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Die WahrheitJetzt neu: Das Ego-Deppen-Ticket

Kolumne
von Hartmut El Kurdi

Mein Lieblingsspiel im Kindergarten war: „Mein rechter, rechter Platz ist frei.“ Weil man so – „Mein rechter, rechter Platz ist frei, ich wünsche mir die Sabine herbei“ ...

M ein Lieblingsspiel im Kindergarten war: „Mein rechter, rechter Platz ist frei.“ Weil man so – „Mein rechter, rechter Platz ist frei, ich wünsche mir die Sabine herbei“ – Menschen, die man attraktiv oder gut riechend fand, zumindest kurzzeitig neben sich platzieren konnte. Um vielleicht ein wenig an ihnen zu schnuppern, auch im übertragenen Sinne. Bis sie schließlich von jemand anderem wieder weggewünscht wurden. Das war dann jedes Mal ein kleiner spitzer Trennungsschmerz …

Gelegentlich gab es Streit um die Wortwahl. Gewisse Personen behaupteten, das Spiel hieße „Mein rechter, rechter Platz ist leer“ – „leer“, nicht „frei“. Und der sich reimende Spruch lautete dann: „Mein rechter, rechter Platz ist leer, ich wünsche mir die Sabine her.“ Manche meiner Mitkinder waren dadurch so verwirrt, dass sie sich harmoniesüchtig an beide Seiten anbiederten: „Mein rechter, rechter Platz ist leer, ich wünsche mir die Sabine herbei.“ Autsch. Ich glaube, damals entstand meine Aversion gegen reimlose Gedichte. Bis heute finde ich die doof. Die brauchen noch nicht mal von Israel und Atombomben zu handeln.

Warum ich das alles erzähle? Weil dieses schöne Spiel tot ist, tot und begraben. Denn es gibt in Deutschland keine freien Plätze mehr. Und niemand wünscht sich irgendjemanden neben sich. Weder rechts noch links. Zumindest nicht in Bussen, U-Bahnen oder Zügen der Deutschen Bahn. Betritt man zum Beispiel einen beliebigen ICE-Waggon, stellt man fest: Alle Plätze sind besetzt, egal wie viele Fahrgäste sich darin befinden, egal wie viele zusätzlich einsteigen.

Denn auf den eigentlich freien Plätzen neben den Individualreisenden türmt sich jede Menge Zeug: Tüten, Taschen, Koffer, Zeitungen, Zeitschriften, Tupperdosen, Mäntel, Jacken, Unterhaltungselektronik … Und die Sitzplatzinhaber tun so, als bemerkten sie die Sitzplatzsuchenden nicht. Oft muss man sie auf den Kopf hauen oder ihnen die Hörer ihrer MP3-Player aus den Ohren ziehen, damit die Frage „Ist der Platz frei?“ überhaupt einen Adressaten beziehungsweise Empfänger findet.

Neulich sah ich jemanden, der auf dem Platz neben sich einen mittelgroßen schwarzen Plastikwürfel abgestellt hatte. Für einen Bandscheibenblock zu klein, für ein Kinderspielzeug zu groß. Es war klar: Dies war ein einzig zu diesem Zweck hergestellter Platznebensichblockierer. Im Manufaktum-Katalog wahrscheinlich auch in „Erle natur“ zu bestellen.

Denn das fällt auf: Oft ist es die akademische Laptop-Mittelschicht, die anderen die Sitzplätze zumüllt. Statt einfach erster Klasse zu fahren. So geschäftig, wie die tun, müsste es dazu doch reichen. Aber vielleicht ist das ganze Phänomen auch nur ein von mir unbemerkt gebliebenes Spar-Angebot der Bahn: das günstige „Ego-Deppen-Ticket – einen Platz bezahlen, zwei blockieren!“ Zumindest würde es zum Gesamtkonzept passen, die Beförderungsbedingungen für die Mehrheit der Kunden ohne weitere Ausgaben möglichst effektiv zu verschlechtern. Und wieder mal wäre es rundum gelungen.

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2 Kommentare

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  • T
    Twilly

    Schöne Kolumne!

     

    Die Message über eine gesellschaftliche Entwicklung geschürt durch das Sympathisantentum der Anonymisierung inform von "verstecken" hinter weißen Kopfhörern bis hin zum modernen SUV mit dunklen Scheiben kommt gut rüber.

    "Mein rechter rechter Platz ist frei.." geht mit Facebook ja leider auch nicht - Mit einer Renaissance für diese schönen alten Spiele sieht es also schlecht aus... dennoch werde ich es in der nächsten Spielgruppe mal durchsetzten und bedanke mich für diese Erinnerung!

  • B
    Boiteltoifel

    Lieber Hartmut,

     

    die Sitzblockierei finde ich auch schlimm. ABER ich habe eine klitzekleine Rechtfertigung für vereinzelte Fälle: Wenn ich nämlich mit, sagen wir mal, einem nicht ganz kleinen Rucksack anrücke, gibt es für den gar keine Aufbewahrungsmöglichkeit. Da bleibt nur, den Nebensitz zu blockieren oder das Tragegerät auf die Knie zu nehmen und die Zielstation mangels freier Sicht zu verpassen. Gerne würde ich den Rucksack einfach auf dem Rücken behalten und stehen. Aber dann kommt niemand an mir vorbei. Und auf den Flächen für Kinderwagen, Rollstühle und ähnliche Hilfsmittel stehen ebendiese.

     

    Wenn es voll ist und Leute einen Sitzplatz suchen, nehme ich immer artig meinen Rucksack auf den Schoß. Da kriegen die Leute solche Angst vor dem Ungetüm, das auf dem Sitz lauert, daß sie freiwillig auf einen Sitzplatz verzichten.

     

    Vielleicht ist es gut, wenn die meisten Leute die Sitze nur mit Taschen und ähnlichem Zeug vollpacken. Eine Sitznachbarabwehr mittels chemischer Kampfstoffe (ungeputzte Zähne, Darmwinde, Damen- und Herrendiesel) fände ich unangenehmer.