Soziale Spaltung: Waller Hütten, Horner Paläste
Die Arbeitnehmerkammer präsentiert neue Zahlen zur Einkommensverteilung: Es gibt mehr Arme, reichere Reiche und einen Trend zur Ghettoisierung.
Ingo Schierenbeck fürchtete offenbar Mißverständnisse. "Wenn wir Millionäre zählen, dann geht es nicht um Neid, sondern um soziale Gerechtigkeit," stellte der Chef der Arbeitnehmerkammer klar, als er den neuen Bericht zur Einkommensverteilung im Land präsentierte. Sein Befund: "Die Mittelschicht erodiert." Nicht nur die Zahl der Armen würde zunehmen, sondern auch der Reichtum der Reichen.
In Kooperation mit dem Statistischen Landesamt hatte die Kammer das Brutto-Einkommen von allen 313.000 BremerInnen ausgewertet, die eine Steuererklärung abgegeben haben. Die Zahlen beziehen sich auf 2007, sind aber besonders belastbar.
Bewegung gab es demnach vor allem bei den hohen Einkommen: 2007 verdienten in Bremen 164 Menschen im Jahr über eine Million Euro. Das sind 95 mehr als im Jahr 2004.
Ähnlich stieg die Zahl der etwas weniger Reichen: 1.393 Bremerinnen und Bremer haben 2007 über 250.000 Euro im Jahr verdient, 2004 waren es nur 740.
Insgesamt erzielten alle Bremer im Jahr 2007 ein gemeinsames Einkommen von 9,04 Milliarden Euro. Allerdings landeten 7,8 Milliarden davon auf den Konten der einen Hälfte der EinwohnerInnen.
Die statistisch erkennbare Spaltung ist in der realen Gesellschaftlich noch krasser: Denn die Auswertung beruht allein auf den abgegebenen Steuererklärungen. Empfänger von Sozialleistungen und Rentner sind nicht eingerechnet.
Diese Entwicklung "gefährdet den sozialen Frieden" hieß es bei der Kammer. "Wir brauchen eine Lohnpolitik, die Tarifverträge stärkt, für höhere Löhne sorgt, Minijobs begrenzt und sich für einen gesetzlichen Mindestlohn einsetzt", forderte Schierenbeck. Er fürchtet ein stärkeres Auseinanderdriften der Stadtteile.
Tatsächlich ist nach neuesten Zahlen des Paritätische Wohlfahrsverbands jeder fünfte Bremer arm, lebt also laut offizieller Definition von weniger als 826 Euro im Monat. Diese Armen verteilen sich aber sehr ungleich über die Stadt ab. In Horn verdienen die Menschen durchschnittlich 9.000 Euro im Monat. Das ist fast sieben Mal so viel wie in der Neuen Vahr, wo das durchschnittliche Monatseinkommen bei nur 1.300 Euro liegt.
Bremerhaven hingegen schneidet besser ab, wenn es um die soziale Mischung geht. Dort sind einfach alle etwas ärmer. Die Durchschnittseinkommen in den Stadtteilen näher aneinander als in der Stadt Bremen. Der Ortsteil Speckenbüttel ist mit rund 50.000 Euro Spitzenreiter, Schlusslicht ist der Ortsteil Goethestraße mit einem Durchschnittseinkommen von etwa 16.600 Euro
Vor allem Bremen müsse gegensteuern, verlangt die Kammer. "Eine Polarisierung der Einkommen führt dazu, dass sich die Haushalte mit niedrigem Einkommen in Stadtteilen konzentrieren, in denen die Mieten niedrig sind", sagte Schierenbeck. Um dieser Ghettoisierung zu begegnen, müsse in neuen und in der Regel teuer vermarkteten Baugebieten auch bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden..
Mit Material von epd.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!