Böhning über Netzpolitik: „Keine digitalere Stadt als Berlin“
Der Chef der Senatskanzlei, Björn Böhning (SPD), über die netzpolitische Entwicklung Berlins, Medienkompetenz im Unterricht und die Überlebenschancen neuer Start-ups.
taz: Herr Böhning, vor Ihnen liegen zwei Aufnahmegeräte: ein guter, alter Kassettenrekorder und ein digitales Smartphone. Ist Berlin, was die netzpolitische Entwicklung angeht, Rekorder oder Smartphone?
Björn Böhning: Etwas dazwischen, hoffe ich. Weil Netzpolitik nicht nur für die digitale Generation da ist, sondern für ganz Berlin.
Das klingt jetzt nach „Tante SPD“ – versöhnen, nicht spalten.
Das ist Ihr Bild, nicht meines. Wenn man den Städtevergleich in Deutschland macht, gibt es keine digitalere Stadt als Berlin – sowohl in Bezug auf die Infrastruktur als auch auf die netzpolitischen Debatten. Beispiele sind die Wirtschaftsförderung, die sich um IT-Start-ups kümmert, oder der netzpolitische Ausschuss des Abgeordnetenhauses. Berlin ist da sehr weit – im deutschen, aber auch im europäischen Vergleich.
Trotzdem sind nicht alle Bürger gleichermaßen im Internet zu Hause. Soziologen sprechen von einer Mehrzeitigkeit innerhalb der Gesellschaft: Es gibt die Leute im Netz und die, die außen vor bleiben.
Diese Spaltung gibt es. Und sie ist besonders groß, was die Möglichkeit zur Bewertung von Informationen aus dem Netz angeht.
Warum?
Da geht es auch um Bildung. Kitas und Schulen müssen den Umgang mit dem Internet lehren – viele Erzieher und Lehrer müssen genau dies aber auch selbst erst lernen. Das ist ein offener Prozess, und oft ist es auch ein großes Problem.
33, wurde in Nordrhein-Westfalen geboren und engagierte sich schon früh in der SPD. Er studierte Politikwissenschaften in Berlin und war Bundesvorsitzender der Jusos. Heute ist er Chef der Berliner Senatskanzlei und netzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Böhning hat einen kleinen Sohn.
Auch in Berlin?
Keine Frage. Weil dafür bestimmte Qualifikationen und auch Erfahrungen bei Lehrern und Erziehern nötig, aber noch nicht vorhanden sind. Oft verstehen sie weniger von der Materie als jene, die sie bilden sollen. Wir müssen da zu einem neuen Bildungsverständnis kommen. Bildung als dialogischer Prozess, nicht nur als Vermittlung von etwas. Dafür arbeiten wir gerade Lehrpläne um.
Wer finanziert das?
Es gibt bisher keinen speziellen Finanztopf für Internetkompetenz. Aber die Schulen werden mit Rechnern, Internetzugängen und den technischen Voraussetzungen für moderne Formen der Visualisierung ausgestattet.
Wo stehen wir da – auf der Skala zwischen Kassettenrekorder und Smartphone?
Da stehen wir näher beim Smartphone.
Aha.
Ja, da sind wir gut dabei. Viele Mittel aus dem Konjunkturprogramm II des Bundes flossen in Berlin übrigens schon in die Modernisierung der technischen Infrastruktur.
Und in welchem Bereich ist Berlin wirklich Smartphone?
Bei den Schülern allemal. Und bei der Integration von Technik in den Unterricht. In der Vermittlung von Medienkompetenz – etwa bei der Frage, wie man mit Gefahren im Internet umgeht – müssen wir sicher noch weiter nachlegen. Und wenn sich innerhalb von zwei Jahren technische Voraussetzungen komplett ändern, dann ist es auch schwierig, immer auf dem neuesten Stand zu sein. Lehren und Erziehen ist, was Fragen des Internets angeht, eben immer ein Prozess.
Ab wann beginnt für Sie denn das Alter, in dem das Internet relevant wird – mit der Geburt? Auf Ihrer Facebookseite steht ein Foto Ihres Sohnes, das vor Kurzem auch in einer Zeitung gedruckt wurde.
Ich wusste nicht, dass die Zeitung das macht. Aber da es bei Facebook steht, muss ich damit rechnen, dass andere das verwenden. Das war mir bewusst, als ich es eingestellt habe. Ob es allen Menschen so ganz bewusst ist, was sie mit ihren Daten bei Facebook machen, ist eine andere Frage.
Zurück zur Frage: Wann beginnt das Internetalter?
Es beginnt schon im Säuglingsalter. Ich weiß von Freunden, dass, wenn bei ihnen der Fernseher läuft, ihre Kinder mit zwei Fingern versuchen, das Bild größer zu machen – auf die gleiche Art, wie das bei Smartphons oder Tabletcomputern funktioniert.
Und wann bekommt Ihr Sohn die erste Facebookseite?
Sobald er dazu in der Lage ist, kann er das machen.
Wenn er Sie im Alter von fünf Jahren bittet, ihm eine Seite einzurichten – machen Sie das?
Dann werde ich mit ihm darüber diskutieren. Und ich werde es gern mit ihm zusammen machen. Denn das ganz große Problem, das wir heute haben, ist ja, dass Eltern Heranwachsende mit dem Internet allein lassen. Verantwortung für Eltern heißt, diese Kulturtechniken mit dem Kind zu lernen und gemeinsam zu praktizieren.
Gibt es denn für Sie persönlich noch einen Unterschied zwischen analoger und digitaler Existenz?
Nein. Die Digitalisierung der Gesellschaft ist bis weit in die letzten Lebensbereiche hinein vollzogen und hat sich auch in die Arbeitswelt tief eingefressen.
Wie sieht das konkret aus?
Unser Leben und unsere Arbeit haben sich komplett verändert. Jeder Arbeitsschritt, den ich heute im Beruf habe, ist mittlerweile internetgestützt. Die komplette Datenverwaltung auch. Unsere tägliche Kommunikation, unser Leben funktioniert über das Internet.
Das klingt jetzt sehr nach Berlin-Mitte-Blase. In Berlin gibt es ja auch sozial schwache Viertel, hier leben viele Hartz-IV-Empfänger, darunter auch Jugendliche, die sich diese digitalen Statussymbole gar nicht leisten können.
Es gibt hier überall eine große Dynamik in der Bevölkerung – und eine große kulturelle Kreativität. Mittlerweile ist die Smartphonerate in der Bevölkerung riesig, die Geräte sind auch nicht mehr so teuer wie am Anfang. Auch die Zahl der Internetanschlüsse ist so rasant gestiegen, dass man von einer digitalen Spaltung in Bezug auf die Verfügbarkeit der Infrastruktur heute so nicht mehr sprechen kann.
In wie vielen sozialen Netzwerken sind Sie eigentlich?
Ganz offensiv nutze ich Twitter und Facebook. Aber dass ich jetzt der Nerd wäre, der in Sankt Oberholz die Latest News aus der IT-Szene Berlins mitbekommt, das ist wirklich nicht der Fall.
In welchem Bereich hat das Internet Ihr Leben am stärksten beeinflusst?
In den persönlichen Beziehungen. Freundschaften und Beziehungen insgesamt werden heute über Facebook und Twitter realisiert.
Treffen Sie Ihre Freunde nicht mehr abends auf ein Bier?
Doch. Aber man verabredet sich vorher über soziale Netzwerke.
Gibt es sonst noch Bereiche, in denen die Netzwelt die Stadt und den Alltag der Menschen verändert?
Sie hat zum Beispiel erheblich Arbeitsplätze geschaffen. Dass einige zehntausend Menschen heute im IT-Bereich in Berlin arbeiten, zeigt, wie wichtig dieses Wachstum inzwischen ist.
Vor zehn Jahren, nach dem Platzen der Dotcom-Blase, wurden Tausende junger Menschen in Berlin arbeitslos. Hat die Branche daraus gelernt?
Mein Gefühl sagt: ja. In der Tat war die Internetökonomie damals eine Bubble-Ökonomie. Aber nach der großen Krise gehen jetzt viele Unternehmen nüchterner an die Sache ran. Und die alten Kulturtechniken – eine klassische Bilanz, eine betriebswirtschaftliche Schulung, ein Rechtsanwalt als Ergänzung – haben auch in der Internetwirtschaft Einzug gehalten. Das war wichtig.
Derzeit werden viele Berliner Start-ups mit Risikogeldern in Millionenhöhe aufgepäppelt. Sie haben den Satz „Berlin soll zum Silicon Valley Europas werden“ in den rot-schwarzen Koalitionsvertrag gedrückt. Produziert dieser Anspruch und das Vorgehen der Investoren nicht genauso eine Blase?
Das Wort Blase ist da sicher falsch. Aber es gilt das Gleiche wie bei jedem neuen wirtschaftlichen Trend: Einige Unternehmen, die an den Start gegangen sind, werden nicht durchkommen.
Wie viele bleiben auf der Strecke?
Nach allen bisherigen Erfahrungen wäre es ein Erfolg, wenn von zwei gestarteten Unternehmen eins durchkommt. Garantien dafür gibt es aber nicht. Wir können nur mit angemessenen Rahmenbedingungen dazu beitragen, dass möglichst viele es schaffen.
Was könnte man da tun?
Es braucht eine gute Kreditpolitik, zum Beispiel durch die Investitionsbank Berlin (IBB), und entsprechende Wirtschaftsförderung. Das große Problem in Berlin ist nicht, dass wir nicht genügend Start-ups hätten – die Probleme beginnen bei der Risikofinanzierung von Kleinstunternehmen. Sie verdienen in den ersten fünf, sechs Jahren oft noch kein Geld. Doch um wachsen zu können, brauchen sie Risikokapitalgeber. Berlin ist kein klassischer Bankenstandort. Deswegen sind wir angesichts der Wirtschaftsstruktur in diesem Bereich dringend auch auf Kapital von außen angewiesen.
Welche Modelle sind noch denkbar?
In Lüneburg zum Beispiel gibt es ein hervorragendes Gründungszentrum. Dort unterstützt die Universität drei Jahre lang kleine Start-ups im IT-Bereich. Dann kommen die Geldgeber und prüfen die Projekte. Die Marktfähigen werden daraufhin gefördert. Solch ein Modell stelle ich mir auch für Berlin vor.
Wäre ein frei zugängliches WLan-Netz nicht auch ein Standortfaktor?
Wir bereiten derzeit ein Interessenbekundungsverfahren für ein WLan an zentralen Punkten der Stadt vor.
Das heißt, ein partielles WLan?
Zunächst kommt es auf den Start an, dann erweitern wir nach und nach diese Infrastruktur.
Wer soll die Infrastruktur schaffen?
Wir stellen uns ein privatwirtschaftliches Modell vor, sind aber auch offen für Bewerbungen der Freifunker und anderer Initiativen. Am Ende des Prozesses sollen viele kleine WLans mit unterschiedlichen Betreibern auf eine gemeinsame Plattform kommen.
Wie sieht der Zeitplan aus?
Bis zum Sommer wollen wir das Verfahren starten. Wir hoffen, im Herbst entsprechende Angebote zu bekommen.
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