Debatte Geld: Die passende Versicherung
Die Beratung muss unabhängig vom Abschluss eines Vertrages sein. Erst dann stehen die Interessen des Kunden im Mittelpunkt. Ein Vorschlag.
Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand." Man möchte dem Sprichwort hinzufügen: und beim Finanzberater auch. Denn Finanzberatung ist häufig provisionsgetrieben. Das Problem dabei: Die optimale Beratung des Kunden gerät allzu leicht in den Hintergrund, weil der "Berater" eine Vergütung nur dann erhält, wenn der Kunde am Ende des Gesprächs einen Vertrag unterschreibt.
Provisionsberatung ist zudem wenig transparent. Das beginnt schon bei ihrem Namen. Der Ausdruck "Beratung" suggeriert, dass der "Berater" im Interesse des Kunden handelt. Doch diese Neutralität ist vorgegaukelt, die Realität sieht anders aus: Gegensätze zwischen den "Anliegen" der Anlegerinnen und Anleger einerseits und dem Verkaufsdruck der Vermittler andererseits sind keine Ausnahme.
Der Kunde, der beispielsweise umfassend für sein Alter vorsorgen will, ahnt gar nicht, woher der Vermittler sein Geld bekommt. Weil die üppigen Provisionen in die Beiträge eingepreist sind, wird umso mehr der Eindruck vermittelt, die "Beratung" sei kostenlos. Doch das Gegenteil ist der Fall. Nur ein Beispiel: Die Vertriebskosten einer privaten Rentenversicherung liegen bei vier bis sieben Prozent der Beiträge. Bei einer Laufzeit von 20 Jahren und monatlichen Raten von 150 Euro ergibt sich ein Betrag zwischen 1.400 und 2.500 Euro an Provision.
Kein Geld für Finanzberatung
KERSTIN TACK ist seit 2009 Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion und im Ausschuss für Verbraucherschutz tätig.
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CARSTEN SIELING ist seit 2009 Bundestagsabgeordneter der SPD und Mitglied im Finanzausschuss.
Wie wenig bekannt diese Fakten sind, zeigt eine aktuelle Forsa-Umfrage: Zwei Drittel der Deutschen wollen kein Geld für Finanzberatung ausgeben. Die Konsequenz: Oftmals werden im Laufe der Jahre lieber Tausende Euro an Provision gezahlt, als einmal eine Rechnung von wenigen hundert Euro zu zahlen.
Wer im Autohaus nach einer passenden Familienkutsche sucht, dem ist klar, dass der Verkäufer das Auto unbedingt loswerden möchte und gerade daran verdient. Wer sein Geld in seine Lebensversicherung investiert, hält den Verkäufer für einen neutralen Berater und vertraut darauf, im Großen und Ganzen uneigennützig beraten zu werden.
Deshalb ist es notwendig, die Beratung und Vermittlung von Finanzprodukten auf eine neue Grundlage zu stellen. Der provisionsbasierte Vertrieb muss zurückgedrängt werden. Die Alternative ist der flächendeckende Ausbau der Honorarberatung. Hier zahlt der Kunde an den Berater gesondert und unabhängig vom Produktverkauf. Die Beratung – nicht der Verkauf – steht damit automatisch im Mittelpunkt des Gesprächs. Mit welchem Vertrag der Kunde nach Hause geht, spielt für die Vergütung des Beraters dann keine Rolle mehr.
Nur 200 Honorarberater
Ein schöner Traum. Denn momentan dominiert die Provision in Deutschland. Der DIHK schätzt, dass ungefähr 250.000 Versicherungsvermittlern, -vertretern und -maklern, die ausschließlich auf Provisionsbasis beraten, nur 200 Honorarberater gegenüberstehen.
Verbraucherschutzministerin Aigner hat im Juli letzten Jahres ein Eckpunktepapier für die gesetzliche Regelung des Berufsbildes der Honorarberatung vorgelegt. Damit liegt endlich – zwei Jahre nach Ankündigung – ein Vorschlag des zuständigen Bundesministeriums auf dem Tisch. Sechs Seiten Text sollen genügen, um der Honorarberatung in Deutschland endlich zu neuer – zu erster – Blüte zu verhelfen. Operation gelungen? Leider nein. Denn der dürre Vorschlag aus dem Hause Aigner hat ein paar ganz grundlegende Konstruktionsfehler.
Neues Konzept von Ilse Aigner
Erstens: die Vergütung. Die Gretchenfrage ist und bleibt, ob Geld an den Berater fließen darf, wenn der Kunde einen Vertrag abschließt. Natürlich nicht, ist die logische Antwort. Ansonsten bestehen die beschriebenen Fehlanreize ja weiter. Anders Ministerin Aigner: Ihrem Konzept nach soll es künftig ausreichen, dass der Honorarberater die Provision an den Kunden weiterreicht. Nur: Warum sollte der Kunde dann nicht - unter Inkaufnahme unvertretbarer Risiken -auf die Provision des Beraters schielen, die dieser ihm nun weiterleiten muss? Nur wenige werden der Möglichkeit widerstehen können, statt das passende Produkt zu kaufen, doch die höhere Provision in bar zu nehmen.
Das kann und wird nicht funktionieren. Honorarberatung liegt nur vor, wenn beim Abschluss des Vertrages kein Geld fließt; Honorarberater darf nur sein, wer sein Geld ausschließlich vom Kunden bekommt.
Aigners Ansatz ist falsch
Zweitens: die Aufsicht über die Honorarberater. Soll der Beratungsmarkt künftig funktionieren, muss er effektiv beaufsichtigt werden. Und vor allem: Die Anlegerinnen und Anleger müssen sich darauf verlassen können, dem gleichen Schutzniveau zu unterliegen, egal welches Produkt sie kaufen.
Ministerin Aigner ist auch in diesem Punkt anderer Ansicht. Ihrem Konzept zufolge soll es künftig darauf ankommen, welchen Vertrag der Kunde abschließt. Danach entscheidet sich, ob die Finanzprofis von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) oder die meist kommunalen Gewerbebehörden zuständig sind. Eine solche gespaltene Regulierung wurde schon gegen alle Vernunft von der FDP für den Grauen Kapitalmarkt durchgedrückt. Das Problem: Allein Gewerbebehörden gibt es in Deutschland über 7.000!
Es ist schlichtweg illusorisch, dass diese sich untereinander abstimmen werden. Schwarze Schafe unter den Beratern werden so künftig einfach dort agieren, wo die Aufsicht am schwächsten ist. Außerdem: Gewerbebehörden kümmern sich um Hygieneaufsicht und Standgenehmigungen. Finanzfragen sind nicht ihr Fachgebiet. Das kann einzig die Bafin leisten - unabhängig vom Produkt.
Bereits diese kurze Aufzählung zeigt: Mit Aigners Konzept sind neue Fehlanreize vorprogrammiert. Ihr Modell mutiert so schnell vom Tiger zum Bettvorleger. Und die Anlegerinnen und Anleger bleiben: beraten und verkauft. Die SPD-Bundestagsfraktion wird deshalb diese Woche ein Alternativkonzept zur Honorarberatung vorlegen.
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