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Jahrestag AtomunglückAtomkraft, gib auf, du bist umstellt!

Am Jahrestag des Atomunglücks in Fukushima demonstrierten Atomkraftgegner für ein Ende der Urananreicherung in Gronau. Auch in Brokdorf wurde protestiert.

Vor dem AKW Brokdorf demonstrierten Veteranen der Anti-Atom-Bewegung mit neuer Verstärkung. Bild: dpa

GRONAU taz | Mehr als 40.000 Menschen haben am ersten Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Fukushima den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie gefordert. Allein vor der Urananreicherungsanlage (UAA) in Gronau, die 10 Prozent des Brennstoffs aller Atomkraftwerke weltweit herstellt und damit am Anfang der atomaren Kette steht, demonstrierten über 4.000 Atomkraftgegner.

In Brokdorf umzingelten über 3.000 Aktivisten das AKW. An den AKW-Standorten Gundremmingen und Neckarwestheim versammelten sich fast 10.000 Umweltschützer.

Großen Protest erlebte mit über 7.000 Demonstranten auch die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover. Das Bundesland ist nicht nur Standort der Endlagersuche von Gorleben, auch das vom Einsturz bedrohte Atommülllager Asse und der als Endlager für schwach- und mittelradioaktive Stoffe vorgesehene Schacht Konrad liegen dort. Zwischen beiden Standorten wollten mehr als 20.000 Umweltschützer erst am Abend mit einer Menschenkette ihren Protest deutlich machen.

Die Nutzung der Atomkraft sei weltweit unbeherrschbar, eine Katastrophe wie in Fukushima drohe an allen Standorten von Atomanlagen rund um den Globus, mahnten RednerInnen im gesamten Bundesgebiet. Am 11. März 2011 erschütterte ein schweres Erdbeben den Nordosten des Landes und löste einen riesigen Tsunami aus. Mehr als 19.000 Menschen kamen ums Leben. Im Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi des Betreibers Tepco passierte in den folgenden Tagen das größte nukleare Unglück seit Tschernobyl. Nach dem Ausfall der Kühlsysteme kam es in den Blöcken 1 bis 3 zu Kernschmelzen.

„Auch deutsches Joint-Venture trägt Mitschuld an Fukushima“

Erst am Freitag war bekannt geworden, dass die japanische Regierung des infolge der Katastrophe zurückgetretenen Expremiers Naoto Kan schon nach wenigen Stunden über die drohende Kernschmelze informiert war. Offiziell eingeräumt hatte Kans Regierung den Super-GAU erst zwei Monate später.

„Meine Heimat wird nie wieder wie früher sein“, klagt in Gronau die in Fukushima geborene Naho Dietrich Nemoto als eine der RednerInnen der Auftaktkundgebung. Das britisch-niederländisch-deutsche Joint Venture Urenco, an dem auch die Atomstromkonzerne RWE und Eon beteiligt sind und das in Gronau Deutschlands einzige Urananreicherungsanlage betreibt, sei für die Fukushima-Katastrophe mitverantwortlich, betonte etwa der Anti-Atom-Aktivist Matthias Eickhoff von der Initiative Sofortiger Atomausstieg gegenüber der taz: „Vor der Katastrophe zählte Tepco zu den besten Kunden der Urenco.“

Nordrhein-Westfalens rot-grüne Landesregierung müsse ebenso wie CDU-Bundesumweltminister Norbert Röttgen für ein Ende der Atombrennstoffproduktion in Gronau sorgen, forderte Marita Wagner, die für die Linkspartei im Gronauer Stadtrat sitzt. Ohne ein Aus für die UAA bleibe der deutsche Atomausstieg „unvollständig und unglaubwürdig“: Nach Urenco-Angaben gehen 97 Prozent des in Gronau produzierten Atombrennstoffs in den Export.

Die Entsorgung des Gronauer Atommülls ist ungeklärt

Völlig ungeklärt sei auch die Entsorgung des in Gronau entstehenden Atommülls, kritisieren Atomkraftgegner wie der in Gronau lebende Udo Buchholz, der Vorstand des Bundesverbands Bürgerinitiativen Umweltschutz ist. Nicht einmal gegen Flugzeugabstürze sei die UAA gesichert.

Kritik an der Sicherheit der weiterlaufenden Atomanlagen gab es auch an den anderen Demonstrationsstandorten: Brokdorf liege unter dem Wasserspiegel der Elbe, Neckarwestheim in einem erdbebengefährdeten Gebiet, kritisierten AktivistInnen auch mit Blick auf die Pannenserie im grenznahen französischen Atomkraftwerk Cattenom: Zum dritten Mal seit Anfang Februar musste dort am Wochenende der Reaktorblock 2 ungeplant abgeschaltet werden – wegen Problemen des Kühlsystems.

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8 Kommentare

 / 
  • MD
    Manfred Durhak

    Wer eine 100%ige “erneuerbare” Energie in Deutschland haben will, der verurteilt unsere Nachkommen zum Tode durch verhungern und erfrieren!

     

    Wer unsere AKWs mit der Situation in Fukushima gleich setzt, der verkennt, daß in Fukushima gegen die elementarsten Sicherheitsregeln aus Gewinnsucht verstoßen wurde und daß dort fast mafiöse Zustände herrschen, was man für die deutschen AKWs, so weit mir bekannt, nicht sagen dürfte.

     

    Ich bin allerdings der Ansicht, daß unsere AKWs nachgerüstet werden müßte und daß deren Betrieb nicht aufs Gewinnstreben gerichtet sein dürfte, sondern sämtliche Versorgungseinrichtungen, wie Wasser, Gas, Energie und Verkehr, nur dem Allgemeinwohl dienen dürften und sämtliche Einnahmen dort eben wieder deren Ausbau zuzuführen sind.

  • HS
    Hari Seldon

    @zafolo:

     

    Nur kurz: Nur die bekannten Uranvorkommen wären für 600 Jahre ausreichend... (und nur auf dem heutigen technischen Niveau). Die Hintergrundstrahlung existiert wie ein Naturgesetzt, gefällt uns oder nicht, gesund oder nicht. Die Argumentationen im erwähnten Artikel sind meistens in Konjunktiv.

  • Z
    Zafolo

    @Hari Seldon:

     

    1) Ich bin nicht Bischof, Lehrer oder Sozialarbeiter sondern promovierter Physiker, wobei ich sowohl im Bereich Medizinphysik als auch Erneuerbare Energien gearbeitet habe

     

    2) Dass die Menschheit irgendwas schon lange ausgesetzt ist, heißt nicht dass es gesund ist. Mit Mangelernährung, Giftpilzen oder Kopfläusen hatte die Menscheheit schon vor dem technischem Zeitalter zu tun und nichts davon ist gesund. Daraus, dass es also schon vor der technischen Nutzung der Kernenergie Radioaktivität gab, können Sie nicht schließen dass diese gesund ist. Und die erwähnten Studien wie die Kinderkrebsstudie zeigen ja gerade, dass das tatsächliche Risiko höher ist als das Risiko der Hintergrundstrahlung - sonst würde man da nichts sehen.

     

    3) Sie gehen davon aus. dass die Kerntechnik einen Vorteil darstellt. In Wirklichkeit löst sie aber nicht einmal ein Energieproblem, denn die Vorräte an Uran sind real sehr begrenzt - 30 % des heute in AKWs genutzten Urans stammen aus Waffenuran der ehemaligen Sowjetunion, dessen Bestände alles andere als unendlich sind. Dazu kommt, dass Russland uns auch einen überproportional großen Anteil an Gas und Öl liefert und wir uns damit in eine ganz gefährliche Abhängigkeit begeben.

     

    Und zu Jürgen Becker:

    Natürlich gibt es auch andere Zivilisationsrisiken, auf manche haben wir einen relativ großen Einfluß. Der motorisierte Verkehr verursacht in Deutschland zum Beispiel sehr viele Tote. Aber zum einen ist die Existenz anderer Risiken keinerlei Argument, zusätzliche Großrisiken einzugehen. Zum zweiten kann unserem Land eine nukleare Katastrophe wie Tschernobyl oder Fukushima den Rest geben. Bedenken sie mal, was passiert wäre, wenn die Radioaktivität in voller Stärke über Tokyo abgeregtnet wäre.

     

    Etwas vergleichbares kann sehr leicht passieren, wenn ein Raktor wie Cattenom oder Ohu in die in die luft fliegt und wir eine der für Mitteleuropa typische Westwind-Wetterlage haben. Das landet dann NICHT im Meer.

  • HS
    Hari Seldon

    @öko fritz:

     

    Sie haben Recht: Warum muss die Bevölkerung einen fast doppelten Preis für Energie bezahlen? Weil einige Ökofritzen eine Pseudoligion auf die Bevölkerung aufdrücken wollen?

     

    @zafolo:

     

    Gefällt uns oder nicht, die Menscheit ist (war) immer zur Strahlung ausgesetzt. Sogar hat diese Strahlung einen Beitrag zur Entwicklung der Menscheit beigetragen. Natürlich kann ich verstehen, dass Dilettanten wie Journalisten, Soziologen, Lehrer, Bischöfe, usw. (welche keine Ahnung vom Materie haben) die Nukleartechnologie nicht beherrschen können. Aber in der existierenden und reellen Welt ist es so, dass einige Länder und Völker die Nukleartechnologie beherrschen können (und dürfen), und damit haben diese Völker und Länder einen nicht aufholbaren strategischen Vorteil gegenüber den Rest. Dieser strategische Vorteil kann dann in andere Art von Vorteilen übermünzt werden. Bitte, was meinen Sie: Hätte die NATO Lybien angegriffen, falls Lybien Nuklearwaffen (Nukleartechnologie) besitzt hätte? Bitte, warum ist es so, dass die ständigen Mitglieder der UNO-Sicherheitsrat "zufälligerweise" Atommächte (welche die Nukleartechnologie beherrschen) sind? Bitte, denken Sie darüber nach, welche Interesse die nützlichen Idioten (nützliche Idioten: Einstufung der Atomkraftgegner in West-Europe durch einen ehemaligen KGB-General) vertreten. Ganz sicher nicht die Interessen der Bevölkerung. So einfach ist es.

  • KF
    Öko Fritz

    Wir brauchen eine funktionierende "direkte Demokratie"!

     

     

    Derzeit werden in vielen existentielen Bereichen die Interessen des Volkes von den "Volksvertretern" nicht verfolgt und mit den Füßen getreten:

     

    - Atom, Energie

    - Gentechnk (sitttenwidrige Lizensierung von Gemeinschaftseigentum, Monsanto und Co)

    - E-Smolk (Handynetze)

    - Wasserrechte, Nahrungsmittel

    - Finanzwesen (Banken werden von unserem Geld geschützt, ein Hohn!)

     

    Lobbyisten aus Wirtschaftsoligopolen haben die Politiker in der Hand!

     

     

    Es muß sich etwas änder!!!!

  • BJ
    Becker, Juergen

    Um Missverstaendnissen vorzubeugen, selbstverstaendlich bin ich gegen Vertuschungen und fuer akurate Informationen. Es gibt viele Aspekte die auch lebensverkuerzend wirken, wie Tabakkonsum, Alkoholkonsum, Drogenkonsum, Medikamentenmissbrauch, ungesunde Nahrung, zu wenig Bewegung, selbstverursachter Stress, Freizeitrisiken, Rasen auf der Autobahn, usw.

    Im Artikel blieb das alles unerwaehnt, also ist die Grenze zwischen Information und Meinungsmache

    wiedermal ueberschritten.

  • A
    Anti-Atomgegner

    "Die Nutzung der Atomkraft sei weltweit unbeherrschbar, eine Katastrophe wie in Fukushima drohe an allen Standorten von Atomanlagen rund um den Globus".

     

    Was unternehmen die deutschen Atomgegner, die nach dem deutschen Atomausstieg nun etwas Langweile haben: etwa mit Gewalt in andere Länder einzumarschieren?

  • Z
    Zafolo

    Die Folgen radioaktiver Verstrahlung sind seit langem umstritten, und um die wirklichen gesundheitlichen Folgen von Tschernobyl gibt es bis heute massiven Streit. Dazu trägt auch bei, dass die Strahlenbiologie nicht wirklich unabhängig von der Nuklearforschung ist.

     

    Eines der Argumente in diesem Streit ist, dass einige Beobachtungen mit den herkönnlichen Dosis-Wirkungs-Modellen der Strahlenbiologie (die aus den Auswirkungen der Atombombenabwürfe abgeleitet wurden) nicht zu erklären sind. Beispielsweise die nach Tschernobyl beobachtete Zunahme von Kreislauferkrankungen und psychischen Problemen. Dass diese Folge der Radioaktivität sein können, wird geleugnet. Ebenso wurden Beobachtungen der Anwohner der havarierten Anlage in Harrisburg seinerzeit verworfen; Tiermediziner beispielsweise berichteten von einer starklen Zunahme von Mißbildungen und Fehlgeburten. Diese Beobachtungen wurden wie gesagt verworfen, was mit Wissenschaft überhaupt nichts zu tun hat, denn bei seriöser Wissenschaft geht es darum, die Theorien den Beobachtungen anzupassen und nicht umgekehrt.

     

    Was man übrigens erst Jahre später erfuhr, war dass der Reaktorkern in Harrisburg durch Kernschmelze völlig zerstört wurde. Dass der Druckbehälter stand hielt, war reines Glück. Das Ausmaß der Freisetzung von radioaktiven Gasen wurde vertuscht.

     

    Auch die auffällige Häufung von Leukämieerkrankungen in der Elbmarsch sowie die statistische Häufung von Leukäme in der Nähe von Kernkraftwerken ist mit den etablierten Modellen nicht erklärbar. Man muss daran erinnern, dass bei der Untersuchung der Vorgänge in der Elbmarsch seinerzeit eine ganze Komission von Wissenschaftlern unter Protest zurücktrat. Auch in Deutschland wird, so ist mein Eindruck, systematisch vertuscht und beschönigt.

     

    Es gibt heute jedoch, und das ist sehr wichtig, neue Erklärungsansätze zu den Wirkungen weit verteilter Strahlung. Einer davon ist der epigenetische Ansatz, der neue wissenschftliche Erkenntnisse über die extrem komplexen Vorgänge in der Embryonalentwicklung verwendet. Mit diesem Ansatz konnte man statistische Korrelationen zur Strahlenwirkung von Teschernobyl sogar auch in Westeuropa zeigen, etwa eine vierfache Zunahme der Fälle von Trisomie-21 in Berlin.

     

    Dazu gibt es zum Beispiel den folgenden auf Deutsch veröffentlichten Artikel von Hagen Scherb und Karl Sperling:

     

    http://www.naturwissenschaftliche-rundschau.de/navigation/dokumente/NR_5_2011_HB_Scherb.pdf

     

    Wenn sich diese Erklärungsansätze bestätigen lassen - und das ist nicht ganz einfach, weil man ja keine schwangeren Frauen versuchsweise radioaktiver Strahlungs aussetzen kann! - müßte man die Auswirkungen radioaktiver Strahlen auf den Menschen völlig neu bewerten. Von daher wäre eine breite Diskussion angebracht. Klar ist zumindest, dass wir nicht genug wissen. Wir setzen uns mit jedem Betrieb von Kraftwerken und Endlagern dieser Gefahr einer Verstrahlung aus, ohne das Risiko adequat wissenschaftlich beschreiben zu können.