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Piraten streiten ums Grundeinkommen„Das ist doch wohl nicht euer Ernst“

Führende Parteivertreter der Piraten gehen auf Distanz zum Grundeinkommen-Modell der „Sozialpiraten“. Die Autoren weisen die Kritik zurück.

1.000 Euro Grundeinkommen sollen es nach Ansicht dieser Befürworterin sein. Bild: dapd

BERLIN taz | Das Modell für ein bedingungsloses Grundeinkommen, das die Sozialpiraten, eine Arbeitsgruppe innerhalb der Piratenpartei, erabeitet haben, sorgt innerhalb wie außerhalb der Partei für eine intensive Debatte.

Sowohl auf Webseiten der Piraten wie auch in den Kommentaren auf taz.de finden sich viele Anmerkungen, die das Modell für unsozial halten. Auch prominente Parteimitgleider gehen auf Distanz: „Das ist doch wohl nicht euer Ernst“, twitterte etwa Gerwald Claus-Brunner, der für die Piraten im Berliner Abgeordenetenhaus sitzt.

Der stellvertretende Parteivorsitzende Bernd Schlömer bezeichnete das Modell der Sozialpiraten auf taz-Anfrage als „nicht ausreichend“, aber immerhin als „Schritt in die richtige Richtung“. Alexander Spies, sozialpolitischer Sprecher der Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus, kritisiert das Konzept: „Es erfüllt nicht die Parteitagsbeschlüsse“. Das wüssten auch die Autoren, so Spies. „Es braucht mindestens 1.000 Euro Grundeinkommen, das diskutierte Modell erreicht das klarerweise nicht.“ Auch die pauschale Berechnung von Wohnkostenzuschüssen nach Region sieht er kritisch, da sich schon auf kleinem Raum Wohnverhältnisse deutlich unterscheiden können, beispielsweise in Berlin.

Schlichtweg falsch

Johannes Ponader, Mitglied der „Sozialpiraten“ und Mitautor des Modells, verteidigt den Vorschlag hingegen. „Die Aussage, das Modell bewege sich deutlich unter dem Niveau anderer Modelle oder liege sogar unter dem Niveau des heutigen Hartz-IV-Systems, ist schlichtweg falsch“, erklärte er.

Den Vorwurf, dass das Piraten-Modell teils weniger Geld als Hartz IV bedeute, hatte unter anderem Ronald Blaschke vom Netzwerk Grundeinkommen gegenüber der taz geäußert. Ponader entgegnet darauf, das vorgeschlagene Grundeinkommen von 440 Euro solle 12,5 mal jährlich ausgezahlt werden, so dass sich ein rechnerischer Monatsbetrag von 457 Euro ergebe.

Nachträgliche Ergänzung

Zudem sollte bei Menschen ohne weiteres Einkommen die Miete in ortsüblicher Höhe vollständig übernommen werden. Damit würde der heutige Hartz-IV-Satz von 374 Euro plus Kosten der Unterkunft in jedem Fall übertroffen. Allerdings fand sich die Aussage, dass die Mietkosten bei fehlendem Einkommen komplett erstattet werden, in der ursprünglichen Fassung des Konzepts nicht. Dort war zunächst nur von einem „Zuschuss zu den Wohnkosten“ die Rede, der „bei Nachweis einer entsprechenden Bedürftigkeit“ gezahlt werden soll.

Dass dieser Zuschuss „bis zu 100 Prozent“ betragen soll, war nach Angaben der Autoren zwar schon immer vorgesehen, wurde aber im online stehenden Dokument erst nach Erscheinen des Artikels und der daraufhin geäußerten Kritik ergänzt.

Ronald Blaschke hält darum an seiner Kritik fest. „Es ist unseriös, wenn in einer 'Klarstellung' das Konzept nachträglich umgearbeitet wird, um so behaupten zu können, die Kritiker hätten unrecht“, sagte er. Weil die nachträglichen Ergänzungen erst auf seine Bitte hin als solche gekennzeichnet worden seien, wirft er den Sozialpiraten zudem „Intransparenz und Schummelei“ vor. Das wiederum weist Konzept-Autor Ponader zurück. Die Ergänzungen seien lediglich „Klarstellungen, um in Zukunft Missverständnisse zu vermeiden.“

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15 Kommentare

 / 
  • KI
    krnak im kopf

    Und wer übernimmt die Krankenkassenbeiträge bei diesem Modell? Das sind für normale Menschen immerhin mind. 150€ monatlich.

  • I
    ion

    Da war ja wohl wieder mal ein großes taz-Nix;

    Der taz-Autor (Ben Seel) des in Rede stehenden, (zu Recht) kritisierten Artikels:

    >

    26.03.2012

    Piraten und das Grundeinkommen

    Unterm Strich weniger als Hartz IV

    <

    beruft sich 2 Tage später, heute mit co- (oder ghost-(?)) writer darauf, dass sich ein gewisser Herr: "Ronald Blaschke vom Netzwerk Grundeinkommen gegenüber der taz geäußert" habe!

    Es gehört ja wohl zu den journalistischen Grund-Pflichten, 'von aussen eingehende Hinweise' auf deren 'informationelle' Richtigkeit zu überprüfen, bevor man die message eines 'ich-weiss-was-!' mit reißerischer headline aufpumpt und mit ebenso (wieder mal) in die irre führender Artikel-'Illustration' (Foto) publiziert!

    Und anstatt in dem heute fadenscheinig nachgereichten taz-Apologie-Versuch erneut alleinig Herrn Ronald Blaschke Gelegenheit zur erweiterten (Selbst-)Kommentierung zu bieten: "(...) hält darum an seiner Kritik fest.", sollte zumindest auch der Link zu der Stellungnahme der betreffenden "#Sozialpiraten":

    :

    >

    Piraten wollen Hartz IV unterbieten? Eine Klarstellung

    Von Johannes | Veröffentlicht am: 27. März 2012

    <

    publiziert werden, oder nicht?!

    Würde Herr Ben Seel täglich unüberprüft 'ich-weiss-was-!'-Hinweise von gegenspielenden Profilneurotikern kolportieren, hätte er bei der Anzahl der Politischen AGs der Piraten viel zu tun, nur hätte der output eher nix mit verantwortlichem Journalismus zu tun.

     

     

    (28.03.2012 19:30)

    (29.03.2012 10:34)

    (....)

  • HH
    Heiner Holzapfel

    Das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes und damit die Pflicht des Staates zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums wird ja nicht durch ein Grundeinkommen außer Kraft gesetzt.

     

    Insofern kann der Vorschlag der Sozialpiraten zur Einführung eines Grundeinkommens in Höhe von 440 € nur mit der Höhe des Hartz IV-Regelsatzes verglichen werden und nicht mit der gesamten Hartz-IV-Leistung.

     

    Ich begrüße den Vorschlag der Sozialpiraten, weil er eine sofort durchführbare Alternative zu Hartz IV ist, mit folgenden Vorteilen:

    Der Regelsatz bzw. das Grundeinkommen wird bedingungslos gewährt. Dies ist das A und O, denn damit fallen die menschenrechtswidrigen Sanktionen weg (der ehemalige Richter am BGH, Neskovic, hat die Verfassungswidrigkeit der Sanktionen in SGb 03/12 einwandfrei nachgewiesen), damit fällt die Demütigung und die Nötigung der Erwerbslosen durch die Jobcenter und damit auch die Erpressbarkeit der Erwerbstätigen weg, gegen die keine Staatsanwaltschaft Schutz bietet. Sie können sich als Menschen anerkannt fühlen und werden für Zuverdienst nicht mehr durch Leistungskürzung bis auf Null demotiviert. Auch wenn bei Zuverdienst noch immer die Übernahme der Wohnkosten gestrichen werden kann, so ist die demotivierende Wirkung doch wesentlich geringer als heute unter Hartz IV.

     

    Jedes bedingungslose Grundeinkommen stärkt die Menschenrechte der Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern.

     

    Aus Sicht des Grundrechtsschutzes ist deshalb jeder Einstieg in die Bedingungslosigkeit staatlicher Unterstützung zu begrüßen. Der am schnellsten zu realisierende Vorschlag ist der Beste.

     

    Maximalforderungen führen nur zu einer Spaltung der Befürworter des Grundeinkommens und zu einer Verzögerung seiner Einführung. Ist der Einstieg in das bedingungslose Grundeinkommen erst einmal geschafft, kann an der Optimierung weiter gearbeitet werden.

     

    Heiner Holzapfel

    Grundrechtsschutz-Initiative

  • WR
    Weiße Rose

    Durch das steuerfreie Existenzminimum von ca. 7000 € pro Person und Jahr, gibt es bereits heute eine Art Grundeinkommen für alle. Die stehen jedem hier zu. Wozu brauchen wir dann gängelnde, bevormundende Behörden, die das tagtäglich Millionen streitig machen?

  • PU
    Peter Uthess

    Johannes Ponader und Ronald Blaschke, ihr persönlicher "BGE-Disput" nach BGE-Netzwerkrat, jetzt auf Piratenpartei Ebene - schaun wir mal wo das hinführt. Früh übt sich in - "Teile und Herrsche" - vielleicht geht es auch hier nur um "Macht" aber das "macht" dann nichts - weil - das kennt man(n) (ich) ja schon und ist (Gott sei Dank) nicht von langer dauer :-).

  • S
    Schmurgelbrät

    Ein interessanter Ansatz. Darf man überhaupt ein bedingungsloses Grundeinkommen beziehen ? Dies dürfte die erste philosphische Kernfrage sein. Es kommt bestimmt zu guten Betrachtungen. In der Bibel heisst es: wer nicht arbeitet soll auch nicht essen. Andererseits hatten wir noch nie soviele Resourcen zur Verfügung wie heute. Eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit also ?

     

    Man sollte versuchen von einem reinen Zahlenwerk wegzukommen und Überlegungen anzustellen, wie so etwas zu bewerkstelligen wäre. Der Begriff Bürgergeld war vor einigen Jahren schon im Raum. Sollte diese Aufwandsentschädigung, ähnlich wie bei Abgeordneten gezahlt werden, welche Gegenfinazierung würde es geben ? Man könnte auch von positiver Steuer reden. Wie wäre es wenn Börentransaktionen dafür besteuert würden ?

     

    Als Resultat müßten dann auch Sozial- und Arbeitsämter (die ohnehin nur den Mangel verwalten) mit ihren Personalkosten fortfallen. Anstatt den Bürger also über die Ämter zu gängeln wird ihm eine Pauschale überwiesen welches ihm das Überleben sichert. Warum nicht.

     

    Wäre dies das Ende der Armut ? Sicher nicht, denn Armut hat andere Ursachen.

     

    Die angestossene Diskussion wirkt sehr belebend auf den Poltikbetrieb. Sogar die Grünen könnten hier noch lernen.

  • DG
    Die Ga, die Gaga....

    Kaum im Amt, versenken sich die die Piraten selbst - Wie bei "Asterix"...

  • D
    Domenq

    "Prüfung der Bedürftigkeit" - das ist wieder Hartz 4.

     

    Nichts als eine Mogelpackung für eine bestimmte Klientel!

     

    Und wenn nicht? Dann hören Millionen auf zu arbeiten - ich auch!

  • E
    Excubo

    Interessanterweise scheint die Art der Piraten Vorschläge auszuarbeiten für viele befremdlich zu sein. Vielleicht müssen wir demokratische Vorgehensweisen erst wieder neu lernen? Wie es aussieht wird ein Vorschlag, der offensichtlich noch allgemein zur Debatte steht und sich in einem Arbeitsstatus befindet bereits für bare Münze genommen. Verstehen sich die Deutschen etwa besser auf's Meckern als auf konstruktive Mitarbeit? Jedenfalls ist die Debatte äußerst interessant und hoffentlich verfeinern die Piraten ihre Arbeitsweise noch etwas. Die Richtung ist jedenfalls richtig.

  • F
    Frank

    Es ist erstaunlich wie man Versucht mit irgendwelcher pseudosozialkritischen Tiefenpsychologie eine Partei seriös darzustellen, in der Man sich noch nicht sicher ist ob man die Wähler mit Sprüchen locken will wie:

    Wenn ihr uns wählt und wir an die Macht kommen, dann geben wir euch mind. 48.000€ (4*12*1000)

    Tolles konzept oder, also dann könnte ich mir superleicht nen dicken Mittelklassewagen (wohlgemerkt ein Neuwagen von Mercedes Audi oder BMW) zusätlich leisten.

     

    Nicht das ich auf die Idee kommen könnte neben meinen Studium arbeiten zu müssen.

    Ach jetzt aber Schluss mit dem Schreiben, morgen ist ja Klausur, und die Themen sind zwar glaube ich einfach aber so langweilig: Unteranderem, Geldwertstabilität, da habe ich einfach keinen Bock drauf, das ist soo dooofiii.

  • C
    commonman

    langsam (endlich) kommt bewegung in die diskussion.

     

    20h woche für alle!

  • D
    Daniel

    ??!? Warum nennen die sich "Sozialpiraten"?

    Das ist ja unsozialer als die "ganz normalen" Piraten, die das Grundeinkommen auf dem Parteitag beschlossen haben.

    So ganz versteh ich die Diskussion auch nicht. Das Konzept heißt doch: 1000€ für jeden, MWSt auf 100% und fertig oder? Achso, Lohnnebenkosten sollten glaub ich auch weg. Da bin ich aber nicht mehr ganz sicher, Renten- und Arbeitslosenvers. müssten aber logischerweise wegfallen, da es sowas ja nicht mehr gibt.

     

    ein Problem, was ich noch sehe: menschen mit hoher sparquote, haben einen viel geringeren steueranteil bei diesem konzept oder seh ich das falsch?

  • S
    Stefan

    Eine Art Grundeinkommen ist denkbar sogar so gestaltbar, daß es selbst von Libertären und Anarchokapitalisten gestützt werden kann (natürlich nicht durch einen Gewaltmonopolisten gewaltsam durchgesetzt). Das Thema sollte hier nicht spalten, sondern hier braucht es einfach noch Zeit, multikompatible Ideen zu formulieren.

    Zwei Hinweise noch dazu: Selbst die Sklaverei kannte so etwas wie ein Grundeinkommen, wenn auch hauptsächlich in Naturalien. Auch zu Zeiten der Leibeigenschaft bekam der 'libe eigen" Grund und Boden zum bewirtschaften.

    Grund und Boden teilen wir heute nicht mehr zu (vielleicht ein Fehler), Geld jedoch kann ohne große Umstellung zugeteilt werden. Das ginge sogar privat, wenn der Staat sein (ohnehin schädliches) Geldmonopol aufgibt. Der Wert eines solchen Geldes (Deckung) wäre tatsächlich Solidarität. Maß und Schwankung würde sich in der Volatilität seiner Kaufkraft abbilden, was diese direkt richtig bepreisen würde und für allfällige Schwankungen Raum bietet. Es müßte natürlich von den staatlichen Zwingherren - wie deren eigenes "Geld" - steuerbefreit umlaufen können.

    Piraten mögen auch hier Platz machen für zivile und zivilisierte Lösungen.

  • A
    Annäherungsversuch

    Tja, da hatte ich mich gerade innerlich darauf eingelassen, vielleicht auch die Piraten zu wählen, und zwar genau wegen des Votums für das BEDINGUNGSLOSE GRUNDEINKOMMEN, aber da lese ich diesen Artikel und noch anderes in deren eigenen Foren, was mir Angst macht oder zeigt, dass da einfach auch nur Menschen aller Couleur mitmachen.

     

    Lest mal, was es bei den Piraten z.B. für Kommentare zu dem Thema "Transsexuelles Mädchen (Alex)" gibt...

     

    Widerlich und billig, könnte zum Teil auch von den Nazis/BildzeitungsleserInnen kommen.

     

    Ich weiß, dass das sicher nicht alle Piraten-Mitglieder betrifft und ich finde es auch nach wie vor toll, dass dieses Projekt bzw. diese Partei für mehr Basisdemokratie entstanden ist und hoffentlich auch was bewegt in Deutschland.

     

    Aber, was jetzt an Mitgliedern in Massen hinzukommt, ist vermutlich schwer unter einen "Hut" zu kriegen (was ja eigentlich auch nicht gewollt ist). Ich bin gespannt!

  • R
    rheinelbe

    Klamauk alleine reicht eben nicht!

     

    Wenn die Piraten unsozial sind,

    können sie gleich wieder absegeln samt erbeuteter Diäten. Das geht dann ganz schnell.

    Sind sie gegen oder für Hartz IV?

    Auf eine klare Antwort!

    ...