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Deutsche Meisterschaft im BeachvolleyballAbsolut grenzwertig

Interviewmarathon, Pasta mit Goldflocken und nebenbei noch eine DM. So gehen die Olympiasieger im Beachvolleyball mit ihrem plötzlichen Ruhm um.

Schwieriger Ruhm: Der Olympiasieg hat die Beachvolleyballer Reckermann und Brink zu Stars gemacht. Bild: dapd

TIMMENDORFER STRAND taz | Es ist derzeit eine echte Herausforderung, sich mit Julius Brink zu verabreden. Das Treffen vor dem Spielerbereich muss ausfallen, weil eine Interviewanfrage des NDR dazwischenkommt. Auch später wird nichts draus, Servus-TV will noch schnell einige Sequenzen drehen.

Abends in der „Vitrine“ klappt es endlich, während der Beachvolleyballer im Fernsehen den Auftritt seiner Leverkusener Fußballer verfolgt, kommt die Unterhaltung in Gang. Noch später, beim Italiener, sagt der Profi: „Wahnsinn. Was wir uns hier an Belastung neben dem Turnier zumuten, ist absolut grenzwertig.“

Deutschlands Beachvolleyball-Vorzeigeduo bewegt sich in den Tagen der Deutschen Meisterschaften in Timmendorfer Strand im Extrembereich. Wo immer die Helden von London auflaufen, bricht eine regelrechte Hysterie aus. Julius hin, Jonas her, Brink/Reckermann überall, den Lieblingen der Strandszene bleibt kaum noch Luft zum Atmen.

Die Deutsche Meisterschaft

Frauen: Bereits am Samstag holten Katrin Holtwick und Ilka Semmler ihren zweiten deutschen Titel nach 2009. Im Finale gewannen die Olympia-Achtelfinalistinnen mit 21:12 und 23:21 gegen Geeske Banck und Kira Walkenhorst - die ihrerseits zuvor überraschend die Favoritinnen Sara Goller und Laura Ludwig ausgeschaltet hatten. Im Halbfinale hatten Holtwick/Semmler gegen die späteren Dritten Teresa Mersmann und Cinja Tillmann einen Marathon-Satz gespielt: Mit 39:37 setzten sie sich schließlich durch.

Männer: Erstmals seit 2000 hat weder Julius Brink noch Jonas Reckermann eine DM-Medaille gewonnen. Im Halbfinale verloren die Olympiasieger gegen Eric Koreng und Alexander Walkenhorst mit 19:21 und 14:21. Deren Gegner im Finale sind die Olympianeunten Jonathan Erdmann und Kay Matysik. Da Brink/Reckermann im Spiel um Platz drei nicht antreten konnten, sicherten sich Sebastian Dollinger und Stefan Windscheif Bronze.

Alles in allem begegnen die beiden einer „schwierigen Situation“, wie der 30-jährige Brink sagt: „Wir sind es ja nicht gewohnt, irgendwo als Olympiasieger aufzulaufen.“ Das artet in Stress aus, zeitigt aber auch manch schöne Begegnung. So bekommen die Profis beim Italiener ihre Pasta mit einer Dekoration aus Goldflocken serviert.

J&J auf dem Arm

Auch von ihren Kollegen erhalten sie jede Menge Anerkennung. Viele Männer- und Frauenteams haben bei der DM ihre Oberarme mit Klebetattoos geschmückt, auf denen „J&J – wir sind stolz auf euch“ zu lesen ist.

Die Nationalspielerin und neue Deutsche Meisterin Katrin Holtwick findet es „supercool, dass die Stimmung bereits am Freitag unglaublich war. Julius und Jonas haben einen regelrechten Boom ausgelöst, das ist toll für unseren Sport.“

Dabei vollführen die Stars einen Drahtseilakt. „Es ist natürlich schwer, die Medien zu bedienen, dabei mit beiden Beinen auf dem Boden und trotzdem in unserem Trainingsrhythmus zu bleiben“, sagt Brink: „Das ist hier ja kein Schaulaufen, sondern ein ernsthafter Wettbewerb.“ Jonas Reckermann ergänzt, er habe sich „nicht vorstellen können, dass solch ein Rummel im Beachvolleyball möglich ist“.

Den Spagat bekommen die Athleten nur bis zum Halbfinale unfallfrei hin. Dann geht es nicht mehr. Brink und Reckermann unterliegen Eric Koreng und Alexander Walkenhorst, am Ende von vier aufregenden Tagen ist der Akku leer. Im zweiten Satz müssen sich beide Spieler beim Stande von 1:6 medizinisch behandeln lassen. Das Spiel um Platz drei muss Brink wegen einer Blockade im Lendenwirbelbereich absagen.

Unglaublicher Kraftakt

Manager Klaus Kärcher wundert sich, dass die beiden Athleten überhaupt so lange durchgehalten hatten: „Unglaublich, wo die Jungs die Kraft hernehmen“, sagt der Schwabe: „80 Interviews, 80-mal die gleichen Fragen und dann noch konzentriert den Job erledigen, das ist ein absoluter Kraftakt.“

Kärcher hat die Aufgabe, die Goldmedaille zu versilbern. Durch die Fernsehübertragung aus London, die in der Spitze 9,2 Millionen Menschen in Deutschland vor dem Fernseher verfolgten, ist das leichter geworden. „Früher musste ich bei der Akquise erklären, was Beachvolleyball überhaupt ist.“ Zum Beispiel habe er bei einem Terminengpass mal die Ansage gehört, „Na, dann schicken Sie doch zwei andere aus der Mannschaft vorbei.“

Durch die Bilder aus London ist der Sport in den Blickpunkt einer breiten Öffentlichkeit gerückt worden. Kärcher berichtet von „diversen Anfragen, der Olympiasieg wird sich für die beiden mit Sicherheit bezahlt machen“. Zahlen nennt der Manager zwar nicht, sagt aber, „dass es nicht reichen wird, um fürs Leben auszusorgen. Wohl aber, um solide Rücklagen zu bilden.“

Neuer Präsident

Gewinne soll der Olympiasieg auch für den Deutschen Volleyball-Verband (DVV) abwerfen. Zumindest, wenn es nach dem Willen von Thomas Krohne geht, der in Timmendorfer Strand ohne Gegenstimmen als neuer DVV-Präsident gewählt wird. Er folgt Werner von Moltke, der sich nach 15 Jahren an der Verbandsspitze in den Ruhestand verabschiedete.

Der 50-jährige Krohne ist geschäftsführender Gesellschafter eines Medienkonzerns und weiß daher, wovon er spricht. Den Olympiasieg von Brink/Reckermann bezeichnet er als „absoluten Traumstart für meine Amtszeit. Es ist doch toll, diese Steilvorlage zu bekommen. In der Situation der Schwimmer möchte ich im Moment nicht sein.“

In den 20 Jahren, die er in der Medienbranche arbeite, habe sich der Unternehmer „ein gutes Netzwerk aufgebaut, aber du brauchst dazu noch ein gutes Produkt, das du anbieten kannst“. Mit Julius Brink und Jonas Reckermann sollte der neue Boss im DVV zumindest in diesem Punkt auf der sicheren Seite sein.

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