Neuverfilmung „The Prisoner“: Kein Weg führt hinaus
Einer gegen den Rest der Stadt: Das ZDF zeigt mit „The Prisoner“ (23.50 Uhr) die Neuverfilmung einer psychologisch komplexen und optisch gelungenen Kultserie.
Ein junger Mann wacht mitten in der Wüste auf und wundert sich: „Was?“ Schüsse fallen, ein alter Mann wird verfolgt: „Sag allen, dass ich rausgekommen bin! (…) Geh zu 5-5-4!“ Der junge Mann wundert sich: „Was soll das hier, und wo bin ich?“ Der alte Mann stirbt, der junge Mann geht durch die Wüste, erreicht eine Siedlung, steigt in ein Taxi:
„Wo sind wir hier?“
„Hier? Das ist die Stadt.“
„Aber welche Stadt?“
„Hey, was ist los mit Ihnen? Das ist DIE Stadt!“
Später wird der junge Mann sagen: „Ich möchte wieder nach New York.“ Ein alter Mann, nicht jener vom Anfang – der ist tot ist –, sondern einer im schnieken weißen Tom-Wolfe-Anzug, wird ihm antworten: „Das ist nicht möglich. Es gibt kein New York. Es gibt nur DIE Stadt.“
Der alte Mann ist „Nummer 2“, den jungen Mann nennen alle „Nummer 6“. DIE Stadt kennt nur Nummern, keine Namen.
Was „Nummer 6“ so gar nicht begreift, mag für manchen Zuschauer ein Déjà-vu bedeuten. Vorausgesetzt, er ist irgendwann so in den 1950er Jahren geboren oder früher. Oder er hat vor zwei Jahren Arte geguckt.
Bei dem Kulturkanal nämlich hat man in den vergangenen Jahren ein erstaunliches Faible für coole, zeitgeistige englische Fernsehserien aus den Swinging Sixties entwickelt. Da lief bereits „Mit Schirm, Charme und Melone“, aktuell wieder „Simon Templar“. Und vor zwei Jahren eben lief „Nummer 6“, im englischen Original: „The Prisoner“.
Das ZDF hatte die Serie von und mit Patrick MacGoohan ab 1969 erstmals gezeigt: Ein Mann beendet seine Agententätigkeit beim britischen Geheimdienst und wird daraufhin im „village“, einem irrealen, surrealen, zugleich nostalgisch und futuristisch anmutenden Ort, als „Nummer 6“ festgehalten. „Nummer 2“, der zumindest in der Originalversion der Serie in jeder Folge wechselnde Leiter der Stadt, versucht in jeder Folge, den Grund für die Geheimdienst-Kündigung von „Nummer 6“ herauszufinden. Der versucht im Gegenzug, mehr über die Identität von „Nummer 1“, der nie in Erscheinung tritt, zu erfahren und zu entkommen.
Die Serie genießt heute das, was man Kultstatus nennt. Ihre Motive lassen sich in zahlreichen Filmen und Serien wiederfinden – in „Und täglich grüßt das Murmeltier“, „Die Truman Show“, „Lost“ und vielen anderen. Dies ist das Zeitalter des Remakes – der „Spider-Man“, der derzeit im Kino läuft, ist das Remake eines Remakes. Und die Neuverfilmung von „Mit Schirm, Charme und Melone“ stammt von 1998 und ist schon historisch.
Man könnte sich also wundern, dass es bis zum „Prisoner“-Remake so lange gedauert hat. Aber die Serie ist soziologisch, psychologisch, philosophisch komplex. Vielleicht brauchte es deshalb erst die Erfahrung mit Qualitätsfernsehen à la „Sopranos“ und Co, bis man sich an eine Neuverfilmung von „Nummer 6“ herantraute.
Bemerkenswert ist, dass dieses Remake nun im ZDF stattfinden darf – und damit in einem Sender mit öffentlich-rechtlichem Kulturauftrag, der mit US-Qualitätsfernsehen in den vergangenen Jahren ziemlich halbherzig umgegangen ist. Die Überserie „Sopranos“ hat das ZDF erst im Spätprogramm versteckt und dann abgesetzt.
Die Emmy-Rekordsieger „Mad Men“ verbannten die Programmmacher in den Spartenkanal ZDFneo. Dort lief auch das „Prisoner“-Remake bereits Anfang des Jahres, bevor es nun den Aufstieg ins späte Hauptprogramm geschafft hat. Anders als die „Mad Men“. Das verstehe, wer will.
Denn die Serie ist zwar mit Ian McKellan („Herr der Ringe“, „X-Men“) und James Caviezel ( „Die Passion Christi“) hochklassig besetzt. Dennoch haben US-Kritiker auf den vom „Mad Men“-Sender AMC mitproduzierten Sechsteiler ausgesprochen verhalten reagiert. Dafür mag es verschiedene Gründe geben, eines aber ist klar: Der Nimbus der Sixties in Sachen Coolness und Stil wiegt schwer. Nicht ohne Grund spielen die „Mad Men“ in den Sechzigern. Und auch im Versuch mit Patrick McGoohan zu konkurrieren, der als „Nummer 6“ im Original im Vorspann jeder Folge in seinem schicken Lotus Seven vorfährt, ist für James Caviezel als seinem Nachfolger ein Kampf gegen Windmühlen.
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