piwik no script img

Kommentar VolksgesetzgebungDiktatur der Querulanten

Kommentar von Sven-Michael Veit

Der Kompromiss zwischen der Bürgerschaft und dem Verein Mehr Demokratie hat viele gute Aspekte und einen Schwachpunkt: Es wird weiterhin keine Quoren geben.

D ie bevorstehende Einigung zwischen der Bürgerschaft und dem Verein Mehr Demokratie ist ein Kompromiss mit vielen guten Aspekten und einem Schwachpunkt. Auch künftig wird es bei bezirklichen Bürgerentscheiden kein Mindestquorum für Abstimmungsbeteiligung oder Zustimmung geben. Das ist ein eklatanter Mangel für die Legitimation von Bürgerentscheiden.

Positiv ist, dass die Regeln präziser und juristisch verlässlicher werden. Die Vereinbarung enthält etwa ein Dutzend sinnvoller Neuerungen. Die Einführung von Quoren indes hat Mehr Demokratie verhindert. Und das ist aus Sicht des Vereins nur zu verständlich.

Zu groß ist die Befürchtung, Bürgerentscheide könnten an mangelnder Beteiligung scheitern. Das ist nahe liegend angesichts von Referenden, an denen kaum jemand teilnahm. Wenn aber ein Thema von so geringem Interesse ist, ist es eben keines.

Dieses sinnvolle Instrument der Bürgerbeteiligung darf nicht zur Diktatur der Querulanten führen. Ohne ein Minimum an demokratischer Legitimation entwerten Bürgerentscheide sich selbst.

Die direkte Demokratie ist eine Ergänzung der repräsentativen Demokratie, nicht deren Aushebelung. Sie ist notwendig zur Kontrolle der Mächtigen. Kontrolliert werden müssen aber auch die Kontrolleure.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Hamburg-Redakteur
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • NN
    Nico Nissen

    Der Grund für die Ablehnung von Quoren ist der ergebnisverzerrende Effekt. Der hat eine psychische und eine mathematische Kompenente: Durch das Quorum wird die eine Seite benachteiligt und die andere bevorteilt. Abgesehen von der offensichtlichen Diskriminierung, die in einer Demokratie nichts verloren hat, sind dadurch die unterschiedlichen Seiten natürlich unterschiedlich motiviert, an der Abstimmung teilzunehmen. Ein repräsentative Ergebnis kann dadurch nicht zustande kommen. Außerdem werden die Stimmen der einen Seite durch das Quorum mathematisch geringer gewichtet als die der anderen. So hat man neben der Diskriminierung noch einen Verstoß gegen das demokratische Prinzip der Gleichheit der Stimme.

  • V
    vjr

    WAHLEN: DIKTATUR DER QUERULANTEN

    (zum TAZ-Kommentar von Sven-Michael Veit)

    Die hinter uns liegende Einigung zwischen der Aristokratie und der aufkommenden Bürgerschaft ist ein Kompromiss mit vielen guten Aspekten und einem Schwachpunkt. Auch künftig wird es bei Wahlen kein Mindestquorum geben. Das ist ein eklatanter Mangel für die Legitimation von Gewählten.

    Positiv ist, dass die Regeln präziser und juristisch verlässlicher werden. Die Vereinbarung enthält etwa ein Dutzend sinnvoller Neuerungen. Die Einführung von Quoren indes hat die Bürgerschaft verhindert. Und das ist aus Sicht der neuen Kraft, der Bourgeoisie, nur zu verständlich.

    Zu groß ist die Befürchtung, Wahlen könnten an mangelnder Beteiligung scheitern. Das ist nahe liegend angesichts von Wahlen, an denen kaum jemand teilnahm. Wenn aber ein Thema von so geringem Interesse ist, ist es eben keines.

    Wahlen, dieses sinnvolle Instrument der Bürgerschaftsbeteiligung darf nicht zur Diktatur der Querulanten führen. Ohne ein Minimum an demokratischer Legitimation entwerten die Wahlen sich selbst.

  • S
    Steffen

    Wie beruhigend, dass es schon vier so kämpferische Kommentare gibt, denen ich mich nur anschließen kann. Quoren sind demokratiefeindlich.

    http://www.mehr-demokratie.de/volksentscheid-abstimmungsquoren.html?&no_cache=1&sword_list[]=Quoren

  • Q
    quer-ulantin

    "Dieses sinnvolle Instrument der Bürgerbeteiligung darf nicht zur Diktatur der Querulanten führen." - Herr Veit, durch diesen Satz haben sie sich selbst disqualifiziert!

     

    Was heißt hier eigentlich Diktatur!?

     

    Laut Wikipedia ist eine Diktatur eine Regierungsform, die sich durch eine einzelne regierende Person oder eine regierende Gruppe von Personen mit unbeschränkter Macht auszeichnet.

     

    Und diese Querulanten, Herr Veit, sind meistens Bürgerinnen, die in ihrem näheren oder weiteren Umfeld einen Bürgerentscheid herbeiführen wollen, weil vonseiten der Politik über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. Dass dies nicht immer die große Menge betrifft und deswegen nicht alle so sehr interessiert, ist nahe liegend.

    Es ist auch langsam nicht mehr auszuhalten, wie von der Politik im Schulterschluss mit der Wirtschaft immer wieder von Partikularinteressen gesprochen wird, wenn sich Bürger_innen gegen die ebenfalls Partikularinteressen der Macht wehren!

     

    Diesen Bürgerentscheiden die demokratische Legitimation abzusprechen, ist anmaßend und sie hebeln noch lange nicht die repräsentative Demokratie aus!

     

    Diese Demokratie besteht übrigens nur auf dem Papier - aber das ist ein anderes Thema!

  • DT
    Dr.med, Thomas Leske

    .... leider gibt es keine Stadtteil bezogenen Bürgerbegehren. Wenn Menschen abstimmen, die ein Lebensgefühl gemeinsam und ein Gefühl für den Stadtteil haben, würde die Wahlbeteiligung bei Europawahlen sicher weit übertroffen.

    Die Bezirke haben aber in Hamburg 200.000 bis 300.000 Einwohner. Da ist es nicht leicht, für einen regionalen Skandal (z.B. die Abholzung des Buchenhofwäldchens) mehr als 20% der Wahlberechtigten zur Stimmabgabe zu mobilisieren.

    Noch schwieriger wäre aber ein Quorum von 20% zu erreichen, denn dann müssten die Ja-Stimmen nicht nur die Nein-Stimmen übertreffen, sondern auch noch 20% der Stimmen aller Wahlberechtigten des Bezirks darstellen! Das sind aber Quoren, die in Hamburg nur die beiden großen (Volks-) Parteien bei Bürgerschaftswahlen erreichen. In Kenntnis dieser Sachverhalte empfiehlt (laut Wikipedia) die Venedig-Kommission des Europarats im Code of Good Practice on Referendum, bei Referenden keine Zustimmungsquoren vorzusehen.

    Kein Wunder aber, dass die sog. Wohnungswirtschaft ein solches Quorum fordert, wäre es doch der Tod der Bürgerbegehren auf Bezirksebene! Warum aber auch die taz? Und außerdem, dass Bürgerbegehren Wohnungsbau in ausreichendem Maße bisher verhindert hätten, diese Legende darf nicht weiter verbreitet werden - schon gar nicht von der taz!

     

    Thomas Leske (ein Querulant)

  • A
    Axel

    Sehr geehrter Herr Veit,

    aufgrund Ihres Kommentars gehe ich davon aus, dass Sie noch nie einen Bürgerbegehren/-entscheid organisiert haben. Sie scheinen bislang nicht die Mühen der Überzeugungsarbeit geleistet zu haben, von Bürgern auf der Straße eine Unterstützungsunterschrift zu erhalten.

     

    Sie beurteilen die Bürger, die einen Bürgerentscheid organisieren und auf die Reise durch die Instanzen schicken als Querulanten. Sie führen aus, dass diesen Querulanten die demokratische Legitimation fehlen würde.

     

    Diese Verunglimpfung formulieren Sie in einem Bundesland, in dem die Partei der Nichtwähler mit über 42 Prozent Anteil der Wahlberechtigten die größte Fraktion in der Bürgerschaft stellen müsste.

     

    In der Realität verfügt die regierende SPD mit nur 27 % Stimmen der Wahlberechtigten und gerade einmal 48,4 % der abgegebenen Stimmen über eine absolute Mehrheit in der Bürgerschaft.

     

    Ich erinnere Sie an den Bürgerentscheid zum Buchenhof-Wald in Hamburg-Altona vom November 2009. Hier haben über 24 % der Wahlberechtigten mit über 88 % der abgegebenen Stimmen für das Bürgerbegehren zum Erhalt des Waldes gestimmt.

     

    Halten Sie den Unterschied zwischen den beiden Ergebnissen von knapp 3 % der Wahlberechtigten für so gravierend, um über Querulanten kommentieren zu dürfen?

     

    Kommentatoren Ihres Kalibers sorgen dafür, dass unsere Demokratie zu Schaden kommt und dass das verbliebene Engagement von den engagierten Demokraten außerhalb der etablierten Parteien noch weiter erschwert wird.

     

    Sollte dieses das Ziel eines TAZ-Kommentators sein?

     

     

    Ich empfehle Ihnen, sich mit dem Thema vertieft auseinanderzusetzen und nicht nur einer gestrigen grünen Parteimeinung, die noch unter dem Scheuerl Trauma leidet. Ein Blick in andere Bundesländer, z.B. nach Bayern, ist lohnenswert.

     

    Ich freue mich auf eine Antwort.

  • P
    Paula

    Sehr geehrter Herr Veit,

     

    ich bin entsetzt über Ihren Kommentar von heute zum Thema "Direkte Demokratie".

     

    Wir werden seit Jahren von der Politik über den Tisch gezogen - aktuelles Beispiel ist Herr Wulff, der dürfte Ihnen bekannt sein.

     

    Wenn Bürgerinnen und Bürger nach der Wahl feststellen, dass wieder einmal die Lobbyisten der Wirtschaft das Sagen haben und sich deshalb mit Bürgerbegehren gegen den Ausverkauf z.B. unserer Natur wehren, ist das aktive Wahrnehmung von demokratischen Rechten.

     

    Dass sich verhältnismäßig wenig Menschen an Abstimmungen beteiligen ist kein Manko der Initiatoren/-innen von Bürgerbegehren, sondern ein Ergebnis von schlechter Politik - schon mal was von der Diskussion zu Politikverdrossenheit gehört? Und wenn ich mir die Nachrichten, sowohl im Radio als auch im Fernsehen anhöre/-gucke, brauche ich mich nicht im Entfernstesten darüber wundern, dass Menschen selten über relevante Themen informiert sind.

     

    Auch ohne Quorum: Eine geringe Beteiligung bei Bürgerbegehren feuert mich nur an, mehr in die Offensive und Diskussion zu gehen, mehr Menschen dafür zu interessieren, sich für ihre Rechte einzusetzen.

     

    Es kann nicht sein, dass erfolgreiche Bürgerbegehren zukünftig vom Portemonaie abgehängen. Ein Herr Scheuerl hat ausreichend Kohle und Kontakte, so dass er jedes Quorum "kaufen" kann. Aber wir als "Normalbürger und Normalbürgerinnen" geben unsere Freizeit und ein wenig von unserem Einkommen dafür, dass die Rechte der Menschen in unserer Stadt nicht unter die Räder der Wirtschaft kommen.

     

    Es darf keine Quoren bei Bürgerentscheiden auf der kommunalen Ebene geben!