Anthony-McCall-Ausstellung in Berlin: Auflösen in Licht
Im Hamburger Bahnhof und in der Galerie Sprüth Magers in Berlin sind jetzt die sensationellen Lichtskulpturen des britischen Künstlers Anthony McCall zu sehen.
Ist es Videokunst? Das fragt sich zuerst, wer den ausnahmsweise einmal abgedunkelten Hauptsaal des Hamburger Bahnhofs betritt. Die Augen brauchen ein paar Minuten, um sich daran zu gewöhnen.
Bis der Besucher bemerkt, dass die scheinbar statischen Lichtdome darin feine weiße Linien auf den Boden zeichnen. Und genau dem flimmernden Kegel ähneln, der im Kino aus dem Projektor auf die Leinwand trifft.
Mit dem Film hatte alles begonnen bei dem 1964 geborenen britischen Künstler Anthony McCall, der eine Ausbildung als Grafikdesigner absolviert hatte. Das Medium mit dem er seine Performances dokumentieren wollte, geriet ihm nämlich bald zum Mittel einer, für viele radikale Künstler der damaligen Zeit typischen Grundsatzreflexion: „Wenn du einen Film machen wolltest, der nichts als ein Film wäre, wie würde er aussehen?“ fragte sich McCall. Heraus kam ein ikonisch gewordenes Werk namens „Line Describing a Cone“.
Die Arbeit aus dem Jahr 1973, bei der sich eine Kreisform, die McCall in einen dunklen Raum projizierte, langsam zu einem dreidimensionalen Raum weitete, war nicht nur eine ungewöhnliche Form, sondern eine Metapher für den Film an sich - so wie sie dessen Hauptelemente: Raum, Zeit und Licht ganz ohne narrative Zusätze ausstellte. „Solid light films“ nannte McCall seinen Beitrag zum „Expanded Cinema“.
Expanded Cinema
“Five Minutes of pure Sculpture“, die jetzt eröffnete Ausstellung im Hamburger Bahnhof, knüpft direkt an McCalls Schlüsselwerk an. Sie zeigt sieben seiner ab 2003 entstandenen Arbeiten.
Mit der digitalen Filmtechnik kann der Künstler, der über 20 Jahre pausiert hatte und auf der Documenta 2007 wieder gefeiert wurde, seine Trickfilm-Bleistiftzeichnungen, aus denen sich seine via Lichtstrahl gezeichneten Linien entwickeln, exakter produzieren und im Loop abspielen statt im 16mm-Modus. In dem feinen weißen Nebel in der temporären Black Box wirkt das fallende Licht wie ein Laserstrahl. Oft sind McCalls Arbeiten mit einer Tonspur aus Alltagsgeräuschen unterlegt.
Seine Arbeiten sind Verkörperungen einer reinen Schönheit, die ihre Kraft aus Gegensätzen bezieht: So flüchtig, ja immateriell seine Arbeiten sind, so streng sind sie komponiert. Schon die mit Zeichnungen millimetergenau vorgeplanten Performances „Landscape for Fire“ oder „Landscape for White Squares“ vom Beginn der Siebziger, die die Berliner Galerie Sprüth/Magers parallel zu der von Henriette Huldisch wunderbar kuratierten Schau der Nationalgalerie zeigt, atmeten diese faszinierende Dialektik.
Strenge Komposition
Vor allem vollendet sich in ihnen der Sturmlauf gegen das Paradigma der Moderne von der festen Präsenz und dauerhaften Materialien. McCall löst sie quasi in Licht auf. Schafft aber trotzdem eine unverwechselbare, vollendete Form. Wer in eines dieser Hybride tritt, in denen Skulptur, Film und Zeichnung grandios in eins fallen, kann ihre luminose Aura am eigenen Körper spüren.
Endgültig zum Publikumsliebling dürfte der Geheimtipp der Avantgarde in diesem Frühjahr werden, wenn McCall sein Werk für die britische Olympiade realisiert. Eine drei Meilen hohe, gewundene Säule aus Licht und Rauch wird dann am Ufer des Mersey in Liverpool Himmel und Erde verbinden.
Constantin Brancusi, der 1937 seine 30 Meter hohe „Unendliche Säule“ noch aus Tonnen von Stahl errichtete, hätte seine Freude daran.
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