Nazis gegen Nazis: Boykott und V-Mann-Vorwurf
In Schleswig-Holstein greifen die Freien Kameradschaften die NPD an. Ihr Vorwurf: Der Partei-Pressesprecher arbeite seit zehn Jahren für den Verfassungsschutz.
HAMBURG taz | Diese Schwierigkeit dürfte die NPD im Landtagswahlkampf nicht erwartet haben. Kurz vor der Wahl ruft der NPD-Bundesvorsitzende Holger Apfel selbstverständlich zur Wahl seiner Partei auf. In Schleswig-Holstein werden aber nicht alle Kameraden dem Aufruf folgen. Aus dem Spektrum der Freien Kameradschaften wird stattdessen zum Wahlboykott aufgefordert, NPD-Kandidaten werden diskreditiert und die Behauptung, ein NPD-Funktionär sei ein V-Mann, macht die Runde.
„Sehr geehrte Damen und Herren, nun sind wir wieder da. Und jetzt geht es auch gleich nach Lübeck. Zu dem hauptberuflichen ’Geheimagenten‘ Jörn L.. Wir fordern Deinen Rücktritt“, schreibt die „Nationalsozialistische Störungsgruppe Holstein“ (NSH) im Internet. Damit meint der neue Zusammenschluss aus Kameraden des „Nationalen Widerstands Lübeck“ und den „Autonomen Nationalisten Stormarn“ den NPD-Landespressesprecher und Kreisvorsitzenden Lübeck-Ostholstein, Jörn Lemke.
Auf der Website werden Lemke, der früher selbst aus der Kameradschaftsszene kam, viele Vorwürfe und Vorhaltungen gemacht. So wird gefragt: „Warum gab es gegen Dich nie wirkliche Strafanzeigen (...). Warum stiftest Du zu Straftaten an, aber bist dann nie dabei. Warum hast Du es am 28. 6. 2003 nicht zur Hausbesetzung geschafft. Warum haben die Ordnungsorgane der BRD schon im Vorwege von der Besetzung gewusst.“
Auch wird angemerkt, dass Lemke trotz Hartz IV „immer Kapital“ habe, um seine „Projekte“ zu finanzieren. Sie halten ihm auch vor, bewusst nur „Vollidioten oder absolute Asoziale“ in die NPD und den „freien Widerstand“ zu holen und gleichzeitig „fähige“ Männer rauszudrängen. Dem Vater werfen sie zudem vor, die eigenen Kinder nie zur mittlerweile verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend geschickt zu haben.
Schon zehn Jahre, so die NSH, soll Lemke als V-Mann agieren. Er verantwortete lange den „Trauermarsch“ in Lübeck und leitete bis zum Verbot 2003 das „Bündnis nationaler Sozialisten für Lübeck“ mit. Ihr Fazit: „Du hast dafür gesorgt, dass Menschen wegen Dir in den Schulden stecken, oder verfolgt (...) werden. Du hast dafür gesorgt, dass nationale Politik keinen fruchtbaren Boden findet“. Und sie drohen: „Wir kennen Dein Leben Jörn, wir kennen Deine Geheimnisse und Gelüste. Vielleicht haben wir sogar Zugriff auf Deinem PC, zu Deiner Wohnung, oder sogar zu Deinem PKW. Vergiss nicht: Wir sind wie der Schatten in der Nacht!“
Das Kieler Innenministerium möchte den V-Mann-Vorwurf weder bestätigen noch dementieren: „Kein Kommentar“ heißt es. Die NPD war bis Redaktionsschluss nicht erreichbar.
Im Internet hat die NSH auch über andere Aktivisten sehr Privates veröffentlicht, um sie zu diskreditieren. „Wie schafft es Wolfgang S. bitte auf die Spitzenkandidatenliste?“, fragen sie, denn der gemeinte NPD-Kandidat Wolfgang Schimmel hätte mit seiner „lettischen Ehefrau“ ein Kind gezeugt. Erneut fordern sie seinen Rücktritt. Dem Kandidaten hinter dem NPD-Spitzenkandidaten Jens Lütke, Ingo Stawitz, drohen sie: „Und zu Dir Ingo S. kommen wir auch noch. Aber dazu später“.
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