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Kolumne Gott und die WeltDer künftige Krieg

Kolumne
von Micha Brumlik

Kanzlerin Merkel ist nicht Königin Ester. Ein Krieg zwischen Iran und Israel ist kaum vermeidbar, weil er im Interesse beider Feinde liegt.

V om 7. bis 8. März feiern Jüdinnen und Juden das Purimfest. Es geht zurück auf die im biblischen Buch "Ester" tradierte Geschichte, wonach der antisemitische Großwesir des persischen Königs, ein Mann namens Haman, alle Juden des persischen Reichs umbringen wollte. Ester aber, die mit dem persischen König verheiratet war, wusste dies zu verhindern, so dass sich nicht nur die Juden des persischen Reiches bewaffnen und wehren konnten, sondern der König seinen Wesir Haman am Ende verstieß und aufhängen ließ.

Die Verkehrung der Verhältnisse des geplanten Pogroms spiegelt sich im Brauch wider, eine andere Identität anzunehmen, sich zu maskieren, weshalb Purim inzwischen vor allem ein Kinderfest ist.

Bei alledem verweist das Fest auch auf die jahrtausendealte Beziehung von Juden und Persern: Immerhin war es der persische Großkönig Kyros, der die Juden aus der babylonischen Gefangenschaft nach Judäa zurückkehren ließ, was ihm der unter dem Namen "Jesaja" publizierende Autor des Prophetenbuches dadurch dankte, dass er dem Großkönig den Titel "Messias" zusprach.

imago/Horst Galuschka
Micha Brumlik

ist Professor für Erziehungswissenschaft in Frankfurt am Main und Publizist.

Blühende Gemeinschaft im Sassanidenreich

Anzufügen wäre noch, dass im persischen Sassanidenreich, in der späten Antike, eine große und blühende jüdische Gemeinschaft lebte, die nicht zuletzt den für die jüdische Religion zentralen "babylonischen" Talmud schuf.

Doch sind diese Zeiten lange vorbei – für 2012 ist ein blutiger Konflikt, ein Krieg mit unabsehbaren Folgen zwischen dem Staat Israel und der Islamischen Republik Iran zu erwarten. Doch bevor man nun moraltheoretisch das Pro und Kontra eines israelischen Luftangriffs auf den Iran abwägt und sich ernsthaft der Frage stellt, ob der jüdische Staat nach der Schoah auch nur das geringste Risiko, von wahnsinnigen iranischen Mullahs oder ihnen willfährigen Politikern mit Atomwaffen angegriffen oder auch nur bedroht zu werden, hinnehmen darf, sollten ein paar nüchterne Erwägungen Gehör finden.

Dieser künftige, drohende Krieg wird vor allem deshalb kaum noch zu vermeiden sein, weil er im wohlerwogenen Interesse beider Feinde, des klerikalfaschistischen Regimes der Mullahs sowie der rechtsnational/rechtsradikalen Koalitionsregierung von Benjamin Netanjahu liegt. Etwas Besseres kann beiden Seiten derzeit nicht passieren: Das Mullahregime wird bei dramatischer Arbeitslosigkeit und steigenden Preisen ökonomisch bald vor inneren Unruhen stehen.

Daher kann ihm gar nichts Besseres passieren, als von Israel angegriffen zu werden. Angriffe von außen stellen nach wie vor das beste Mittel dar, eine unzufriedene und auseinanderfallende Bevölkerung dazu zu bringen, die Reihen wieder fest zu schließen. Der mögliche Rückschlag bei der Entwicklung einer Atombombe dürfte für das Regime durchaus zu verschmerzen sein: Nach einem erfolgreichen Luftangriff werden die Arbeiten wieder aufgenommen, bis man in zwei, drei Jahren wieder genauso weit ist wie heute.

Auch die Regierung Netanjahu kann von diesem Krieg nur profitieren. Sie kann im Zuge eines Angriffs auf die iranischen Nuklearanlagen flankierend die bewaffneten Kräfte von Hamas und Hisbollah sogar dann ausschalten, wenn diese gar nicht mehr auf die iranische Karte setzen. Geringste Angriffe proiranischer Splittergruppen legitimieren ausgreifende Operationen im südlichen Libanon und im Gazastreifen.

Munter fortgeführte Besatzungspolitik

Diese Angriffe aber würden nicht nur die bewaffneten Kräfte von Hamas und Hisbollah für längere Zeit ausschalten, sondern zugleich so viel Hass säen, dass das derzeit beobachtbare zaghafte realpolitische Umschwenken von Hamas beendet wäre und die moderaten Palästinenser im Westjordanland wieder unter Druck kämen. Vor diesem Hintergrund kann die israelische Siedlungs- und Besatzungspolitik angesichts der angeblichen Friedensunfähigkeit der Palästinenser munter fortgeführt werden.

Europas außenpolitische Ohnmacht und das durch den US-amerikanischen Wahlkampf unvermeidlich gewordene Nichtstun der Administration Obama produziert zudem ein sich wechselseitig verstärkendes Vakuum. Der US-amerikanische Verteidigungsminister Panetta wusste daher genau, was er tat, als er vor einigen Tagen einen israelischen Waffengang im April voraussagte - es war ein Hilferuf! Die Europäer aber schweigen vielsagend oder äußern sich - wie der deutsche Außenminister - mit banalen Floskeln zu nur halbwegs effektiven Sanktionen.

Und das dem Umstand zum Trotz, dass sie allemal - neben dem elenden Tod von Israelis, Palästinensern und Iranern - die Leidtragenden sein werden. Die durch den Krieg steigenden Ölpreise werden nämlich alle wirtschafts- und finanzpolitischen Absprachen zu Makulatur werden lassen. Aber Kanzlerin Merkel ist nicht Königin Ester.

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Autor und Kolumnist
1947 in der Schweiz geboren, seit 1952 in Frankfurt/Main. Studium der Philosophie und Pädagogik in Jerusalem und Frankfurt/Main. Nach akademischen Lehr- und Wanderjahren von 2000 bis März 2013 Professor für Theorien der Bildung und Erziehung in Frankfurt/Main. Dort von 2000 bis 2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts – Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust. Forschung und Publikationen zu moralischer Sozialisation, Bildungsphilosophie sowie jüdischer Kultur- und Religionsphilosophie. Zuletzt Kritik des Zionismus, Berlin 2006, Sigmund Freud. Der Denker des 20. Jahrhunderts, Weinheim 2006 sowie Kurze Geschichte: Judentum, Berlin 2009, sowie Entstehung des Christentums, Berlin 2010.Darüber hinaus ist er Mitherausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik.“
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7 Kommentare

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  • VG
    Volker Goller

    Ich habe zu dem Theam einen weiteren Artikel gefunden, der m.M. in die gleiche Kerbe haut ...

     

    http://newamericamedia.org/2012/02/attacking-iran-makes-no-sense-but-netanyahu-might-do-it-anyway.php

  • HS
    Heinz-Peter Seidel

    Wenn man daran gewöhnt ist, zu »Gott und die Welt« nicht nur etwas sagen zu sollen, sondern es wohl immerzu auch zu wollen, dann schreibt man solch verheerendes Zeug, wie Micha Brumlik am 7.02.2012 unter der Überschrift »Der kommende Krieg«.

    Zuerst mit professoralem Impetus einleitend etwas Bibel (Esther-Geschichte), und beiläufig fehlt auch der Babylonische Talmud nicht. Damit, in der späten Antike, endet für Brumlik schon die »Beziehung von Juden und Persern«.

    Aber für die Folgezeiten hätte Brumlik dringend zu den freilich komplizierten Beziehungen zwischen Juden und Persern, später Israel und Iran einiges nachzuholen! Beispielsweise sollte er sich mit der von David Ben Gurion entwickelten »Peripherie-Strategie« beschäftigen, gemäß der neben der Türkei der Iran willkommener Partner gegen die arabischen Länder war. Oder: Hatte nicht vor runden 20 Jahren der damalige Außenminister Shimon Peres geraten, dass Israel und die USA zur islamischen Republik Iran »umfassende strategische Beziehungen« herstellen müssten? (Heute spricht dieser »Vater der israelischen Atombombe« - offiziell unwidersprochen selbst im Deutschen Bundestag! – mit völlig anderer Zunge.) Oder: Hatte Israel im Krieg zwischen Irak und Iran nicht gern die Geheimdienstinformationen des letzteren genutzt, um den irakischen Atomreaktor Osirak bombardieren zu können, und hat Israel den Iran nicht in jenem Krieg fleißig mit Waffen beliefert? u.a.m.

    Wie kam es dann zu der Gegnerschaft erst seit den 80er Jahren, zu der Brumlik, numehr in unserer Gegenwart (und streng im deutschen Mainstream), mit ebenso erschreckender wie widerwärtiger Selbstverständlichkeit in summa den Krieg zwischen beiden Ländern für ausgemachte, letztlich unvermeidliche Sache darstellt?

    Was Brumlik in seiner Kolumne als eine Art »Analyse« folgen lässt, kommt im Gewande sich für klug haltender »Differenzierung« daher; dem Autor geht offenkundig überhaupt nicht auf, was es konkret bedeutet, davon zu faseln, es könne dem Iran »nichts Besseres passieren, als von Israel angegriffen zu werden.« beziehungsweise, es könne die die Netanjahu-Regierung »von diesem Krieg nur profitieren.«

    Brumlik ist ja nicht etwa um »Ausgewogenheit« bemüht: Er kann bei seiner verschwurbelten und (so ein bisschen gerecht tuenden) nach allen Seiten ausgeteilten »Kritik« doch nicht verbergen, wie der zu bekriegende Feind unmissverständlich heißt – Iran, Hisbollah, Hamas.

    Dass Brumlik die kürzliche Voraussage des US-amerikanischen Kriegsministers Panetta für einen »iraelischen Waffengang« im April 2012 als »Hilferuf!« deklariert, halte ich nachgerade für zynisch. Ebenso verräterisch »kritisiert« er die Europäer und stellt sie in einem Satz (nämlich wegen Öl und Wirtschaft) als tatsächlich die »Leidtragenden« hin – in unsäglicher Parenthese »neben(!) dem elenden Tod von Israelis, Palästinensern und Iranern«.

    Muss man sich über Micha Brumlik noch wundern, wenn inzwischen längst (neben so vielen anderen Beispielen in den Medien) sogar etwa solche Figuren wie ein Richard Herzinger ungestraft unter dem Titel »Lieber ein Krieg als die Mullah-Bombe im Nacken« ihre Hasstiraden und ihr Kriegsgeschrei (Welt online am 17.01.2012) herausposaunen dürfen?

    Brumlik ist kein Herzinger, aber er sollte – statt sich über »Gott und die Welt« zu verklecksen – besser den Friedensorganisationen im Land beitreten und mit dem, was er an Autorität zu bieten hat, gegen die Kriegsgefahr im Nahen Osten vernehmlich und unmissverständlich aufstehen!

  • T
    tommy

    Na ja, ich weiß nicht, ist die israelische Regierung denn wirklich dermaßen bescheuert? Ein Angriff auf den Iran birgt ja extreme Risiken und dürfte von Israel allein schon aus rein praktischen Gründen kaum erfolgreich bewältigen zu sein. Wenn die USA eingreifen, sähe das natürlich anders aus - die Folgen wären aber wohl trotzdem katastrophal.

    @Christine: Meinen Sie nicht, dass Sie das auch ein wenig zu einseitig sehen? Sicher, das Regime im Iran ist ziemlich übel und seine Einflussnahme im Libanon und anderen Ländern sehr kritisch zu bewerten. Gegner Irans in der Region (Saudi-Arabien) sind aber teilweise eher noch undemokratischer und menschenrechtsfeindlicher. Es gibt auch überhaupt keine realistische Aussicht, das iranische Regime durch einen Militärangriff zu stürzen (der im übrigen völkerrechtlich illegitim und moralisch fragwürdig wäre). Was soll man also Ihrer Ansicht nach tun, außer Verhandeln und Sanktionen?

  • K
    Kritiker

    Scheinbar bin ich der einzige Mensch in Deutschland, der sieht, wie lächerlich das Ganze ist.

    Von wem geht hier mehr Gefahr aus? Von einem Land, dass möglicherweise in 5 Jahren eine startbereite Atombombe hat? Ja, Atombomben sind nie gut. Es gibt allerdings bereits so viele, dass man meiner Meinung nach getrost davon ausgehen kann, dass der Iran, wäre er im Besitz einer solchen, keinen Gebrauch davon machen würde.

     

    Es geht hier (wie der Artikel ja auch zeigt) um Grunde nicht um die Gefahr einer Atombombe. Es geht hier darum, dass Israel seine rücksichtslose und menschenverachtende Politik (die teilweise widerwärtiger ist, als alles, was im Iran so vor sich geht) gerne weiterhin betreiben möchte. Und da gefällt es den Herren nunmal nicht, wenn es eine bewaffnete muslimische Großmacht in ihrer Nähe gibt.

     

    Ich halte das Szenario eines Atombombenabwurfs für sehr unrealistisch - man will keine Atombombe bauen um sie direkt Jemandem auf den Kopf zu werfen. Man baut sie, um in einem Raum, in dem alle bewaffnet sind, nicht mit leeren Händen dazustehen. Wenn nur eine Seite schwer bewaffnet ist (Israel ist, wie allgemein bekannt, sehr gut ausgerüstet...), ist die Situation deutlich gefährlicher, als wenn beide Seiten bewaffnet sind.

    Im Kalten Krieg hat die hohe Zahl der Atombomben die Menschheit vor einem offenen Weltkrieg bewahrt. Warum soll das nicht auch dort funktionieren?

     

    Europa kann gar nicht richtig auf die Situation reagieren. Sich gegen den Iran zu stellen wäre genauso falsch, wie eine Positionierung gegen Israel.

     

    Allerdings ist ein Luftangriff seitens Israels nicht zu akzeptieren und stellt einen offenen Angriff dar. Und mit dieser "Israel muss im Iran verteidigt werden"-Logik, die heute leider schnell als "logisch" empfunden wird, macht man die Welt auch nicht besser. Nur ein wenig armseeliger...

  • C
    Christine

    Ein toller Beitrag. Der Iran hat bei seinen Problemen natürlich keinen Grund abzulenken und dass er in dieser Region die Vormacht anstrebt ist ja auch voll in Ordnung. Als Unterstützer des Assad Regimes ist der Iran kein Problem, da es der Iran ist. Ein anderer Grund fällt mir bei so einem dämlichen Geschreibsel einfach nicht mehr ein. Verrat an jedem Menschen, der im Iran, in Syrien oder sonst wo im arab. Raumfür Freiheit und Menschenrechte kämpft, denn wird der Iran jemals eine Atommacht ist es für alle in dieser Region vorbei mit der Freiheit.

    Aber in Teilen der Linken scheint ja der klare Menschenverstand endgültig abhandengekommen zu sein. George Galloway, der gegen das unmenschliche israelische Regime die Flottille mitorganisiert hat, hat beste Beziehungen zum Assadregime, wie gerade geleaked wurde. Genaus so kommt mir dieser Artikel und das ganze Gestammel in der Linken , vorne weg die Taz vor, verlogen bis zum geht nicht mehr.

  • D
    d353rt

    Ja, ok, guter Artikel, aber:

    Ohne die Unterstützung der USA ist Israel ein von Feinden umzingeltes Nichts. Und die Amis werden dieses Jahr keinen neuen Krieg starten, da sich das nur negativ auf die Wahlen auswirken kann. Angesichts der OWS-Proteste, die an Kraft gewinnen werden, wäre ein solcher Schachzug für den US-Präsidenten „tödlich“.

    Ein Alleingang der Israelis ist nur unter Androhung des Nuklearwaffen-Einsatzes möglich. Jetzt raten Sie mal was passiert wenn der israelische rechte Block dies befürwortet?

  • VG
    Volker Goller

    Deprimierend. Aber ein guter Beitrag, Danke.