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DIE WAHRHEITUrlaub beim blanken Hans

Kolumne
von Joachim Schulz

„Hm“, machte Raimund, während er durch das Panoramafenster des Frühstücksraums schaute, „das ist wohl das berüchtigte Schietwetter.“

Hm“, machte Raimund, während er durch das Panoramafenster des Frühstücksraums schaute, „das ist wohl das berüchtigte Schietwetter.“ Ich nickte. Das Meer schwappte kalt und grau gegen den Deich, und der böige Wind trieb Regenbreitseiten gegen die Scheibe. Auch Theo kam jetzt die Treppe herunter. „Moin“, sagte er: „Wie ist die Urlaubslaune?“ – „Geht so“, brummte Raimund und nickte mit dem Kopf in Richtung Fenster. „Ach“, meinte Theo, „das Wetter kann sich hier in Minuten ändern. Lasst uns erst mal frühstücken – ihr werdet sehen, heute Mittag braten wir am Strand in der Sonne und hüpfen in die See!“ – „Außer, sie ist bis dahin zugefroren“, murmelte ich.

Seit Jahren hatten wir davon gesprochen, mal wieder zusammen ans Meer zu fahren. Jetzt war es so weit, und bis vor kurzem glaubte ich noch, dass wir vom Mittelmeer sprachen. Dann aber führten notorische Geldknappheit und Theos genialischer Einfallsreichtum zu einer unheiligen Idee: „Meer ist gleich Meer“, sagte er: „Lasst uns an die Nordsee fahren! Es ist dort viel billiger als in Italien, und der Sommer ist fantastisch: Wir werden herrliche Tage am Strand verbringen und an den lauen Abenden am Hafen sitzen und Riesenberge Nordseekrabben vertilgen. Das wird super!“

Ich wusste es besser. Ich war an der Nordseeküste aufgewachsen und nicht umsonst vor dreißig Jahren von dort geflohen. Schon als Kind hatte ich es gehasst, dass man in der „Tagesschau“ von einem Jahrhundertsommer sprach und Bilder von überfüllten Freibädern zeigte, während wir Küstenknirpse es nicht wagen konnten, das Haus ohne Schal und Ölzeug zu verlassen. Bedauerlicherweise jedoch neigt Raimund manchmal dazu, eher Theo zu glauben als mir – und damit war ich überstimmt.

Nach dem Frühstück gingen wir hinaus. Der Regen hatte tatsächlich aufgehört, doch der Wind trieb weiterhin dicke graue Wolkenteppiche über den Himmel. Trotzdem war der Strand voller älterer Menschen, die blaugefroren in den Wellen planschten und sicherlich der Auffassung waren, dass nur ein Weichei bei diesen Temperaturen einen Wollpulli brauche.

Nachdem wir ein paar Schritte den Deich hinuntergeschlendert waren, setzte der Regen wieder ein, und weil Raimund immer lauter darüber klagte, Pudelmütze und Gummistiefel zu Hause gelassen zu haben, ging bald auch Theos gute Laune flöten, so dass wir kehrtmachten und uns in der Pension in unseren Zimmern verkrochen.

Der Tag zog sich hin. Ich starrte hinaus in das trostlose Grau und langweilte mich krumm. Als es Abend wurde, trafen wir uns unten an der Rezeption, liehen uns Regenschirme und stapften missmutig in den Ort. Plötzlich blieb Raimund stehen. „Da! Da!“, rief er mit bebender Stimme, und schlagartig waren auch Theo und ich elektrisiert: Denn vor uns lag die „Pizzeria Palermo – da Ugo“, und so rannten wir los, bestellten viel mehr, als wir essen konnten, und saßen mit Ugo persönlich bis tief in die Nacht beisammen, tranken Grappa und fabulierten ausgelassen über das herrliche Klima und die Schönheit von bella Sicilia.

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