Muslime distanzieren sich: Keine Lust auf "Blockwart-Mentalität"
Die beiden großen muslimischen Verbände wollen mit Niedersachsens "Antiradikalisierungs-Programm" nichts zu tun haben. Den Verfassungsschutz-Chef "überrascht" das.
HAMBURG taz | Die beiden großen muslimischen Verbände in Niedersachsen distanzieren sich von den Plänen von Innenminister Uwe Schünemann (CDU), ein „Antiradikalisierungs-Programm“ für junge Muslime einzurichten. „Dem als ’einzigartig in der Bundesrepublik‘ angepriesenen Projekt stehen wir sehr skeptisch gegenüber“, schreibt die staatlich-türkische Moscheengemeinschaft Ditib in einer Stellungnahme. Um junge Muslime, die sich radikalisierten, zu erreichen, setze Schünemann auf Hinweise auch von Moscheegemeinden. „Herr Schünemann hat damit leider immer noch nicht realisiert, dass diese Menschen nicht in unseren Moscheegemeinden anzutreffen sind“, so der Ditib-Landesverband.
Noch deutlicher wird der Landesverband der Muslime, die Schura Niedersachsen. Die Schünemann’sche Forderung, Arbeitgeber sollten „in gebotenen Einzelfällen konkrete fallbezogene Informationen“ an die Sicherheitsbehörden liefern, laufe darauf hinaus, „in Niedersachsen wieder eine Blockwart-Mentalität zu installieren“. Ein solches Denunziantentum stelle Muslime „unter Generalverdacht“ und dränge sie ins soziale Abseits.
Bei der Vorstellung des Projekts hatte Schünemann am Dienstag noch behauptet, er freue sich, „dass schon bei der Erarbeitung des Konzeptes muslimische Vertreter mitgewirkt haben“. Ditib und Schura halten dem entgegen, sie seien erst spät und auf eigenes Drängen zu den Gesprächen hinzugebeten worden. Erfahren hätten sie davon überhaupt nur zufällig. Ihre dann geäußerte Kritik sei nicht aufgenommen worden.
Schünemann reagierte auf die Kritik mit der Feststellung, es sei „bedauerlich, dass insbesondere die Ditib auf die Verweigerungshaltung der Bundesebene zurückfällt“. Der niedersächsische Verfassungsschutz-Chef Hans Wargel ließt mitteilen, der Anstoß zu dem Antiradikalisierungs-Konzept sei vom Schura-Vorsitzenden Avni Altiner gekommen. Schura und Ditib seien „intensiv“ über die Ziele und Inhalte des Präventions-Konzepts informiert worden und hätten Zustimmung signalisiert. Insofern sei er „überrascht“.
„Man kann eine Initiative ergreifen, und, wenn man mit dem Konzept nicht einverstanden ist, wieder aussteigen“, sagt Avni Altiner dazu. Er habe Wargel bei einem Essen getroffen und sei mit ihm übereingekommen, gemeinsam gegen die radikale salafistische Gemeinde in Braunschweig aufzutreten. Die sammele sich dort um den Prediger Muhamed Ciftci, Gründer des inzwischen aufgelösten Vereins „Einladung zum Paradies“.
Wie auch Vertreter der Ditib nahm Altiner darum im Juni 2011 am „4. Extremismus-Symposium Niedersachsen“ teil. „Auch wir erleben schmerzhaft das Abwerben junger hoffnungsvoller Muslime durch salafistische Kräfte“, erklärte er damals gegenüber dem NDR. Beim Symposium selbst bezeichnete er seine Teilnahme als „Zeichen der Kooperation, ja mehr noch: ein klares Zeichen des Bekenntnisses zur Demokratie“.
Von einem „Antiradikalisierungs-Programm“ sei damals nicht die Rede gewesen, sagt Altiner jetzt. Als er später davon erfuhr, fand er die Idee „befremdend“: „Am Arbeitsplatz, in der Schule sollen Leute beobachtet werden“, sagt er. „An was erinnert Sie das?“
Innenminister Schünemann lässt sich von all dem nicht erschüttern. Er sei, ließ er ausrichten, „gesprächsbereit und guter Dinge“.
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