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Kommentar Merkel als VerliererinVon Niederlage zu Niederlage

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Merkels Kosten-Nutzen-Kalkül geht auf: Ein deutscher Sieg in Brüssel wäre teurer gewesen als diese Niederlage. Mit einem EU-Gipfel ohne Ergebnis wäre der Crash des Euro näher gerückt.

E s war ein ungewohntes Bild: Angela Merkel als Verliererin. In Brüssel musste sie klein beigeben. Der ESM darf nun ohne hartes Spardiktat Kredite an Krisenländer vergeben.

Das sah, gerade nach Merkels Schwur, ewig gegen vergemeinschaftete Schulden in der EU zu kämpfen, nicht so gut aus. Ein paar Stunden später gab es in Berlin nochmal Sperrfeuer. Schwarz-Gelb fehlte bei der Abstimmung über den ESM die eigene Mehrheit. Es gibt bei den Liberalkonservativen immer mehr, die fürchten, dass man am Ende für Spaniens Banken blechen muss.

Merkel verliert offenbar gerade an beiden Fronten. In Europa fehlt ihr die Macht, das deutsche Sparmodell wie bisher so rabiat durchzudrücken. Und an der Heimatfront in Berlin kommen ihr die Fußtruppen abhanden.

taz
STEFAN REINECKE

ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.

Das Dilemma: Gibt die Regierung in der EU nach, wächst der Widerstand in Berlin. Folgt sie ihren markigen Sparversprechungen, kämpft sie in Brüssel allein gegen alle. Solche Klemmen sind typisch, wenn die Macht zerrinnt. Geht diese Kanzlerschaft zu Ende?

Nein, keineswegs. Auch die scheinbare Niederlage in Brüssel ist nichts Neues. Sie passt fugenlos in Merkels Strategie – oder sagen wir: Reaktionsmuster – seit Beginn der Eurokrise.

Sie hat stets Nein gesagt und jedes Nein abgeräumt, wenn es opportun war. Erst war Schwarz-Gelb strikt gegen jede Finanzhilfe für Griechenland, dann strikt gegen jede dauerhafte Hilfe für Athen etc.

Jetzt ist die Doktrin gefallen, dass der ESM niemals EU-Gelder ohne Spardiktat fließen lassen darf. Dabei folgt Merkel einem tagespolitischen Kosten-Nutzen-Kalkül.

Ein deutscher Sieg in Brüssel über Italiens Technokratenregierung, die von den Zinslasten erdrückt wird, wäre teurer gewesen als diese Niederlage. Mit einem EU-Gipfel ohne Ergebnis wäre die Implosion des Euro wohl dramatisch näher gerückt.

Vor allem aber hat Deutschland in der EU längst gewonnen. Mit dem Fiskalpakt hat Berlin das deutsche Wirtschaftsmodell europäisiert. Den Preis zahlen weniger exportstarke Nationen, die zu einer rigiden Sparpolitik gezwungen werden.

Und auch in Berlin sieht es gut aus für Merkel. Denn faktisch regiert hier nicht mehr Schwarz-Gelb, sondern eine große Koalition aus Union, Grünen und SPD – unter ihrer Führung.

Die Liberalen dürfen manchmal quengeln. Die SPD versucht sich tapfer auszureden, dass sie 2013 wieder Juniorpartner der ewigen Kanzlerin wird. Das Sagen hat Merkel, vielleicht mehr als zuvor.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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7 Kommentare

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  • SB
    Siegfried Bosch

    "Vor allem aber hat Deutschland in der EU längst gewonnen. Mit dem Fiskalpakt hat Berlin das deutsche Wirtschaftsmodell europäisiert. Den Preis zahlen weniger exportstarke Nationen, die zu einer rigiden Sparpolitik gezwungen werden": Wenn es nicht so schlimm wäre, könnte ich jetzt hier einfach *lol* schreiben. Aber D hat mitnichten gewonnen, wie man an den Reaktionen sehen kann: Irland und Griechenland wollen Nachverhandlungen (und die EZB sagt ja dazu); Spanien kann die Verluste seiner Banken eurozonisieren (im Endeffekt: bei den soliden Nordstaaten abladen) (die Steuern, die diese Banken während der Boom-Jahre bezahlt haben, bleiben natürlich weiterhin national); Zypern wird ebenfalls die leichten Bedingungen gewährt. Italien wird für eine vollkommen unzureichende Arbeitsmarktreform über den grünen Klee gelobt und kann nun -- ohne IWF-Kontrolleure -- direkt Geld aus dem ESM beziehen. Lediglich die laschen Auflagen der EU-Kommission (die immer feststellen wird, dass die Reformauflagen erfüllt sind, weil sie unter der Kontrolle der Südstaaten steht -- genau so wie übrigens auch die EZB (s.o.)) müssen erfüllt sein.

    Dass der ESM nicht mehr bevorrechtigter Gläubiger sein wird (was zwar nicht in den Regeln festgeschrieben wird, aber dennoch bei jedem Einzelfall so geschehen wird), ist der Gipfel: In jeder Insolvenzordnung wird derjenige, der mit einem Kredit ein Unternehmen retten will, bevorrechtigter Gläubiger.

    Fazit: In Zukunft wird der Reformeifer erlahmen, da jeder darauf spekuliert, dass am Ende Deutschland (+Österreich, Holland -- Finnland nicht, Finnland erhält Pfänder (auch bei der anstehenden Bankenrettung in Spanien)) alles bezahlt. Die Verträge von Maastricht sind absolut pervertiert worden.

  • D
    deviant

    Eines vergessen Sie hier zu erwähnen, werter Herr Reinecke:

    Merkels relative Stärke ist alles andere als absolute Stärke, es ist die absolute Schwäche ihrer Gegner, Merkel selbst ist alternativlos, weil ihre Gegner es nicht schaffen eine eigene Idee zu entwickeln, oder sich, wie im Falle der Linken, vor lauter Ideen selbst dekonstruieren, aus dem seltsamen Mißverhältnis heraus, in den politischen Analysen seit 10 Jahren immer Recht behalten und die Regierung widerlegt zu haben, ohne aber, dass es jemand zur Kenntnis genommen hätte.

     

    Weil sich die drei Gartenzwerge von der SPD ebenso wie die 35 Parteiführer der Grünen so schamlos Merkels Politik anbiedern, um wenigstens wieder kellnern zu dürfen, besitzt Merkel innenpolitisch quasi Narrenfreiheit und muss sich nur noch pro forma zum Koalitionsvertrag bekennen, durch die gegenseitige Konkurrenz von SPD, Grünen, FDP und CSU als pseudooppositionell-eigenständige Koalitionäre zweiter Klasse, bei denen Merkel sich je nach Bedarf die Stimmen abholt, verlieren sie letztlich alle ihre Eigenständigkeit, oder, wie der Volksmund sagt: "Mit leerem Kopf nickt es sich leichter."

    Staatssekretärin Merkel kann voll auf ihre Blockparteien zählen - da fällt es dann nicht einmal mehr auf, dass Merkels Linie so geradlinig wie die Unterschrift eines schwer Parkinsonkranken ist. Wenn sich die Parteien nur einig sind, marschiert der Deutsche stolz hinterher.

  • V
    vic

    Extrem beängstigend, aber vermutlich wahr.

    Merkel ist unkaputtbar.

  • FR
    Franz Ruhland

    Vielleicht Juniorpartner in einer großen Koalition. aber warum unter Merkel. Sie bräuchte die Stimmen der SPD zur Wahl. Wenn diese zwar zu einer Großen Koalition bereit ist, aber kein Vertrauen zu Merkel hat? Bei der Kanzlerwahl braucht man halt ein Mehrheit, die einem vertraut.

  • J
    JFSebastian

    ....ich gebe Stefan Reinecke recht. Merkel taktiert hervorragend und Ihr Machtbasis wird von Entscheidung zu Entscheidung stabiler. Und - niemals hätte ich gedacht,dass ich das einmal von mir geben würde: ...und das ist auch gut so! Seit dem selbstherrlichen Duo Schröder/Fischer, die die Arbeitnehmer so gnadenlos verraten haben, ist keine Kanzleralternative mehr in Sicht. .

  • H
    Harald

    Wenn der Sieger anschließend Mrd zahlen muss verliere ich lieber.

  • U
    Unbequemer

    Ha - da kommt bei der Taz Freude auf. Merkel als Loserin. Von Niederlage zu Niederlage... aber am Ende des Kommentares wird sie dann doch zur Siegerin, die weiß, wie man an der macht bleibt. Viel interessanter wäre doch eine Analyse der SPD-Verräter gewesen, die sich nicht zu schade sind, für etwas medialen Popanz zu Hollande zu fahren und sich von diesem cleveren Taktiker als nützliche Idioten verwenden zu lassen. Diese Verräter wollten Merkel in den Rücken fallen und fielen Deutschland in denselbigen. Ich bitte mal um eine gründliche Analyse dieser Herren. Mit nützlichen Adjektiven könnte ich der Taz gut aushelfen.