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Opposition in UngarnEs geht nicht nur um die Macht

Die Mehrheit der Bürger in Ungarn ist unzufrieden mit der Politik der Regierung Orbán. Doch viel mehr als das verbindet sie nicht, das Vertrauen in die Parteien ist erschüttert.

Massen demonstrieren in Budapest für den Erhalt von Klubrádió – und gegen die Fidesz-Regierung und Premier Viktor Orbán. Bild: reuters

WIEN taz | Zsofia Mihancsik hat ein Faible für die Galamus-Schlucht in den französischen Pyrenäen. Deswegen hat sie ihr Internetportal „Galamus Csoport“ genannt: Galamus-Gruppe. Dass es um ein oppositionelles Projekt geht, ist aus dem Namen nicht ersichtlich.

Mihancsik ist Chefredakteurin, Übersetzerin und Fundraiserin in einem. Es geht ihr um Aufklärung. Sie hat die offizielle ungarische Nachrichtenagentur MTI abonniert und erstellt aus der Verknüpfung von Meldungen Analysen, die die gleichgeschalteten öffentlich-rechtlichen Medien vermissen lassen. Gemeinsam mit einer Freundin übersetzt sie Medienberichte über Ungarn aus dem Deutschen, Englischen und Französischen. Längst nicht mehr alle, gibt sie zu: „Ihr schreibt zu viel“.

15.000 Zugriffe pro Tag beweisen, dass Informationsbedarf besteht. Das hatte Mihancsik auch schon in ihren Jahren als Redakteurin bei Klubrádió beobachtet. Ende Februar sollte der Sender vom Netz gehen. Bei der Neuausschreibung der Lizenz musste das kritische Projekt einem Dudelsender weichen. Heimatmusik statt Diskussionsprogramme, so der Kriterienkatalog. Erst vor Gericht konnte die Station ihr Fortbestehen durchsetzen.

Die Opposition hat es nicht leicht im Ungarn Viktor Orbáns. Gestützt von einer komfortablen Zweidrittelmehrheit seiner Bürgerunion Fidesz nutzt der Premier seine Macht bis an die Grenzen des Rechtsstaats aus, um das Land umzukrempeln. Eine Lawine von Reformen soll dafür sorgen, dass Ungarn noch lange nach Orbáns Pfeife tanzt, und lässt die Oppositionsparteien atemlos zurück.

Parteien in der Opposition

Die Ungarische Sozialistische Partei (MSZP) ging nach 1989 aus der kommunistischen Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei hervor und regierte das Land bis zu den Wahlen 2010, bei denen sie auf 19,31 Prozent abstürzte.

Jobbik („Bewegung für ein besseres Ungarn“) wurde 2003 gegründet und definiert sich als konservativ, christlich und patriotisch. Kritiker bezeichnen die Partei, die 2010 16,67 Prozent der Stimmen erreichte, als rechtsextrem.

LMP („Politik kann anders sein“) entstand aus einer NGO, gehört den europäischen Grünen an und holte 2010 7,44 Prozent.

Die Demokratische Koalition (DK) spaltete sich unter Führung von Expremier Ferenc Gyurcsány 2011 von den Sozialisten ab und nahm zehn Abgeordnete mit.

Der liberale Bund Freier Demokraten (SZDSZ) war zehn Jahre lang Junior-Koalitionspartner der MSZP und ist seit 2010 nicht mehr im Parlament vertreten.

Das konservative Ungarische Demokratische Forum (MDF) versank schon vorher in der Bedeutungslosigkeit. (rld)

Attila Mesterházy, Vorsitzender der sozialistischen MSZP und damit Oppositionsführer, freut sich zwar, dass seine Partei nach der Wahlschlappe von 2010 stabil um die 19 Prozent bleibt – obwohl sich Expremier Ferenc Gyurcsány mit seinem Flügel abgespalten und die Demokratische Koalition (DK) gegründet hat. Doch muss sich Mesterházy fragen, warum die Sozialisten in den Umfragen nicht weit besser dastehen. Denn Fidesz hat mehr als 20 von 53 Prozent verloren.

Zuviel Ehrlichkeit?

Mesterházy führt die Wahlschlappe darauf zurück, dass man im letzten Wahlkampf zu ehrlich war – und erhofft sich gerade dadurch neuen Aufwind: „Man darf die Wähler nicht belügen, sonst bestrafen sie dich“, erklärt er. Der Anfang vom Ende der MSZP-Hegemonie begann ja mit der berüchtigten „Lügenrede“: Im Sommer 2006 gab der damalige Premier Ferenc Gyurcsány auf einer internen Sitzung zu, im Wahlkampf Wirtschaftsprognosen geschönt zu haben. Als das an die Medien gelangte, entfesselte die von Orbán angeführte Opposition eine Protestlawine, die in Ausschreitungen gipfelte.

Durch eine Kombination aus eigenem Verschulden und skrupelloser Fidesz-Taktik, die aus der Opposition alle MSZP-Reformprojekte torpedierte, haben die Sozialisten Viktor Orbán einen roten Teppich in den Regierungspalast gelegt. Der hat jetzt einen Staat geschaffen, in dem die Opposition machtlos ist. Initiativen der Nichtregierungsparteien prallen im Parlament an der erdrückenden Mehrheit von Fidesz und ihrem Anhängsel, der christlich-demokratischen Volkspartei KDNP, ab.

Kein Wunder, dass sich die Opposition vor allem auf der Straße abspielt. Die machtvollen Demonstration am 2. Januar oder am ungarischen Nationalfeiertag, dem 15. März, bewiesen, dass nicht alle Bürger mit Orbáns neuer Verfassung und dem Mediengesetz, das Journalisten einschüchtern soll, einverstanden sind. Dahinter steckte die Bewegung „4K!“ und die neue, aus der Armee- und Polizeigewerkschaft FRDÉSZ hervorgegangene Bewegung Szolidaritás (Solidarität).

4K! steht für „4. Republik“ und rekrutiert Anhängerschaft unter jüngeren, ideologisch nicht festgelegten Wählern. Die können mit den Sozialisten, denen nach wie vor der Ballast der realsozialistischen Vergangenheit anhängt, sowie mit der grünen, verkopften LMP wenig anfangen. Wie die Bewegung „Eine Million für die Pressefreiheit“ kommuniziert 4K! über Facebook und andere soziale Medien.

Kein Vertrauen mehr

Auch Szolidaritás richtet sich an jene Mehrheit, die keiner Partei mehr vertraut. Der Exoberstleutnant Péter Kónya, Anführer und Gesicht der Bewegung: „Aktuell sehen wir, dass 65 Prozent der Wahlberechtigten keine der existierenden Parteien wählen würden. Diese große Gruppe enttäuschter Wähler wollen wir ansprechen und davon überzeugen, dass man selbst etwas dafür tun muss, dass dieses Land wieder eine gute Richtung einschlägt. Dabei wollen wir weder eine linke oder eine rechte politische Richtung einschlagen, sondern eine neue Mitte anbieten.“

Anders als die ausländischen Kritiker stellt Kónya nicht Orbáns Demokratieabbau in den Mittelpunkt seiner Kritik. Szolidaritás tritt gegen die wirtschaftlichen Folgen des Umbaus auf. „Es gibt eine neue Existenzangst, vor allem bei den arbeitenden Menschen, jenen, die von Gesetzen für den öffentlichen Dienst und die staatliche Sphäre betroffen sind. So können Menschen zum Beispiel ohne jede Begründung entlassen werden.

Zwar wurde das vom Verfassungsgericht blockiert, aber danach hat die Regierung den „Vertrauensverlust“ als Kündigungsgrund eingeführt, was die gleiche Wirkung hat, so Kónya in der Onlinezeitung „Pester Lloyd“. Die Abschaffung beziehungsweise Besteuerung der Frührente brachte „eine sehr große Schicht in existenzielle Nöte“. 16 Prozent Flat-Tax hat die Reichen noch reicher gemacht und die Armen noch stärker belastet.

Der Philosoph Gáspár Miklos Tamás hat eine Erklärung, warum der Großteil der Bevölkerung derzeit in Abwarteposition verharre: „Der Geist der Opposition ist liberal. Ihre Parolen kreisen um Verfassung, Menschenrechte und Machtteilung. Für Demonstrationsteilnehmer sind aber soziale Forderungen wichtig und die stehen nicht auf der oppositionellen Tagesordnung.“ Seine Erklärung: „Es gibt zwei Rechte in Ungarn, eine nationalkonservative und eine proeuropäische.“ Während die Protestbewegung, die Mitte-links-Parteien und die EU um die Rechtsstaatlichkeit bangten, spiele Orbán die nationale Karte. Wirtschaftspolitisch aber gebe es kaum Unterschiede: „Denen geht es nur um die Macht.“ Tamás, der eine kleine linksgrüne Partei gegründet hat, wünscht sich dagegen eine „echte sozialistische Alternative“.

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2 Kommentare

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  • S
    Stefan

    Wenn Mesterhazy die Wahlschlappe der MSZP auf seinen "ehrlichen Wahlkampf zurückführt, muss man ernsthaft Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit dieses Mannes haben. Er sollte mal schauen, was die MSZP-Regierung unter Gyurcsány so alles losgelassen hat. Zudem verkennt dieser Artikel hier vollkommen die wirklichen Machtverhältnisse in Ungarn. Natürlich gibt es Leute, die gegen die Regierung Orbán sind. Dies als breite Bewegung darzustellen, geht an den Wirklichkeiten aber sehr vorbei. Informieren Sie sich besser, bevor Sie stereotyp über das Land schreiben. Beszél magyarul? Vagy honnan tudja annyira sokat az országról?!

  • HS
    Hari Seldon

    Die TAZ sollte sich besser informieren, für welche Gestalten Medienfäche zur Verfügung gestellt wird. Sonst kommt der bekannte Spruch "Similis simili gaudet" (ähnliche ziehen zu ähnlichen), und TAZ würde ganz sicher nicht besonders gut abschneiden. Konkretisierung: Der "Philisoph" Miklós Gáspár Tamás hat damals einen Antrag bei der kommunistischen Partei (noch vor der Wende) gestellt, dass seine Mutter eine spezielle Rente erhalten sollte. Begründung: Seine Mutter war eine der Gründungsmitgliedern der Kommunistischen Partei von Rumänien, und lange eine treue Weggefährtin von N. Ceaucescu (später fiel sie in ungnade und die Familie durfte nach Ungarn auswandern). In 1991 haben die Linksliberalen (damals noch sehr stark, und der Herr Tamás war ein bekannter Gallionsfigur in dieser Partei: Diese Partei konnte gerade 33 Stimmen bei den letzten Wahlen erhalten (in ganz Ungarn), und existiert nicht mehr) einen Putsch gegen die erste demokratisch gewählte Regierung nach der Wende organisiert. Der Herr Tamás hat damals bei den westlichen Botschaften in Budapest damit hausiert, dass er der "neue Aussenminister" wäre (Selbsernennung). Wie ca. 20 Jahre later einige Protokolle der britischen Botschaft in der öffentlichkeit bekannt wurden, haben die englischen Diplomaten den Herrn ausgelacht, und die Formulierung war nicht besonders diplomatisch (man hat daran gedacht, dass der Herr nicht ganz heil wäre). Und die TAZ kommuniziert mit solchen Schwindlern. Keine Kommentare dazu, aber zeigt das Niveau des Artikels ganz deutlich.