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Wohnen in BerlinRechenspiele am Kottbusser Tor

Stadtentwicklungssenator Müller wendet sich erstmals an das Protestcamp am Kotti. Den Mietern reicht das nicht: Sie wollen weiter besetzen und demonstrieren.

Seit acht Wochen wird am Kotti nun schon gegen drastisch steigende Mieten protestiert. Bild: dapd

In der kleinen Camp-Hütte plaudern am Freitag vier Frauen auf türkisch bei Kaffee und Tee, daneben lässt der Wind das große, weiße Protesttransparent flattern: „We love Kotti, we hate Mieten“. Vor dem mit Flugblättern übersähten Verschlag haben Ulrike Hamann und Alexander Kaltenborn, beide Mieter am Kotti, ein Schreiben auf einen Biertisch gelegt. Ein lange erwartetes.

Seit acht Wochen nun schon harren Anwohner in ihrem Protestcamp am Kottbusser Tor aus. Mal mit einer Handvoll, mal mit mehreren dutzend Leuten, Tag und Nacht. Vor sechs Wochen baten sie Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) um Hilfe: gegen die immer wieder erhöhten Mieten in ihren GSW- und Hermes-Häusern. Müller schickte erst seinen Staatssekretär zu Besuch. Nun antwortete er persönlich.

„Sich über Mieten- und Wohnungspolitik auszutauschen, ist der richtige Weg“, schreibt der Senator. Die Einschätzung der Protestgruppe aber, „Wohnungsneubau und städtische Wohnungsbaugesellschaften seien nur Alibi-Themen, kann ich nicht teilen.“ Dann listet Müller fünf Seiten lang vor allem eines auf: Statistiken und Rechenbeispiele. Kaltenborn, ein schlaksiger 43-Jähriger, hält den Brief in den Händen. Dass Müller nun endlich antworte, sei erfreulich. „Auf unsere Sorgen geht er aber überhaupt nicht ein.“

Die Initiative fordert in „problematischen“ Großraumsiedlungen wie am Kotti eine vorübergehende sogenannte Kappungsgrenze für Kaltmieten auf 4 Euro. „Damit wir erstmal wieder Luft zum Atmen haben“, sagt Ulrike Hamann, kurze Haare, ernster Blick. Die Obergrenze würde das Land pro Jahr 10 Millionen Euro kosten. „Wenig Geld, dafür dass tausenden Mietern geholfen wäre.“

Müller macht eine andere Rechnung auf: Begrenze man die Nettokaltmiete nur auf 5,35 Euro, würde das allein in den nächsten fünf Jahren 253 Millionen Euro kosten. Die Kotti-Gruppe hält das für übertrieben. Sie fordert den Senat auf, grundsätzlich die Folgeprobleme des sozialen Wohnungsbaus zu lösen. Denn seit Berlin 2003 aus diesem ausstieg, müssten die Mieter die hohe so genannte Kostenmiete berappen, die das Land von Jahr zu Jahre weniger bezuschusst.

Die Protestler wollen dies auf einer Fachkonferenz besprechen, im Herbst, und wie Kaltenborn vorschlägt, „am besten im Roten Rathaus oder Abgeordnetenhaus“. Müller versprach, dies „nach der Sommerpause“ anzugehen.

Der Senator hatte dem Senat bereits am Dienstag einen Bericht zum Ausstieg aus dem sozialen Wohnungsbau vorgelegt. Eine Befragung von einigen der berlinweit 150.000 betroffenen Mietern habe ergeben, dass 60 Prozent weiter Nettokaltmieten zwischen 5,50 und 6,50 Euro zahlen würden. Die Mietsteigerungen seit 2003 lägen in 80 Prozent der Fälle unter 1 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Dies, so Müller, sei insgesamt „tragbar“.

Am Kotti sieht man das anders. Hamann berichtet von explodierenden Betriebskosten, von Wegzügen an den Stadtrand und von Aufforderungen des Jobcenters, Zimmer zu vermieten, um Kosten zu sparen. Also werde weiter besetzt. Und am heutigen Samstag, 16 Uhr, rufen die Protestler wieder zur „Lärm-Demo“, der inzwischen sechsten.

Bisher, sagt Kaltenborn, sei man ja eher „kuschelig und handzahm“ aufgetreten. Das müssenicht so bleiben. Der Kampfesmut sei ungebrochen. „Wir haben immer gesagt“, betont Kaltenborn, „wir bleiben solange, bis unsere Probleme gelöst sind“. Daran habe sich nichts geändert.

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10 Kommentare

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  • F
    fatalfraktal

    Mein lieber Herr Banse,

    30% alle drei Jahre, das sind pro Jahr ziehmlich genau 9,1% Mietsteigerung. Finden Sie das normal?

    Ich habe in Kreuzberg gewohnt mit einer Etagenheizung errichtet vor mehr als 30 Jahren, die mir erhöhte Gaskosten beschert hat. Wasserflecken an der Decke nach heftigen Regenschauern, marodem Balkon.

    Dann kamen Sie "endlich" die 30%-Erhöhungen, ohne dass sich der Zustand der Wohnung verbessert hätte.

    Bei der letzten Erhöhung hatte ich eine neue Wohnung gefnden und konnte sonderkündigen.

    Das Haus wurde verkauft und soll schick saniert werden. Das geht aber nur mit neuen Mietern....

    Sonst noch was Herr Banse?!

  • KV
    Kai vom Kotti

    @Wolfgang Banse: Also wir hier rund um'n Kotti können uns nen Anstieg um 30 Prozentpunkte alle 3 Jahre nich leisten. Dit wärn ja jährlich über 9%. Aber unsere Löhne steigen nich um 9% im Jahr. Wie sollen wir dit denn bezahlen? – In 10 Jahren heißt ditte ja, dit wir 140 Prozent mehr zahlen sollen als jetze. Der Vorschlag von Herrn Banse heißt ja, dit wir faktische wegziehen müssen alle. Dit is für uns keene Lösung!

  • MK
    Michael Klein

    @Wolfgang Banse!

    "Auch in Kreuzberg werden die Mieten nicht eingefroren

    Auch im Stadtteil,oder Kiez Kreuzberg muss man sich daran gewöhnen,dass die Mieten steigen."

     

    Und wer nimmt sich das REcht, der Bevölkerung das vorzuschreiben Herr Banse? Es ist also vertretbar, die Miete alle drei Jahre bis zu 30 % anzuheben! Sagen Sie mal, gehts noch????????????

  • WB
    Wolfgang Banse

    Auch in Kreuzberg werden dioe Mieten nicht eingefroren

    Auch im Stadtteil,oder Kiez Kreuzberg muss man sich daran gewöhnen,dass die Mieten steigen.Diese sollten moderat ausfallen.Nicht nur in diesem Kiez sondern auch in anderen Wohngegenden.Alle drei Jahre könnte die Miete um bis zu 30 Prozent angehoben werden:Dies wäre vertretbar.Wohnen sollte nicht zu einem unbezahlbaren Luxusgut werden und nur für eine bestimmte soziale gesellschaftliche Schicht bezahlbar.Wohnen sollte ein Grundrecht sein und jede und jedermann sollte daran teilhaben.

  • SS
    Sabine Sauer

    Tja, Herr Müller ist als Stadtentwicklungssenator wohl auch keine bessere Besetzung als es Frau Junge-Reyer (ebf. SPD) vor ihm war.

     

    Mit sozialer Politik haben die Spezialdemokraten eben seit ihrer asozialen Hartz IV- und Agenda 2010- Demütigungsgesetze nichts mehr am Hut. Ebenso wie die Grünen.

     

    Die sind alle neoliberal und leben gleichzeitig fürstlich von unseren Steuergeldern. Als gegenleistung ruinieren sie die u.a. die Lebensbedingungen der meisten BürgerInnen Berlins. Die müssen auch noch ca. eine Milliarde Euro (!) zusätzlich für den missglückten BBI Flughafen zahlen.

     

    Und für eine umweltgerechte, klimasschutzgerechte Stadtentwicklungspolitik interessiert sich die SPD auch nicht.

     

    Für die ökologische Sanierung des Landwehrkanals setzt sich Herr Müller z.B. überhaupt nicht ein.

     

    Seine Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt nimmt längst nicht mehr am Mediationsverfahren "Zukkunft Landwehrkanal", indem es um die kanalsanierung geht, teil.

  • MK
    Michael Klein

    @Verdrängung Juhuuuu!

    Ihre Worte erinnern regelrecht an KOmmentare von REchten wie "Hätte es nicht soviele JUden in Deutschland gegeben, wäre uns auch der HItlerfaschismus erspart geblieben", die also Juden die Schuld am HOlocaust geben!

    Westlich/modern lebende Menschen können gerne in Stadtteile wie Zehlendorf, Lichterfelde, Lankwitz oder Marienfelde ziehn, die strotzen echt vor bürgerlicher Spießigkeit! Kreuzberg ist anders! Kreuzberg ist multikulturell, und das ist auch gut so!

  • X
    xxx

    @Verdrängung Juhuuu

     

    Das ist verkehrt.

     

    Wer konnte zog damals aus Kreuzberg weg.

     

    Schuld daran war zum einen die Sanierungspolitik des Berliner Senats, die zu einem Verfall des Wohngebietes führte und zum anderen die mit dem Bau der Mauer eingetretene Randlage des Bezirks. Desweiteren sah die damalige Straßenbauplanung vor, das Areal mit einem Autobahnnetz zu überziehen.

    Imigranten wurden in den 60er Jahren wohlwollend begrüßt, dazu mischten sich später Linke und Alternative.

     

    Wenn etwas zur Verdrängung der Anwohnerschaft zu diesem Zeitpunkt führte, dann der Umgang von Senat und Hauseigentümern mit dem vorhandenen Wohnraum.

  • A
    aurorua

    Jeder Widerstand ist zwecklos, rund um das Regierungsviertel muss Platz geschaffen werden für Lobbyisten, Reiche, Superreiche und ihre Handlanger aus der Politik. Platz für luxussanierte Zweitwohnungen bezahlt mit Spesen und Steuergeldern. An solchen Orten ist kein Platz für geringverdienende, Kinderreiche Lohn und Mietsklaven. So und nur so funktioniert nunmal eine vom Kapital komplett ausgehöhlte "Formaldemokratie", denn Geld regiert die Welt und somit jene die es im Überfluss besitzen.

  • MW
    Magarete Werner
  • VJ
    Verdrängung juhuuuu

    Die Verdränger von gestern beschweren sich über die Verdrängung von heute. Linke die sonst Open Borders schreien, würden am liebsten jedem die Bude abfackeln der neu zuzieht. Eine Mischung aus ekelhafter Dopelmoral und unfreiwilliger Komik. Im Übrigen ist Kreuzberg nicht seit Jahrhunderten eine türkische Enklave. In Kreuzberg wohnten noch vor nicht allzu langer Zeit Menschen welche von der linksalternativen Bewegung der 70/80er und dem massiven Zuzug von Türken verdrängt wurden. Ihren Kiez erkannten sie nach ein paar Jahren kaum wieder. Das waren meist kreuzberger Familien welche seit Generationen in Kreuzberg lebten und nicht seit ein paar jahren wie die meisten Türken oder seit paar Semestern wie die meisten Linken. Mich freut die heutige Veränderung. Villeicht wird der kiez wieder für Familien und westlich/modern lebende Menschen wieder lebenswert.