Bauernprotest in China: Ein Dorf revoltiert
Ein ganzer Ort in Südchina geht auf die Barrikaden. Die Wut der Einwohner von Wukan richtet sich gegen korrupte lokale Behörden und nicht gegen die Regierung in Peking.
PEKING taz | Die Rebellen von Wukan hielten auch gestern ihr Dorf besetzt: Bis zum Abend (Ortszeit) blieb die Situation in dem südchinesischen Fischerort stark angespannt. Auf den Zufahrtsstraßen lagen Baumstämme quer, die Einheiten der bewaffneten Polizei daran hindern sollten, das Dorf zu stürmen.
Hunderte Uniformierte warteten vor den Barrikaden auf ihren Einsatz. Niemand durfte Wukan verlassen, auch die Fischerboote konnten nicht auslaufen. Bewohner erklärten den Journalisten, sie hätten nur noch für einige Tage Vorräte an Reis und Speiseöl.
Lebensmittel von außen sollten nur Anwohner erhalten, die sich von den Protesten schriftlich distanzierten. Auf diese Weise wolle "die Lokalregierung sie kaufen", erklärte ein Dorfbewohner. Aber keiner habe unterschrieben, "bis auf ein paar siebenjährige Kinder, die es nicht besser wussten", zitierten Hongkonger Medien den Mann: "Wir bleiben vereint."
Rund 20.000 Menschen leben in Wukan - nach chinesischen Maßstäben gilt der Ort als Dorf. Wie überall in dieser Region, gut vier Autostunden von Hongkong entfernt, wachsen auch hier Industrieparks, Appartement- und Wohnsiedlungen aus dem Boden.
Diesmal hat der Zorn der Bewohner eine neue Qualität erreicht: Die Dorfbewohner haben Polizisten und Regierungsbeamte vertrieben und eigene Vertreter bestimmt, die mit den Behörden über eine gerechtere Entschädigung für enteignetes Land verhandeln sollten. Ein Kompromiss kam nicht zustande, stattdessen nahm die Polizei vergangene Woche einige der Unterhändler fest.
Sie verstehen sich nicht als Dissidenten
Vor den leeren Regierungsgebäuden protestieren seither tausende Einwohner von Wukan. Bis gestern marschierten sie durch die Stadt und organisierten Sitzstreiks, ihre Spruchbänder forderten "Transparenz und Gerechtigkeit". Sie riefen Slogans wie "Nieder mit korrupten Kadern" und machten zugleich deutlich, dass sie sich keineswegs als politische Dissidenten verstehen und die Regierung in Peking auch nicht infrage stellen, sondern nur die örtliche Obrigkeit. Zu ihren Parolen zählte auch "Lang lebe die Kommunistische Partei".
Auslöser der Revolte am Wochenende war der Tod von Xue Jinbo, einer der am Freitag festgenommenen Unterhändler. Die Dorfbewohner vermuteten sofort, dass er von Polizisten verprügelt worden sei - so wie es in China immer wieder vorkommt. Die Polizei streitet diesen Vorwurf jedoch ab, sie legte ein medizinisches Gutachten vor, wonach der 42-jährige Xue an einem Herzinfarkt gestorben sei.
Am Körper seien "keine ernsthaften Wunden außer einigen Abschürfungen zu sehen gewesen, die möglicherweise von Handschellen stammten", heißt es in dem Bericht der Zhongshan-Universität in der Provinzhauptstadt Guangzhou. Verwandte des Toten berichteten jedoch von blauen Flecken an seinen Knien, blutigen Nasenlöchern und gebrochenen Daumen.
Xues Tod ist der vorläufige Höhepunkt eines Konfliktes zwischen Dorfbewohnern und Behörden von Wukan, der bereits seit September schwelt. Dabei geht es um den Verkauf von Land an das große Immobilienunternehmen Country Garden. Die Grundstücke sollen laut Hongkonger Zeitungsberichten 700 Millionen Yuan wert sein. Gedungene Schläger der Immobilienfirma sollen bereits im September widerstrebende Anwohner verprügelt haben, um sie von ihrem Land zu vertreiben.
Zuckerbrot und Peitsche von den Behörden
Bei ersten Protesten im September waren Regierungsgebäude geplündert und Polizeiautos zerstört worden. Einsatzkräfte sollen die Situation mit großer Brutalität in den Griff bekommen haben. Nun versucht die Obrigkeit, die Situation mit Zuckerbrot und Peitsche zu beherrschen.
Der Chef des Bezirks Shanwei, wozu Wukan gehört, drohte mit scharfen Strafen gegen "jeden, der die Dorfbewohner aufhetzt". Gleichzeitig erklärte er sich bereit, die Forderungen der Bürger von Wukan zu überdenken. Zwei Dorffunktionäre wurden gefeuert. Bezirkschef Wu Zhili kündigte an, die Situation "entsprechend der Gesetze zu lösen".
Die Region um Wukan hat eine lange revolutionäre Tradition: In den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren hier kommunistische Rebellen aktiv. Während der japanischen Besetzung in den dreißiger Jahren kämpften Partisanen gegen die Japaner. Heute leiden die Dörfer nicht nur unter Korruption und Rechtlosigkeit. Traditionelle Arbeitsmöglichkeiten der Fischer gehen verloren - unter anderem durch Umweltschäden und die Konkurrenz des industriell betriebenen Fischfangs großer Firmen.
Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in Wukan deutlich sichtbar: Manche Funktionäre, unter ihnen der frühere Parteisekretär und Finanzchef des Ortes, leben "in palastartigen Villen, die auf ehemaligen Feldern errichtet worden sind", wie ein Journalist des britischen Telegraph berichtete, der sich als einziger ausländischer Korrespondent in das Dorf schmuggeln konnte. Trotz aller Versuche der Behörden, Informationen über die Rebellen von Wukan im Internet zu blockieren, kursierten gestern Bilder und Berichte aus dem Ort über Mikroblogs und Handys.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen