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Wandel in Nord-NeuköllnGentrifizierung? Hier doch nicht

Laut einer Studie entwickelt sich der Norden Neuköllns nicht zum neuen Prenzlauer Berg. Viele Neuköllner sehen das allerdings anders.

Sind sie Gentrifizierer oder nicht? Junge Hipster in einer der vielen neuen Kneipen in der Weserstraße. Bild: dpa

Die Gentrifizierung im Norden Neuköllns, findet Sigmar Gude, „hat noch nicht begonnen.“ Als Gude das am Montagabend vor etwa 100 Neuköllnern sagt, erntet er ungläubige Blicke und Kopfschütteln. Gude arbeitet beim Stadtforschungsinstitut Topos und hat im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zum ersten Mal untersucht, wie sehr die Gentrifizierung in Nordneukölln angekommen ist. Sein Fazit: Nur im Reuterkiez und an einigen Hotspots wie dem Richardplatz sei Gentrifizierung im Gange, in Nordneukölln als ganzem – dem Gebiet Neuköllns innerhalb der Ringbahn – sei sie aber nicht erkennbar. Auch künftig, so Gude, sei das nicht zu erwarten.

Die Anwohner, die zur Vorstellung der Studie in die Rütli-Schule gekommen sind, empfinden das ganz anders: „Bei uns im Haus muss man 8,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter zahlen“, ruft eine Frau aus dem Publikum. „Wenn das keine Gentrifizierung ist, was dann?“

Dass die Mieten gestiegen sind, sieht auch Gude: Bei Neuvermietungen, so die Studie, verlangen Vermieter mittlerweile bis zu 35 Prozent mehr als den berlinweiten Mittelwert des Mietspiegels. Vor allem in den letzten Jahren zogen die Mieten an: Zahlte man im Schillerkiez vor dem Jahr 2000 durchschnittlich noch 4,65 Euro Nettokaltmiete pro Quadratmeter, waren es zehn Jahre später 6,24 Euro.

„Pioniere“ und „Gentrifier“

Nicht nur die Mieten, auch die Bevölkerung im Kiez hat sich in den letzten Jahren verändert: Viele „Pioniere“ sind gekommen, erläutert Gude – junge Menschen mit geringem Einkommen und hoher Bildung, Studenten oder Künstler etwa. Die „Gentrifier“ – Menschen mit hohem Einkommen und hoher Bildung – kamen bislang nicht allzu zahlreich. Die Situation sei also nicht so schlimm, findet der Forscher: „Menschen mit sehr niedrigem Einkommen werden durch Menschen mit etwas weniger niedrigem Einkommen ersetzt.“

Gothe gibt „Entwarnung“

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wollte mit der Studie klären, ob es Veränderungen in der Sozialstruktur des Kiezes gibt, die Einfluss auf die Mietentwicklung haben. Nun spricht der Staatssekretär für Stadtentwicklung, Ephraim Gothe (SPD), von einer „Entwarnung“ für Nordneukölln – es sei noch weit von einem Wohlstandsgebiet entfernt. Zwar steigen die Mieten, dafür werde die soziale Durchmischung langsam besser. Sein Rezept gegen steigende Mieten: Wohnungsneubau. Damit könnten zwar keine preiswerten neuen Wohnungen entstehen, aber die Nachfrage vor allem wohlhabender Schichten befriedigt und damit der Wohnungsmarkt insgesamt entlastet werden. Das Publikum ist skeptisch: „Davon sinken doch die Mieten in der Umgebung nicht“, ruft eine junge Frau in den Saal. Es sei die einzige Möglichkeit, gibt Gothe zurück – „denn Mietrecht ist Bundesrecht“. Es klingt wie eine Kapitulation.

Am Ende des Abends ist sich das Publikum zwar einig, dass es mit den Mieten so nicht weitergehen kann, die Politik jedoch ist ratlos, wie dem Problem begegnen werden kann. Ein erster Schritt, um die Ratlosigkeit zu beenden, soll die Veröffentlichung der Studie im Netz sein: „Dann können Sie uns Ihre Kommentare schicken.“

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4 Kommentare

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  • J
    Jean

    Also den Kommentar von Darren kann ich überhaupt nicht teilen. Ich wohne seit 4 Jahren in der Schillerpromenade, die Zeit als hier noch die Flugzeuge drüber flogen, ist kaum noch mit dem heutigen Zustand vergleichbar. Kommende Woche werde ich ausziehen müssen, da die neue internationale Hausverwaltung die Wohnung sanieren wird und sie für 9€ Nettokalt plus 3 Monatsmieten Provision weitervermieten wird. Gespräch mit der Hausverwaltung und Maklerin: "Ist es nicht möglich die Wohnung zu übernehmen, ich würde schon noch gerne den Sohn von meinem Freund aufwachsen sehen, der in der Wohnung neben mir wohnt?" - "Wenn sie es sich leisten können". Finde ich auch alles soweit marktwirtschaftlich OK aber letzendlich auch Schade. Vor allem da ich denke, in spätestens 5 Jahren wird es vorbei sein und alles wird überschwemmt von Leuten die Großstadt spielen. Früher hab ich meinen Müll in die Tonnen geschmissen, heute schmeiß ich ihn aus dem Fenster. Und grade die Leute die denken mit ihrer akademisch sozialen Unibrille alles richtig zu machen und auch richtig zu sehen sind dann auch manchmal das Problem. Ich habe ein paar ehemalige gute Prädikatsstudentinnen im Bekanntenkreis und sobald die irgendwo auftauchen, dann weiß man das es zu Ende geht.

    Die besagte Studie hab ich im übrigen auszugsweise gelesen und wollte es mir ersparen die Verfasser auf einige schwarze Flecken hinzuweißen. Ein Blick auf die Eigentumsverhältnisse und die Besitzerwechsel im besagten Stadtgebiet hätte gereicht um die Studie zu entkräften. Aber nichtsdestotrotz ist es natürlich gut dass sich etwas verändert, aber wenn man nicht die meisten mitnimmt dann ist es einfach Verdrängung. Oder Durchmischung ;-)

  • D
    darren

    als soziologe und schillerkiez-bewohner fühle ich meinen eindruck aus durch der studie bestätigt.

     

    so lange ich denken kann, wird neukölln als nächstes k-berg oder p-berg gehandelt. aber die kinderwägen werden immernoch von türkischen muttis geschoben, nicht bio-verliebten yuppieeltern. die studis und hipster bringen wohl kaum die kaufkraft und gewerbe, um hier echte gentrifizierer anzulocken. pioniere sind der erste schritt, aber in vielen fällen bleibt es dabei, wenn nicht eine reihe anderer faktoren hinzu kommt.

     

    gentrifizierung und mietpreissteigerungen sind zwei unterschiedliche phänomene, auch wenn sie nicht selten mit einander korrelieren. mietsteigerungen sind sozialpolitisch zweifelhaft. allerdings sollte man schauen was die ursachen sind und wie neben den relativen zahlen der absolute vergleich mit anderen bezirken ausfällt.

     

    einige dinge sind tatsächlich anders als vor 3-4 jahren: der leerstand ist vorbei und es gibt neben den ein paar neue bars und kulturräume. alles weit entfernt vom kinderyoga. wir sollten uns lieber darum kümmern den wandel zu gestalten und zu verhindern, dass die lage wieder kippt. wie es aussieht, ziehen die hipster bald vorzugsweise in den wedding. und eine übernahme nordneuköllns durch die wohlsituierte mittelschicht ist beim besten willen nicht zu sehen.

  • L
    logo

    Die Forscher scheinen nur retrospektiv zu erkennen..

  • I
    Icke

    Schön dass die Herren Forscher und Politiker da kein Problem sehen, wenn aber die Bevölkerung ein Problem sieht so existiert dieses ob man es nun mit einer Studie kaschiert oder nicht. Mal ganz abgesehen davon das ihnen jeder Erstsemestler, der sich ein wenig mit der Thematik beschäftigt, erklären könnte das gerade diese sog. "Pioniere" ein Schlüsselelemnt in den Abläufen der Gentrifizierung sind!