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Menschenkette gegen Fluglärm in FrankfurtErhöhter Leidensdruck

5.000 Menschen protestieren in der Mainmetropole gegen Fluglärm. Grundsätzlich gegen den Airport sind die wenigsten Demonstranten – es geht ihnen um die neue Landebahn.

Gewachsene Betroffenheit: Seit Eröffnung der neuen Landebahn ist das Flugaufkommen in Frankfurt größer geworden. Bild: dpa

FRANKFURT/M. taz | Volksfeststimmung in Frankfurt am Main, obwohl rechtzeitig zum Beginn der Veranstaltung um 15 Uhr die ersten Regentropfen fallen. Per Megafon wird von der Untermainbrücke die Information durchgegeben: „Die Menschenkette ist geschlossen von Oberrad bis Niederrad, wir warten nur noch auf die La-Ola-Welle!“

Weit über 5.0000 Menschen sind dem Aufruf der Bürgerinitiative „Eintracht gegen Fluglärm“ gefolgt und haben sich entlang der sieben Mainbrücken der Stadt direkt am Flussufer versammelt und applaudieren sich nun selbst zu diesem schönen Erfolg. Kirchenglocken läuten. „Hand in Hand für unsere Zukunft“, lautet das Motto dieses Sonntags

Auch von Booten auf dem Main aus wird das Ereignis bestaunt und fotografiert. „Keine Flughafenerweiterung! Nachtflugverbot!“, steht auf den gelben Fahnen der Bürgerinitiativen, zwei Aktivisten ziehen ein lädiertes Flugzeug auf einem Handwägelchen den Kai entlang, immer wieder skandiert die Menge: „Die Bahn muss weg!“ Gemeint ist die neue Landebahn. Ein sichtlich unbeeindruckter Passant eilt mit seiner Freundin kopfschüttelnd vorbei: „Die fliegen doch auch alle mit der Bahn in den Urlaub.“

Das ist FRA

Der Flughafen Frankfurt (IATA-Code FRA) ist mit 56,4 Millionen Passagieren (2011) neuntgrößter Airport der Welt. Mit etwa 2,2 Millionen Tonnen Fracht führt er die Flughäfen des Kontinents an. 2010 wurden über 460.000 An- und Abflüge verzeichnet. Auf dem Flughafen arbeiten 71.500 Menschen.

FRA verfügt über vier Start-und-Lande-Bahnen. Es gilt ein Nachtflugverbot von 23 bis 5 Uhr. Protestiert wird gegen die neue Landebahn Nordwest. (taz)

Da ist er also wieder, der innere Widerspruch aller Demonstrationen gegen der Ausbau des Flughafens. Er wird, wie jedes große Infrastrukturprojekt, von den Menschen der Region benutzt – nur leiden mag darunter keiner.

Verkehrsaufkommen spürbar erhöht

Tatsächlich hat sich das Verkehrsaufkommen mit Inbetriebnahme der neuen Landebahn Nordwest spürbar erhöht. Und Anwohner, die bisher glimpflich davongekommen waren, leben nun direkt in der neuen Einflugschneise. Der Leidensdruck erklärt wohl auch so manchen Fehlgriff: „Luftkrieg gegen die Zivilbevölkerung ist ein Verbrechen.“

„Wir sind nicht gegen den Flughafen“, wird Mela Krauß, Mitinitiatorin der Aktion, denn auch nicht müde zu betonen: „Wir sind aber sehr wohl gegen einen immer weiteren Ausbau. Es muss einen Paradigmenwechsel geben. Auch Wachstum stößt irgendwann an seine Grenzen.“

Was sie damit meint, steht auch auf Plakaten am Geländer der Brücke: „Gesundheit geht vor Profit!“ Tut es das? „Es sollte, es sollte!“, ruft sichtlich aufgebracht ein älterer Mann. Der Rentner ist eigens aus Hochheim angereist und kann auch vom Versprechen auf bauliche Lärmschutzmaßnahmen nicht besänftigt werden: „Das ist doch kein Leben, so mit einer Klimaanlage eingesperrt zu sein.“

Auf der Abschlusskundgebung gratuliert die Aktivistin Ursula Fechter, die auch schon als OB-Kandidatin ins Rennen gegangen ist, den Münchnern für ihren Bürgerentscheid gegen den Bau einer neuen Startbahn im Erdinger Moos.

„Wem es zu laut ist, der soll doch wegziehen“

Begrüßt werden nicht nur Abordnungen aller Stadtteile, sondern, mit besonders starkem Applaus bedacht, die angereisten Demonstranten aus Berlin. Für ungebrochene Empörung sorgt ein Zitat der scheidenden Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth: „Wem es zu laut ist, der soll doch wegziehen.“

Ziel der Demonstration ist denn auch das neue Stadtoberhaupt, der SPD-Politiker Peter Feldmann, auf dem hier viele Hoffnungen ruhen. Vielleicht zu viele. Unter der Brücke, auf der die Kundgebung unter dem Lärm von Trillerpfeifen und Trommeln zu Ende geht, prangt ein frisches schwarzes Graffiti auf Backstein: „Der Kapitalismus stirbt.“

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6 Kommentare

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  • C
    Chiara

    Mein Urgroßvater hat unser Haus 1913 gekauft. Viele Familien wohnen hier seit mehreren Generationen. Also enthaltet euch bitte der blöden Kommentare nach dem Motto à la: selbst schuld, wenn ihr hier her zieht!

  • D
    dabby

    Der TAZ-Artikel stimmte mich gerade sehr nachdenklich. Kennt wirklich jeder eine Einflugschneise "Live" oder vielleicht nur vom Lesen oder im-Flieger-sitzen? Wie hoch der Leidensdruck ist,

    18 - 19 Std. Dauerlärm m. bis zu 80 dB im Minuten-Takt ausgesetzt sein zu müssen, mit 5 Std. Schlaf auskommen zu müssen, aber bis zu 9 Std. fit im Job sein müssen, sollte vielleicht mal wahrgenommen werden. Ist es noch menschlich, wenn auf unserem Südfriedhof Beerdigungen wegen des unerträglichen Fluglärms unterbrochen werden müssen? Sie lesen nur müssen.... -

    Wenn ich einige richtig verstehe, sollen 150T Menschen einfach ihre Heimat aufgeben, wegziehen?? Mein Vorschlag wäre, dass ALLE aus Sachsenhausen-Süd in den fRA-Norden umquartiert werden, dann expolodieren nörlich v. Ffm. die Immobilienpreise. Die Gesichter der Fluglärmbefürworter aus dem Norden möchte ich dann mal sehen. :-) Das ist echte Solidarität, die im Krankenkassenbereich ja schon Einzug gehalten hat.

    Übrigens: WIR alle aus dem FRASüden waren vor der neuen Landebahn da. Unfassbar ist, dass wir so viel Toleranz für Lärm und Dreck aufbringen müssen, unsere Gegner uns dafür noch m. Dreck bewerfen.

  • F
    funnoy

    Hier in London war es immer ein problem. Wie ich mein erstes Haus in London gekauft hatte, habe ich das Internet benutzt um die Flighpath ueber mein Haus rauszufinden. Ein paar Jahre spaeter kam der City Airport an der THemse, alle Flugzeuge ueber mein Haus. Jetz kommen die Olympics, und alle Fluege werden umgeleited, wahrscheinlich 100 meter ueber meinem 2ten haus in Ost-London!!! Ich freue mich nicht darauf- und keiner weiss davon hier in England!!!

  • G
    Gabriel

    Den Flughafen gibt es seit 1936. Wer da hinzieht, ist selber schuld. Ich kann auch nicht an die Autobahn ziehen und dann Nachtfahrverbot fordern, wenn eine 3. Spur aufgemacht wird.

  • SS
    silvia schleimer

    Die Menschen in der Region können doch auch alle den Flughafen nutzen, darum geht es nicht. In Frankfurt werden aber 500 Tonnen Wattwürmer und andere unsinnige Frachtgüter zwischengelandet, unnötig Umsteiger mitten ins Rhein-Main-Gebiet gekarrt und viele innerdeutsche Flüge gestartet, deren Orte man mit der Bahn genauso bequem erreichen kann. Das muss aufhören. Von der taz hätte ich mir eine differenziertere Berichterstattung gewünscht.

  • S
    Sigranna

    Ich fliege nicht in den Urlaub! Keine Interesse daran! Seit Jahr und Tag nicht!!! Darf ich jetzt nun mit der Erlaubnis aller gegen den BER in Schönefeld sein? Weil man dieses plumpe Argument gegen mich mum wirklich nicht ins Feld führen kann? Genügt das?