hatten wir ihnen dann Maultaschen mit Schweinefleisch als vegetarisch untergejubelt (sonntaz vom 28. 11.)? Diese Frage förderte eine unbequeme Wahrheit zutage. Es war nicht nur Sorge um ihre Eisenzufuhr, es war auch Bequemlichkeit. Fertige Maultaschen abends in die Brühe werfen geht schnell und ist einfach. Sie aßen das auch noch gern und oft – die wirklich vegetarischen hatten sie verschmäht.

Und nun lachten die Kinder nicht mehr, wenn ich einen Witz machte. Nicht mal bei einem guten. Sie dachten sicher, da sei auch Fleisch drin. Wir hatten eine echte Vertrauenskrise. Ich schlug vor, echte vegetarische Maultauschen zu testen. Penelope war einverstanden. Wir probierten „Frische Maultaschen mit Gemüsefüllung“: aus kontrolliert biologischem Anbau, Füllung aus 50 Prozent Gemüse, dazu Semmelbrösel, Ei, Hartweizengrieß. „Und?“ – „Hmhmhm, joooh“, sagte Penelope. Alternativ im Test Spinat-Lauch-Maultaschen eines italienischen Herstellers: Frischtofu, Kartoffeln, Lauch, Spinat. „Und?“ – „Joooh, hmhmhm.“ Ich kenne sie jetzt elf Jahre; ein „Hmhmhm“ ist keine Grundlage für eine gemeinsame Zukunft von vegetarischer Maultasche und ihr.

Adorno saß finster am Tisch und sah zu. Ich fragte, ob er probieren wolle. „Kannst du vergessen, ich esse nie mehr Maultaschen“, sagte er. „Warum“, sagte ich, „es sind jetzt vegetarische.“ – „Du weißt, warum. Keine Diskussion.“

Ich fragte meinen Psychologen. „Es braucht eine Entschuldigung“, sagte er, „und sie muss wahrhaftig sein.“ Wir sollten mit den Kindern einen New Deal auf Augenhöhe schließen. Wir verabredeten uns mit ihnen zum Abendessen. Es gab Spaghetti Pomodoro, Gurken und Möhren. Sie schauten streng. Wir sagten ihnen, dass es überhaupt nicht in Ordnung war, was wir gemacht hatten, sondern falsch. Sie sahen das auch so. Dann sprachen wir darüber, warum es uns wichtig ist, dass sie Eisen zu sich nehmen. Das akzeptierten sie. Wir schlugen ihnen einen Vertrag vor. Punkt 1: Wir erklären, ihnen niemals Fleisch unterzujubeln. Punkt 2: Sie erklären, wie sie künftig Eisenmangel vorbeugen. Im Angebot seien Bohnen, Hummus, Fenchel, Vollkorngetreide, Petersilie und Nüsse.

Die Kinder bekundeten ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Vertragsunterzeichnung. Die genaue pflanzliche Eisenzufuhr würden sie später bekannt geben. Immerhin. Hand drauf! Dann gab es Nachtisch: Eis, Chipse, Schokolade, Maoam. Bis zum Abwinken. „Garantiert kein Fleisch drin“, sagte ich. Stille. Sie warfen mir gequälte Blicke zu. Verdammt. Ich esse auch nie mehr Maultaschen.

Der Autor ist taz-Chefreporter Foto: Anja Weber

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